Einmal kollationierter Druckvolltext mit Registerauszeichnung
TEI-Logo

Johanna Fichte an Johann Heinrich Rahn

Jena d: 9: octob: 95:
Theurster Herr Chorherr!
Auch Ihnen muß ich, den für mich so schreklichen Vorfall melden, daß mein Theurster, mir unvergeßlicher Vatter, nicht mehr, unter den Sterblichen lebt; daß seine Edle Seele, heimgegangen ist, und nun in den Wohnungen des Friedens, weilet; es war ein lang vorhergesehner Schlag für mich, der mich tief darnieder beugt: Ich weiß daß auch Sie Theurste Freunde, dem Redlichen, dem Besten, der Sie so aufrichtig liebte, Ihr Andenken schenken werden.
Die Krankheit des Theuren Selligen, war ein fast beständigs Erbrechen, welches Er schon in Zürich hatte; gänzlichen Mangel an Apetit, entsezliche innere Hize, mit heftigem Durste, dabey ein kramphaftes Würgen, welches anfangs des Unterleibs anfieng, und von da bis im Halse kamm, so daß man oft glaubte, es würge ihm das Leben ab, dabey entsezliche Verschleimung, und Blehungen, wegen Schwäche des Maagens, diese Übel fiengen schon zu Johanni an, nachdem der Theure, anfang des Sommers sehr wohl gewesen war; und daurten bis d: 29: Septemb: wo der Beste wegen Entkräftung gegen Abend sanft entschlief. Hufeland, sein Freund, und Arzt, bewunderte seine starke Natur, konnte ihn aber nicht retten. Der Sellige wurde hier, wegen seinem Menschenfreundlichem Herzen, seiner muntern Laune, welche Er bis im Tode behielt; der unverfälschten reinen Güte seines Caracters, hier sehr geliebt, geachtet, und izt betraurt: der Theurste ahndete seinen nahen Tod, schon vergangnen Winter, freute sich drauf, sprach davon, als von einer Reise, auf welche Ihm recht verlange, bekamm eine erstaunliche Sehnsucht, nach meiner selligen Mutter; es ahndete Ihm gleichsam, daß Er Sie nun bald sehn werde.
Ja so hab ich nun, den Besten, den Redlichsten, den treusten der Vätter verlohren; wo mich nichts zu trösten vermag, als daß dem Besten nun wohl ist, und daß ich doch so glüklich gewesen bin, Ihm während seinem langen, schmerzhaften Krankenlager pflegen zu können. Ich danke Gott, der Ihm Kräfte und Muth schenkte, mit mir zu reisen.
Ich bitte Sie Theurste Freunde, theilen Sie unsern Theuren Verwandten u Freunden, diesen Brief mit, Sie werden mir ja verzeihn, daß ich nicht an Alle besonders schreibe, denn ich habe gar sehr viel zu schreiben.
8: Tage vor seinem Tode, sagte der Sellige zu mir mit der heitersten Miene, behalte mich im Andenken, bis wir uns wiedersehn, und den Tag drauf, ich weiß, ich werde ganz ruhig entschlafen. 24: Stunden vor seinem Verscheiden, sagte Er mir noch, mit sterbender Stimme, du bist meine Seele, schloß die Augen, und öfnete sie nicht wieder, ich hofte es immer, aber sie blieben auf immer geschloßen: die Miene, mit [/] welcher Er während 36: Stunden lang nach seinem Hinscheid, da lag, kann ich Ihnen nicht beschreiben, es war der lebhafteste Ausdruk der Ruh, der Mund lächelte freundlich, auf der Stirne, und den Augenliedern, war ein Ausdruk von Größe, Erhabenheit, und Milde, die ich durch keine Beschreibung mittheilen kann. Wir werden dem Selligen einen Grabstein sezen laßen, auf dem die HaubtZüge seines reinen [edlen] Herzen, zum Andenken stehn sollen.
Ich muß auch mit Dank gegen dem Gütigen Gott, und um der Wahrheit Zeugniß zu geben, sagen wie viele innige, wahre Theilnahme, ich theils von meinem redlichen Mann, und meinen hiesigen Freunden gehabt habe: Sie fühlten’s mit, was es heiße, einen solchen Vatter zu verliehren.
Ich glaubte Theurste Freunde, daß Ihnen diese kleinen Umständlichkeiten, von meinem Selligen Vatter, auch angenehm zu hören wären, drum war ich so umständlich:
Gott schenke Ihnen alle, was Sie wirklich glüklich machen kann: mein ganzes Herz dankt Ihnen <mit> Rührung, für alle Liebe, und Freundschaft, welche Sie meinem Theuren Selligen Vatter erzeigten, Gott seegne Sie dafür. Ich bin, mit dem Dankbahrsten Herzen Ihre <E.> Fichtin g: Rahn.
Mein lieber Mann empfiehlt sich Ihnen herzlich.
Briefkopfdaten
  • Datum: Freitag, 9. Oktober 1795
  • Absender: Johanna Fichte ·
  • Empfänger: Johann Heinrich Rahn ·
  • Absendeort: Jena · ·
  • Empfangsort: Zürich · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 415‒417.
Handschrift
  • Datengeber: Zentralbibliothek Zürich
Sprache
  • Deutsch

Basics · Zitieren