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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Jena den 8. Jänner 1800.
Ich habe Ihren letzten Brief, lieber Reinhold, bis jetzt deßwegen nicht beantwortet, weil ich ihn nicht beantworten konnte, wie ich sollte, durch ein Urtheil über Bouterweks Apodiktik und Bardilis Logik. Dies kann ich auch heute noch nicht.
Was mich aber bewegt, dennoch zu schreiben, ist eine Nachricht, die ich höre: Sie hätten in Kiel Verdruß gehabt; „Ihr Club – so wurde mir die Sache vorgetragen – Ihr Club sey gesprengt“ – bei Gelegenheit der Thießischen Absetzung wegen Heterodoxie.
Nicht Neugier, lobenswürdig oder nicht lobenswürdig – ich bekümmere mich seit langem fast gar nicht um fremde Angelegenheiten, indem man doch nichts als Herzzerschnei[/]dendes hört – sondern die wärmste Theilnahme an Ihren, mir nicht fremden, Angelegenheiten, die um so natürlicher ist, je frischer das Andenken Ihrer Theilnahme an den meinigen, bewegt mich, Sie zu fragen: Was ist an der Sache? Kann Ihnen ein innigst ergebner Freund durch Rath oder That nützlich werden?
Ich bin bis zu Ende dieses Monats allhier, wo ich seit Anfang des Dezembers mich aufhalte. Dann denke ich mit meiner Familie nach Berlin zurückzugehen.
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Jacobi’s Vorrede zum überflüssigen Taschenbuche hat mich mehr gefreut, als sein vermehrtes Schreiben. Ob und wann ich eine Antwort erscheinen lassen werde, weiß ich noch nicht. Ich habe daher das Schreiben bis jetzt auch nur vorläufig durchgegangen und durchgedacht, d. i. noch nicht so, wie der es muß, der es beantworten will.
So viel scheint mir aber schon jetzt klar:
1) Daß Jacobi meine Philosophie nur zur Hälfte kennt: den praktischen Theil derselben nämlich gar nicht. Dies erregt um so mehr meine Verwunderung, da ich weiß, daß er meine Sittenlehre fleißig studirt hat. Ich hoffe, recht bald Ihnen und ihm meine Bestimmung des Menschen zuzuschicken, durch deren drittes Buch ich für jeden unbefangenen Denker, mithin für Jacobi sicher, nun endlich diesen Theil meiner Philosophie in ein unverkennbares Licht gesetzt zu haben glaube.
2) Daß er sich arger Verdrehungen, obwohl er sie nicht erfunden, dennoch theilhaftig macht. Ich hätte keinen lebendigen und kräftigen Gott, mein Gott sey durch und durch Begriff. – So etwas wundert mich nicht von Heusingern, wohl aber von Jacobi. Daß moralische Weltordnung nicht nothwendig ordo ordinatus (wie alle meine Recensenten und Gegner, mit dem schon gefaßten Vorsatze, mich zum Atheisten zu erklären, mich verstanden haben), sondern auch [/] wohl ordo ordinans seyn könnte, zu vermuthen, war vom Erklärer des Spinoza zu erwarten; und daß sie es seyn mußte, mußte der Zusammenhang und einige Bekanntschaft mit meinem Systeme lehren.
3) Daß ihm einige des tiefsten Denkers unsrer Zeit, (dies ist er mir gewesen, weit über Kant, seit ich ihn ganz kenne, und dies wird er mir stets bleiben) nicht würdige Aeußerungen entgangen. Z. B. das Bestehen auf einer Persönlichkeit Gottes war mir schon in seinem Idealismus und Realismus auffallend; und nunmehr wieder? Was mir Persönlichkeit heiße, habe ich in meinem Naturrechte auseinandergesetzt; vielleicht denkt Jacobi etwas anderes Bestimmtes bei diesem Worte, aber was, mit dem gewöhnlichen Gebrauche desselben nur die entfernteste Analogie Habendes, das nicht dem Gedanken des Unendlichen geradezu widerspräche? Bewußtseyn Gottes möchte noch hingehen. Wir müssen einen Zusammenhang des Göttlichen mit unserm Wissen annehmen, den wir nicht füglich anders, denn als ein Wissen der Materie nach denken können, nur nicht der Form unsers discursiven Bewußtseyns nach. Nur das letztere läugnete ich und werde es läugnen, so lange ich meiner Vernunft mächtig bin.
Meine Theorie streite mit den Aeußerungen des natürlichen Verstandes? Sage mir doch Jacobi, wo denn auch-nur eine Ahnung einer Repräsentation des natürlichen Verstandes über diesen Gegenstand anzutreffen sey? Ich finde überall nur den durch irgend eine Theologie verkünstelten Verstand. Was der natürliche Verstand darüber sage, wird sich erst ergeben, nachdem man ihn frei gemacht.
Jacobi scheint in seinem Eifer mich oft für Mendelssohn oder seines Gleichen anzusehen, die eine Religion in die Menschen hineinraisonniren wollen. Ist ihm noch nicht bekannt, daß ich die Werke der Nicolaiten hasse, wie er, und ärger? Dies kann auch wohl nur die Behauptung in der Vorrede, „ich habe einen einzig möglichen Theismus [/] aufstellen wollen,“ bedeuten, wenn – sie nicht etwas Schlimmeres bedeutet. Nämlich
4) ich fange an, Jacobi in Verdacht eines sehr schädlichen Irrthums zu ziehen. Ich lege über diesen Verdacht meine Gedanken klar dar.
Meine Philosophie hat ihr Wesen so gut im Nichtwissen als die Jacobische. Nun hat er mich im Verdacht, daß ich in diesem Nichtwissen selig seyn wolle, und da hat er in der That den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber was will denn Er mit seinem Nichtwissen anfangen? Etwa in die leere Stelle nach Herzenslust – wir andern nennen’s Fratzen und Chimären – hineinpflanzen nach seiner Individualität – und – wenn’s gnädig abgeht – jedem Andern erlauben, auch, was er will, in sie zu setzen – auch nach seiner Individualität? – Dies ist nun keinesweges meine Rechnung. Ich meine, daß von dem Einen aus, was wir wirklich wissen – unsrer Pflicht[,] durch gemeinsame Vernunftgesetze, nach unten – der Sinnenwelt – und nach oben – der übersinnlichen, genau bestimmt sey, was wir weiter setzen können; und daß da allerdings Keiner den Andern nöthigen könne, dies zu setzen (indem der Antrieb aus ihm selbst kommen muß), aber wenn er es gegen die Vernunftgesetze und über sie hinaus setzt, ihm sagen könne: Du bist ein Schwärmer, ohne daß der Andere erwiedern dürfe; – daß er, mit Jacobi zu reden: ihm „den Sparren zu viel“ getrost an den Kopf werfen könne, ohne daß der Andere „den Sparren zu wenig“ zurückwerfen dürfe. – Wenn dies mein einzig möglicher Theismus ist, so gestehe ich Alles ein, aber keinesweges als eine Schuld.
Noch mehr. Jacobi sagt, daß er über den Begriff von Freiheit u.s.w. mit mir schwerlich eins werden werde, und erklärt sich in der Beilage so, als ob er mich im Verdachte hätte, ein heimlicher Abläugner der Freiheit zu seyn. In Hinsicht des Letzteren hat es nun mit mir wohl keine Gefahr. Mein System ist vom Anfange bis zu Ende nur eine [/] Analyse des Begriffs der Freiheit und es kann in ihm diesem nicht widersprochen werden, indem gar kein anderes Ingrediens hineinkommt. Aber ich fürchte aus dieser und allen Aeußerungen, die ich bei Jacobi noch je über Freiheit gefunden, daß Er selbst es sey, der die eigentliche persönliche Freiheit des endlichen Wesens läugnet, um alle Thätigkeit in diesem auf den Unendlichen, als den letzten Grund derselben, zu übertragen (wie ich auch in Ihrem gedruckten Schreiben an mich die dahin wenigstens zu deutende Aeußerung finde: Gott sey der Grund der Freiheit). Ist diese Vermuthung Wahrheit, – wie sie denn auch durch das Jacobische Ausgehen vom Seyn, jetzt vom Wahren, im Gegensatz der Wahrheit, bestärkt wird – so habe ich bis zu dieser Voraussetzung Jacobi mißverstanden, kann erst nun mir alle seine sonderbar geschienenen Aeußerungen erklären und seinen Feuereifer gegen mein System; aber so beredt er ist, seinen Abscheu gegen das meinige auszudrücken, so fehlt es mir doch schlechterdings am Ausdrucke für meinen Abscheu gegen das seinige. Zu überzeugen ist ein Solcher nicht, gleichfalls nach Jacobi’s Geständniß; denn das Bewußtseyn der persönlichen Freiheit kann man nur in sich selbst finden und die Realität desselben nur glauben. Zu peinigen ist er, wie jeder Dogmatiker; denn ohne Voraussetzung der Freiheit ist das Bewußtseyn sogar nicht begreiflich. Ein solches System ist Spinozism, Mysticism, – wenn es etwa die Bibel als Gotteswort annimmt, Lavaterianism; (mit dem letztern habe ich in diesen Tagen mich wieder genau bekannt gemacht, und es, unter seinen Voraussetzungen, consequent, aber – abscheulich gefunden). Und so ist aller Mysticism. Ist Jacobi ein Solcher, so ist nur übel, daß er es nicht gerade heraussagt.
Doch genug für einen vorläufigen Bericht, in dem ich mich nun so hingehen ließ.
Von Bouterwek kann ich doch, seinen Recensionen in den Göttingischen Anzeigen nach, nichts erwarten. Wer es [/] noch nicht begriffen hat, daß unser Wissen immer nur auf das Wissen selbst geht – wer es noch immer vergißt, wenn er etwas denkt, daß er es eben denkt, jetzt noch einen Realismus von der Erkenntniß aus begründen will, und nicht einsieht, daß alle Realität nur durch – Neigung will ich sagen, um kurz zu seyn, – entsteht, wie dies Bouterwek alles nicht einsieht, der wird es wohl nie einsehen. Dazu seine Begier, schlechterdings Aufsehen zu machen. (S. Götting. Anz. St. 199. J. 1799.) In eine solche Seele kommt die Weisheit wohl schwerlich. Ueberhaupt halte ich mich für völlig losgesprochen, eine dogmatische Schrift zu lesen, weil ich sehr wohl zu wissen glaube, was sie vorbringen könne, und daß es Nichts sey. Doch werde ich die Apodiktik Ihnen zu Liebe lesen.
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Ich merke, daß wir im Fache der Spekulation noch zu viel mit einander auszugleichen haben dürften, als daß wir in dem der schönen Wissenschaften streiten sollten, in welchem allem Ansehen nach unsre Urtheile sehr verschieden seyn mögen. Daß der Agathon ein Zeitalter fand, für welches er zu früh kam, und Lessing sich bewogen fand, dies dem Zeitalter derb aufzurücken, beweist nicht, daß der Verfasser desselben ein klassischer Schriftsteller für alle Zeiten und Völker sey, und bei ihm die schöne [/] Litteratur stehen bleiben müße: und dieses allein war es doch, was ich läugnete.
Da doch gewiß nicht Kant, sondern Gott weiß wer – die Kantische Erklärung in die Hamburger Zeitungen rücken laßen, so kann auch ich es nicht seyn, der die meinige einrücken läßt. War der, der das erste that, ein billiger Mann ohne Nebenabsichten, so wird er ja auch das leztere thun, da er meine Erklärung eben da finden wird, wo er die Kantische fand. Ich habe mehr zu thun, als mit dem Redacteur der Hamburger Zeitung zu streiten, sonst hätte ich es auch eher thun müßen gegen die Lügen, die man dort auf genommen; und gegen die Sinngedichte von den Thoren, die in unsern Tagen laut sagen, daß kein Gott sey. Den, oder die Verfaßer der leztern wird vielleicht unser Freund Jacobi kennen, und sie zu tolerantern Gesinnungen gegen mich stimmen können. [/]
Ich habe mich gehen laßen im Schreiben, und bin vielleicht durch die Erinnerung an so manches Unangenehme unvermerkt selbst unangenehm im Tone geworden.
Ich kehre zurük zu dem, wovon ich ausging, zu meiner Bitte um baldige Nachrichten von Ihnen (seyen es auch nur ein paar Zeilen) und zur Versicherung meiner wärmsten innigsten Theilnahme.
Ewig der Ihrige
Fichte
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 8. Januar 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 178‒184.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 204
Language
  • German

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