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Friedrich Schleiermacher to Samuel Heinrich Catel

Schlobitten d 29t. Aug. 1791.
Es ist doch schlimm, lieber Schaz, daß das Datum meines Briefes gar nicht wechselt, immer das demüthige unbekannte Schlobitten – Du hingegen aus dem berühmten Leipzig, aus dem frölichen Lauchstädt p und Gott weiß wo es noch alles seyn wird. Inzwischen kann ich Dich doch versichern ist eben dieser Wechsel in Deinem Datum Ursach, daß Du das meinige so spät empfängst, denn ich schreibe nicht gern an die Leute wenn sie nicht daheim in ihrem Kämmerlein sind weil ich es nicht gern habe daß meine Briefe als Landläufer herumziehn und überall fragen: „Adam wo bist Du?“ Ich schreibe also erst jezt erst da ich hoffe daß die Badezeit beim Empfang dieses beendigt und Deine Familie wieder nach ihrem Feuerheerd zurükgekehrt seyn wird.
Daß Du nicht gesund gewesen bist, da hast Du sehr übel dran gethan, denn es ist immer beßer man geht nach dem Bade um seinen Beutel oder seinen Sorgensak leichter zu machen oder noch einen andern Sak, als wenn man auf Blut und Säfte dabei Rüksicht nehmen muß. Aber das muß ich Dir laßen, daß die Eskulaps einen sanftmüthigen Lastträger an Dir haben – wie? sie haben Dich geschröpft, haben Dich Theer saufen laßen und Gott weiß auf was noch für andere Art kuranzt, und Du gibst getrost zu, daß Du dadurch beßer geworden bist? Das heißt recht „er schalt nicht wieder da er gescholten ward“. Doch halt mir fällt eben bei, daß ich – ich weiß nicht ob disseits oder jenseits meines lezten Briefes an Dich in dem nemlichen Fall gewesen bin | ich hatte schrekliche Kopfschmerzen die nur dem Stich einer spanischen Fliege weichen wollten, aber distinguendum diese Kur war meine eigne Idee und doch überlaß ich es dem Himmel zu bestimmen, was eigentlich Ursach meiner Besserung gewesen ist, genug ich habe sie und hoffe, Du sollst sie auch haben. – Mein Doktor, wenn er auch der Deinige wäre würde sich gewaltig hinter den Ohren gekrazt haben wenn Du während seiner Kur Verdrießlichkeiten gehabt hättest – das ist eine Todsünde – der Körper mag sehn wie er dabei zurechtkommt, aber für die Seele ist es äußerst gesund so einen Hauptstrauß einmal zu haben, da werden alle Theile der Masse recht heilsam untereinander geschüttelt und es ist das beste Abführungsmittel für alle Kleinigkeiten an Unrath die man hie und da gesamlet hat. Ueber meinen damaligen Fall hab ich hinter drein noch von allen denen ich es gesagt und geschrieben so viel hören müßen, daß ich am Ende gar nicht klug draus wurde. Jeder hat so seinen eignen Gesichtspunkt, der eine besieht die Sache nach ihren Gründen, der andre nach ihren Folgen der dritte nach ihren möglichen Folgen (in der scientia media wenn Du die noch aus der Dogmatik kennst) der eine betrachtet sie in Bezug auf das Interesse, der andre auf das Vergnügen der dritte auf die Klugheit der vierte auf die Freiheit und alle meinen sie sähen es blos nach der Moralität an. Ich für mein Theil habe alles Lob und Tadel geduldig angehört und haße von Grund der Seelen alle Revision eins Prozeßes der einmal durch die unwiderrufliche Akte des geschehenen geschloßen ist – außer wenn man die Akten für einen andern Fall brauchen kann, und das thu ich denn in aller Stille – Du warst in so fern glüklicher, daß du Deine | Sache bei einem Dritten anbringen konntest, der denn ganz gelassen die Sache wieder ins rechte Gleis brachte, da mein Dritter erst gerufen wurde um die Karre wieder aus dem Koth zu ziehn – Deine Reisen haben mir viel Plaisir gemacht, erstlich aus dem leicht zu fassenden Gesichtspunkt, daß es die Deinigen sind, und zweitens aus dem etwas sonderbaren Gesichtspunkt daß es nicht die meinigen sind – es thut meiner vis inertiae so wol weder in Eisleben noch in Derrnborg noch anderswo gewesen zu seyn und ist mir dabei eben so zu Muth als jezt, da ich es draußen regnen und stürmen höre und hier hinter meinem Schreibtisch size und mir das Bein krabbe wie weiland der weise Sokrates. Diese ruhige Gesinnung wirst Du denn auch bei mir finden wenn Du kommst auf meiner Pfarre zu leben – das soll Dir was schmukes werden. Straft mich der Himmel mit einer Pfarre so segnet er mich auch mit einer Frau (denn ich glaube nicht daß er einen in die Hölle schikt ohne zu erlauben, daß man den Finger ins Wasser tauchen kann um die Zunge zu kühlen) Das soll Dir ein artiges liebes gutes Weib seyn und wenn Du vernünftig bist so will ich gar nicht eifersüchtig werden, wenn sie Dir auch ein bischen behagt – aber vernünftig verstehst Du? Dann gibt uns der Himmel im Winter einen warmen Ofen und im Sommer einen Garten oder wenigstens eine Laube mit einer Bank vor der Thür, und Du sollst das Privilegium haben überall Tabak zu rauchen, und meine Jungens das ABC. in Pfefferkuchen zu lernen, dafür bakt Dir meine Frau an Deinem Geburtstag und an allen hohen Festen einen großen Kuchen und spielt Piket L’Hombre und Tarok mit Dir NB wenn die Wirthschaft besorgt ist. – Aber sieh mal ich glaube ich habe Dir | schon zu viel davon erzählt, denn ad vocem Frau wird Dir das Maul wäßern und änderst Deinen Sinn wieder. Uebrigens ist mir noch gar nicht recht, daß Du die Theologie verlaßen willst; die neue Einrichtung laß Dich doch nicht kümmern, bei uns hat das nichts zu sagen, geht alles seinen alten Weg und man fährt drauf wo nicht so schnell und bequem wie auf der Chaussée der Hof und Weltleute, aber doch am Ende ziemlich sicher; mit der Erziehung aber ist es so eine mißliche Sache und man weiß nicht recht, wie man damit geschoren ist. – Das verlangte Recept zu dem seinigen zu kommen, kann ich Dir nicht andienen, aber da Dich die politischen Angelegenheiten beschäftigen, so bitte ich Dich, tröste dich mit den Türken, die drei mächtige Alliirte haben, und doch nicht dazu gelangen können – Frankreich ist mir eben so interessant, als es Dir nur seyn kann und ich möchte wol wißen was die 3 hohen Häupter welche dieser Tage in Dresden versammelt gewesen sind (oder vielmehr diejenigen welche die Mühe übernommen haben für diese 3 Herrn zu denken) gegen das gute Volk ausgehekt haben. Gott verdamme ihre despotischen Absichten – Bis jezt aber wirst Du sagen stünde in dem ganzen Briefe noch nichts von mir, und doch neigt er sich zu seinem Ende. Was sollte auch von mir drin stehn? Ich bin wie Wielands Fische deren Lektion Du im 5ten Theil der auserlesenen Gedichte nachschlagen kannst – commentire über jeden Artikel nach Herzenslust und Du wirst für jeden etwas passendes finden. Nur den „und karg zu eßen“ bitte ich zu Ehre der Schlobittischen Tafel nicht von der leiblichen sondern etwa von der gelehrten geistigen Speise zu verstehn von der ich in der That hier nicht fett werden werde. – Schließlich gebe ich Dir den Rath den in eben dem Stük der Sultan seinem Großvezier gibt: Regiert im übrigen mit Glük verschiebt so viel ihr könnt auf Morgen (nur nicht das Antworten an mich) Sorgt immer für den Augenblik und Gott laßt für die Zukunft sorgen. Vale et fave
Schleiermacher.
Für alle Nachrichten von Salina und ihren ehemaligen Söhnen viel Dank
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 29. August 1791
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Samuel Heinrich Catel ·
  • Place of Dispatch: Schlobitten ·
  • Place of Destination: Leipzig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 226‒230.

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