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Johann Jakob Wagner to Johann Gottlieb Fichte

Nürnberg d 21 Xbr 1799.
Gerade lege ich Ihre SittenLehre aus der Hand, und, wie an dem Faden der Caussalität geleitet, gehe ich auf den Urheber des treflichen Werks über. Oft schon wollte es mir einfallen, daß wir schon lange nicht mehr Buchstaben gewechselt haben; aber diese Erinnerung besiegte der lebhaftere Gedanke, daß wir nur jenseits der Zeit u des Raums zusammentreffen. Darum keine Klage über Ihr langes Stillschweigen.
Diesmal schreibe ich Ihnen, um Sie zu bitten, für meinen Freund Kanne, wo möglich, bald eine Hofmeisterstelle auszumachen. Es ist ihm nämlich nicht nur nicht möglich mit seinem gegenwärtigen Gehalte von 75 <th>, den man ihm durchaus nicht erhöhen will, zu leben, sondern er ist auch unter den Menschen die er hier um sich hat, sehr übel a son aise. Zudem sind ihm in Rüksicht seiner Wirksamkeit auf seine Eleven die Hände äusserst gebunden. Wissen Sie also eine andre Hofmeisterstelle, so bitte ich Sie, ihn dazu zu empfehlen, und mir es schleunig zu melden! Ihn kennen Sie selbst, und ich kann Sie versichern, daß er bis iezt die Hofnungen, die er damals, als Sie ihn kennen lernten, in Ihnen rege machen konnte, gar nicht täuscht. Eine Stelle, die er antreten könnte, müßte aber weder in Berlin selbst noch in der Nähe von Berlin seyn. [/]
Dem Gange Ihrer Schiksale in der litterarischen und menschlichen Welt habe ich indeß mit der Theilnahme zugesehen, die Sie an mir kennen. Indignirt hat es mich, daß übelwollende Menschen gegen, und wohlwollende schwache für Sie auftraten. Unter leztere rechne ich vorzüglich den Verf. der vertrauten unpartheyischen Briefe. Auf ihn eigentlich paßt jenes Bonmot: „Gott bewahre uns nur vor unsern Freunden pp.[“] Der Bär auf dem Umschlage erinnerte mich an jenen in der Fabel, der die Fliegen auf seines Herren Stirne mit grossen Quaderstücken todt warf. Zog der Mensch nicht sogar Ihre bescheidene Gattinn für die Augen des gaffenden Publikums! – Herders Metakritik und Wielands Anzeige davon kam mir noch nicht zu Gesicht; nur Stellen daraus wurden mir bekannt. – Mich wundert, sagte ich darüber zu Leuchs, wie Männer, die so lange mit den Wissenschaften lebten, in ihrem grauen Alter noch so leidenschaftlich toben können. – Mich wundert auch entgegnete er, daß sie sich nicht mehr in ihrer Gewalt haben, und sich vor dem Publikum so bloß geben. – Ich halte nichts von dieser Selbstbeherrschung, erwiederte ich; nach meinen Grundsäzen muß man das seyn, was man scheinen will. – Unklug ist dies Benehmen immer, endigte Leuchs.
Meine gegenwärtige Lage kann nie mehr angenehm werden. Sie hat das mannigfaltige Drükende das aus meiner Disharmonie mit Ls Denkungsart [/] nothwendig entspringen muß, und ausserdem muß ich hier für meine Gesundheit viel zu viel sizen. Ich muß weg, wenn ich nicht geistig und körperlich verkommen will. Aussichten auf einen akademischen Wirkungskreis (den schönsten, den ich mir wünsche) habe ich für iezt, meines Wissens wenigstens, nicht. Ich muß mir daher eine andre Sphäre wählen, in der ich wenn auch nicht unmittelbar für andre, doch wenigstens für mein Innres frey wirksam seyn kann. Ich habe schon gewählt, und glänzend ist das Loos nicht, das ich mir bestimme, aber befriedigend für meine Wünsche, wenn ich denn einmal auf das Wirken auf andre Verzicht thun soll. – Ich werde mir nämlich, sobald ich die nöthige Baarschaft zusammengebracht habe, ein Bauerhaus und Garten im Salzburgischen kaufen, und von dem Ertrag des Gartens und einiger Gewerbsthätigkeit, die das Lokale bestimmen wird, unbekannt und mir selbst gegeben leben. Damit ich Menschen nicht entbehre, so wird Kanne mein Loos mit mir theilen. Die Gegend um Salzburg wähle ich wegen der grossen und reizenden NaturAnblike, die Sie beut. – Was Sagen Sie zu diesem Entschlusse? – –
Ihre Sittenlehre soll ich rezensiren im Verkündiger. Es ist eine der Unannehmlichkeiten meiner Lage, daß ich ein ganzes litterarisches Institut in mir vereinigen, und oft wöchentlich 2 bis 3 mal in allen möglichen Fächern rezensieren muß. Ich darf [/] sagen, dieser Umstand ist nicht das kleinste was mich drükt. –
Ich seufze hier in meiner Lage nach wissenschaftlicher Musse. Die Stunden, wo ich dem Comtoir entrinne, reichen nicht einmal hin, meinem Körper die nöthige Erhohlung zu verschaffen. Dann ist mir auch der beständige Geisterkampf, in den ich mit L. verflochten bin, und der meinem unbefangenen Charakter nicht entspricht, äusserst zu wider. Es ist empörend, immer schlaue Angriffe auf seine Selbstheit zurükschlagen zu müssen. Er möchte mich zu seinem Appendix machen, und wird es nie müde, neue Versuche zu diesem Zweke zu machen, so sehr ihm auch mein ganzes Wesen das Mislingen alles vorher verkündigen muß, und so derb ich ihn schon zurükgewiesen hatte. Allein er kann durchaus keine Freyheit neben sich dulden.
Bey der Lektüre Ihrer Sittenlehre regte sich oft der Wunsch in mir, daß Sie darinn nicht so viel – κατʼ ανθρωπον gesprochen haben möchten, indem diese Sorge für die Schwächern oft den Gang der Stärkern unterbricht.
Dieser Brief geht erst mit Ende dieses Monats ab. Sie erhalten ihn durch den Buchhdler. Lagarde. Ist Woltmann oft mit Ihnen zusammen? Haben Sie doch die Güte, ihm meine Empfehlung zu machen.
Ihr
Wagner.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 21. Dezember 1799
  • Sender: Johann Jakob Wagner ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Nürnberg · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 166‒168.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 201
Language
  • German

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