Schlobitten, 9. September 1791.
Hochgeborner Reichsgraf, Gnädiger Graf. Ich kann das Wagestück, welches Sie hier sehen mit nichts entschuldigen, als mit der zuvorkommenden Güte, womit Sie einigemal meiner erwähnt und mich Ihrer Wolgewogenheit haben versichern lassen. Sollte mir diese nicht wenigstens einen Schein des Rechtes geben, Ihnen, gnädiger Graf meine innige Dankbarkeit dafür unmittelbar zu bezeigen? Ihre älteste gnädige Comteß Schwester sagt: ja – und so will ich das gute Sprüchwort nicht zuschanden machen, daß man nach einer Handbreit greift, wenn einem eines Strohhalms breit geboten wird. Ich hätte es auch schon eher in Erfüllung gebracht, wenn mir nicht bisher immer irgend ein kleiner Zufall in den Weg getreten wäre. Diese Zufälle überhaupt scheinen mir in Rücksicht auf Sie, mein gnädiger Graf, gar nicht günstig zu seyn: sie kommen wenn sie nicht kommen sollten und bleiben aus wenn sie erwünscht gewesen wären. – Hätte mich nicht vor dem Jahr bei meiner Reise nach Schlobitten irgend ein wolmeinendes Uebel acht Tage länger in Berlin aufhalten können? Dann wären Sie | der erste gewesen, dem ich die Ehre gehabt hätte mich vorzustellen, und nun – wer weiß wie weit noch ein günstiger Zusammenfluß von Umständen entfernt ist, der auch diesen Wunsch meines Herzens seiner Erfüllung näher bringt. Unterdessen muß ich mich begnügen, mir aus alle dem Guten und Schönen was ich von Ihnen höre und mit Hülfe eines Portraits, das ich einmal gesehn habe eine Idee zusammenzusezen, dann und wann etwas von Ihrem Wolergehen zu erfahren, und die allgemeine Zufriedenheit zu bemerken welche alle unmittelbare und mittelbare Nachrichten von Ihnen begleitet und Eltern und Geschwistern die unvermeidliche Abwesenheit ihres entferntesten erleichtert.
Daß ich bei alle diesem auch mein Theil empfinde brauche ich Sie, gnädiger Graf wol nicht erst zu versichern; denn es muß denke ich eine alte Erfahrung für Sie seyn, daß auch ein Fremdling, wenn ihm anders Kopf und Herz nicht ganz am unrechten Fleck stehn, nicht lange in näheren Verhältnißen in Schlobitten seyn kann ohne mit einem lebhaften Intereße für alles was eine solche Familie betrift erfüllt zu werden. Diese Theilnahme und der Mitgenuß so vieler ächter Lebensfreuden sind auch für mich eine reiche Quelle von Glückseligkeit, und ich wünschte nur daß ich in Schlobitten so nüzlich wäre, als ich durch Schlobitten glücklich bin — das wäre aber in der That sehr viel von mir selbst verlangt. – Sie fragen mich gnädiger Graf ob ich Nachrichten von Selmar habe, und ich muß leider diese gütige Frage mit Nein beantworten. Wir waren bei unserer lezten Trennung beide außer Stand uns mit Gewißheit unsere Adreßen zu geben, und ich kenne keinen seiner Berlinischen Freunde genau genug um mich bei einem darnach zu erkundigen – So habe ich also diese ganze Zeit ohne nähere Nachrichten von ihm gelebt. Ich muß gestehn, daß mir | das in seiner jezigen Lage – da einem solchen Geist und Charakter in seinem Vaterland bei den öffentlichen Geschäften so mancherlei Gefahren drohn – weit ängstlicher ist, als es mir wäre, wenn er noch in einsamer Ruhe den Wißenschaften und seinen Freunden lebte. Ich liebe ihn so sehr und Sie können denken wie sehr es mich gefreut hat durch seine Gedichte und durch Ihre sicherere Bestätigung deßen was mein partheiischer Eifer zu seinem Lobe sagte einiges Intereße für ihn in Schlobitten zu erregen. – Wäre doch sein Freund so glücklich auch für sich selbst das Ihrige in irgend einem Grad zu erhalten! Und möchte er Ihnen durch mehr als Worte die Aufrichtigkeit seiner Wünsche hierüber beweisen können! Verzeihen Sie mir meine langweilige Kühnheit und erlauben Sie mir mich Ihrer Wolgewogenheit zu empfehlen mit allen den hochachtungsvollen Empfindungen, womit ich die Ehre habe zu seyn
Gnädiger Graf Ihr ganz unterthänigster Diener
Schleiermacher.
Hochgeborner Reichsgraf, Gnädiger Graf. Ich kann das Wagestück, welches Sie hier sehen mit nichts entschuldigen, als mit der zuvorkommenden Güte, womit Sie einigemal meiner erwähnt und mich Ihrer Wolgewogenheit haben versichern lassen. Sollte mir diese nicht wenigstens einen Schein des Rechtes geben, Ihnen, gnädiger Graf meine innige Dankbarkeit dafür unmittelbar zu bezeigen? Ihre älteste gnädige Comteß Schwester sagt: ja – und so will ich das gute Sprüchwort nicht zuschanden machen, daß man nach einer Handbreit greift, wenn einem eines Strohhalms breit geboten wird. Ich hätte es auch schon eher in Erfüllung gebracht, wenn mir nicht bisher immer irgend ein kleiner Zufall in den Weg getreten wäre. Diese Zufälle überhaupt scheinen mir in Rücksicht auf Sie, mein gnädiger Graf, gar nicht günstig zu seyn: sie kommen wenn sie nicht kommen sollten und bleiben aus wenn sie erwünscht gewesen wären. – Hätte mich nicht vor dem Jahr bei meiner Reise nach Schlobitten irgend ein wolmeinendes Uebel acht Tage länger in Berlin aufhalten können? Dann wären Sie | der erste gewesen, dem ich die Ehre gehabt hätte mich vorzustellen, und nun – wer weiß wie weit noch ein günstiger Zusammenfluß von Umständen entfernt ist, der auch diesen Wunsch meines Herzens seiner Erfüllung näher bringt. Unterdessen muß ich mich begnügen, mir aus alle dem Guten und Schönen was ich von Ihnen höre und mit Hülfe eines Portraits, das ich einmal gesehn habe eine Idee zusammenzusezen, dann und wann etwas von Ihrem Wolergehen zu erfahren, und die allgemeine Zufriedenheit zu bemerken welche alle unmittelbare und mittelbare Nachrichten von Ihnen begleitet und Eltern und Geschwistern die unvermeidliche Abwesenheit ihres entferntesten erleichtert.
Daß ich bei alle diesem auch mein Theil empfinde brauche ich Sie, gnädiger Graf wol nicht erst zu versichern; denn es muß denke ich eine alte Erfahrung für Sie seyn, daß auch ein Fremdling, wenn ihm anders Kopf und Herz nicht ganz am unrechten Fleck stehn, nicht lange in näheren Verhältnißen in Schlobitten seyn kann ohne mit einem lebhaften Intereße für alles was eine solche Familie betrift erfüllt zu werden. Diese Theilnahme und der Mitgenuß so vieler ächter Lebensfreuden sind auch für mich eine reiche Quelle von Glückseligkeit, und ich wünschte nur daß ich in Schlobitten so nüzlich wäre, als ich durch Schlobitten glücklich bin — das wäre aber in der That sehr viel von mir selbst verlangt. – Sie fragen mich gnädiger Graf ob ich Nachrichten von Selmar habe, und ich muß leider diese gütige Frage mit Nein beantworten. Wir waren bei unserer lezten Trennung beide außer Stand uns mit Gewißheit unsere Adreßen zu geben, und ich kenne keinen seiner Berlinischen Freunde genau genug um mich bei einem darnach zu erkundigen – So habe ich also diese ganze Zeit ohne nähere Nachrichten von ihm gelebt. Ich muß gestehn, daß mir | das in seiner jezigen Lage – da einem solchen Geist und Charakter in seinem Vaterland bei den öffentlichen Geschäften so mancherlei Gefahren drohn – weit ängstlicher ist, als es mir wäre, wenn er noch in einsamer Ruhe den Wißenschaften und seinen Freunden lebte. Ich liebe ihn so sehr und Sie können denken wie sehr es mich gefreut hat durch seine Gedichte und durch Ihre sicherere Bestätigung deßen was mein partheiischer Eifer zu seinem Lobe sagte einiges Intereße für ihn in Schlobitten zu erregen. – Wäre doch sein Freund so glücklich auch für sich selbst das Ihrige in irgend einem Grad zu erhalten! Und möchte er Ihnen durch mehr als Worte die Aufrichtigkeit seiner Wünsche hierüber beweisen können! Verzeihen Sie mir meine langweilige Kühnheit und erlauben Sie mir mich Ihrer Wolgewogenheit zu empfehlen mit allen den hochachtungsvollen Empfindungen, womit ich die Ehre habe zu seyn
Gnädiger Graf Ihr ganz unterthänigster Diener
Schleiermacher.