Landsberg, den 9. Januar 1795.
Mein bester Graf. Sobald ich durch Graf Louis von Ihrer Ankunft in Berlin benachrichtigt war, nahm ich mir auch vor Sie dazu zu begrüßen, und den Faden unserer abgebrochenen Gemeinschaft, so viel an mir lag wieder anzuknüpfen. Aber wie es denn zu gehen pflegt – es war unterblieben, bis ich zu meiner großen Beschämung Ihr freundschaftliches Schreiben | erhielt. So seyn Sie mir denn herzlich willkommen am Anfang Ihres öffentlichen Lebens, und in dem großen Siz der feinen Sitten, der Gelehrsamkeit, des Wizes und der Üppigkeit. Ihr edler Geist möge sich an den ersten bereichern, ohne sein eigenthümliches Gepräge zu verlieren, und der letzten immer zusehn, ohne aus seiner tugendhaften Ruhe gestört zu werden. Daß Sie sich in Berlin gefallen freut mich herzlich und da Graf Alexander Sie wahrscheinlich bei allen seinen Bekanntschaften eingeführt hat, so kann es Ihnen auch an mancherlei Freuden nicht fehlen. Ob Sie aber alle Bedürfnisse Ihres Geistes und Herzens werden befriedigen können, ob Sie irgendwo das häusliche Wesen, die Art von Geselligkeit antreffen werden, an welcher Sie so sehr hingen, das wäre ich begierig zu wissen, und wenn es so wäre, wollte ich Sie doppelt glücklich preisen. – Die Verhältnisse in welchen Sie Ihre geselligen Stunden zubringen, kenne ich wahrscheinlich alle nur von weitem und aus der dritten Hand. Zur großen Welt hatte ich natürlich gar keinen Zutritt, für die feine machte mich der Schulstaub noch ungeschickter als ich schon von Natur bin, und bei der gelehrten hatte ich noch nicht recht Zeit gehabt mich einzuführen, als ich von meinem Schicksal hieher geführt ward. Mein Umgang beschränkte sich also auf einige meiner Vorgesetzten, ein paar alte Bekannte meines Vaters (der mir – ich weiß Sie nehmen Theil an meinen Begebenheiten – vor einigen Monaten gestorben ist) und ein paar alte Universitätsfreunde, von denen aber nur noch einer in Berlin ist, der Legations-Sekretär von Brinckmann, den Sie in Schlobitten als Selmar gekannt haben. Aber dem sei nun wie ihm wolle, so werde ich doch mit vielen Ihrer Bekannten auch nicht ganz unbekannt seyn und an Ihren Nachrichten und Urtheilen auf jeden Fall viel Interesse nehmen können, theils durch Vergleichung mit dem, was ich aus anderen Quellen von Ihnen weiß, theils wegen der Wichtigkeit die immer alles für mich haben wird, was mich mit Ihnen und Ihren Gesinnungen bekannt erhält und bekanntet macht. Bleiben Sie also, ich bitte, Ihrem guten Vorsatz Sich bisweilen mit mir von | Ihren Verhältnissen und Ansichten zu unterhalten getreu, und seyn Sie versichert, daß dies Gespräch nie aus dem Grunde einschlafen wird, weil mir diese Gegenstände fremd oder gleichgültig wären.
Graf Louis unvermuthete Erscheinung hat mir, wie Sie leicht denken können außerordentliche Freude gemacht, ja ich behaupte kühn, daß die im Krebsischen Hause nicht größer gewesen seyn kann, als die meinige. Die einzige flüchtige Stunde, die er mir schenken konnte verschwand unter gegenseitigen Fragen und Antworten sehr schnell, aber noch erinnere ich mich ihrer oft mit dankbarem Vergnügen. Es macht mich nur verlegen, daß ich nicht weiß an wen ich mich mit meiner Dankbarkeit für diese Wohlthat wenden soll. Daß er meinen hiesigen Aufenthalt nicht eher als in Berlin erfahren weiß ich: ob er aber selbst nach mir gefragt, oder ob Sie mich in sein Andenken zurückgerufen, das habe ich nicht erkundet. Die Aussichten die sich ihm für seine künftige Carriere eröffnen sind sehr lachend, aber wie es bei schönen Aussichten gewöhnlich der Fall ist, sie haben auch ihre gefährlichen Seiten.
Über die Art Ihrer Geschäfte in Berlin kann ich in Ihrem Briefe gar nicht klar sehen. Sie haben doch Ihren Plan zum Besten des auswärtigen Departements nicht aufgegeben? und wenn Sie ihm noch treu sind, was machen Sie mit dem staubigen Juristen? und wozu wollen Sie Referendarius werden?
Daß die zertrümmerte Conföderation mir die Freude hat rauben müssen Sie lieber Graf hier zu sehn, hat mich nicht wenig geärgert und ich habe deswegen über den genauen Zusammenhang der Dinge in der Welt nicht wenig gemurrt. Was | habe ich harmlos friedfertiges Geschöpf doch den Koscziusko und Madalinsky gethan? Wenn nur wenigstens irgend eine andere Verknüpfung der Begebenheiten das bewirken wollte, daß ich nach Berlin reisen könnte oder müßte, so wäre ich einigermaßen entschädigt und könnte mir alles was ich wissen will von Ihnen mündlich auslegen lassen, aber von einer solchen Gerechtigkeit weiß das Schicksal nichts. Ich muß also die Befriedigung meiner Wünsche vor der Hand blos von Ihrer Güte hoffen, und von dem freundschaftlichen Wolwollen, welches ich mir auch in Zukunft von Ihnen verspreche. – Von Schlobitten hoffe ich, werden Sie lauter gute Nachrichten haben, und auch überzeugt seyn, daß mich alles was sich dort begiebt beständig interessiren wird. Da Graf Louis sich dort befindet, so werde ich nächstens an ihn schreiben. Dem Herrn Grafen Alexander empfehlen Sie mich doch bestens und versichern Sie Sich der beständigen Anhänglichkeit und Liebe
Ihres aufrichtig ergebenen Freundes und Dieners
Schleiermacher.
Mein bester Graf. Sobald ich durch Graf Louis von Ihrer Ankunft in Berlin benachrichtigt war, nahm ich mir auch vor Sie dazu zu begrüßen, und den Faden unserer abgebrochenen Gemeinschaft, so viel an mir lag wieder anzuknüpfen. Aber wie es denn zu gehen pflegt – es war unterblieben, bis ich zu meiner großen Beschämung Ihr freundschaftliches Schreiben | erhielt. So seyn Sie mir denn herzlich willkommen am Anfang Ihres öffentlichen Lebens, und in dem großen Siz der feinen Sitten, der Gelehrsamkeit, des Wizes und der Üppigkeit. Ihr edler Geist möge sich an den ersten bereichern, ohne sein eigenthümliches Gepräge zu verlieren, und der letzten immer zusehn, ohne aus seiner tugendhaften Ruhe gestört zu werden. Daß Sie sich in Berlin gefallen freut mich herzlich und da Graf Alexander Sie wahrscheinlich bei allen seinen Bekanntschaften eingeführt hat, so kann es Ihnen auch an mancherlei Freuden nicht fehlen. Ob Sie aber alle Bedürfnisse Ihres Geistes und Herzens werden befriedigen können, ob Sie irgendwo das häusliche Wesen, die Art von Geselligkeit antreffen werden, an welcher Sie so sehr hingen, das wäre ich begierig zu wissen, und wenn es so wäre, wollte ich Sie doppelt glücklich preisen. – Die Verhältnisse in welchen Sie Ihre geselligen Stunden zubringen, kenne ich wahrscheinlich alle nur von weitem und aus der dritten Hand. Zur großen Welt hatte ich natürlich gar keinen Zutritt, für die feine machte mich der Schulstaub noch ungeschickter als ich schon von Natur bin, und bei der gelehrten hatte ich noch nicht recht Zeit gehabt mich einzuführen, als ich von meinem Schicksal hieher geführt ward. Mein Umgang beschränkte sich also auf einige meiner Vorgesetzten, ein paar alte Bekannte meines Vaters (der mir – ich weiß Sie nehmen Theil an meinen Begebenheiten – vor einigen Monaten gestorben ist) und ein paar alte Universitätsfreunde, von denen aber nur noch einer in Berlin ist, der Legations-Sekretär von Brinckmann, den Sie in Schlobitten als Selmar gekannt haben. Aber dem sei nun wie ihm wolle, so werde ich doch mit vielen Ihrer Bekannten auch nicht ganz unbekannt seyn und an Ihren Nachrichten und Urtheilen auf jeden Fall viel Interesse nehmen können, theils durch Vergleichung mit dem, was ich aus anderen Quellen von Ihnen weiß, theils wegen der Wichtigkeit die immer alles für mich haben wird, was mich mit Ihnen und Ihren Gesinnungen bekannt erhält und bekanntet macht. Bleiben Sie also, ich bitte, Ihrem guten Vorsatz Sich bisweilen mit mir von | Ihren Verhältnissen und Ansichten zu unterhalten getreu, und seyn Sie versichert, daß dies Gespräch nie aus dem Grunde einschlafen wird, weil mir diese Gegenstände fremd oder gleichgültig wären.
Graf Louis unvermuthete Erscheinung hat mir, wie Sie leicht denken können außerordentliche Freude gemacht, ja ich behaupte kühn, daß die im Krebsischen Hause nicht größer gewesen seyn kann, als die meinige. Die einzige flüchtige Stunde, die er mir schenken konnte verschwand unter gegenseitigen Fragen und Antworten sehr schnell, aber noch erinnere ich mich ihrer oft mit dankbarem Vergnügen. Es macht mich nur verlegen, daß ich nicht weiß an wen ich mich mit meiner Dankbarkeit für diese Wohlthat wenden soll. Daß er meinen hiesigen Aufenthalt nicht eher als in Berlin erfahren weiß ich: ob er aber selbst nach mir gefragt, oder ob Sie mich in sein Andenken zurückgerufen, das habe ich nicht erkundet. Die Aussichten die sich ihm für seine künftige Carriere eröffnen sind sehr lachend, aber wie es bei schönen Aussichten gewöhnlich der Fall ist, sie haben auch ihre gefährlichen Seiten.
Über die Art Ihrer Geschäfte in Berlin kann ich in Ihrem Briefe gar nicht klar sehen. Sie haben doch Ihren Plan zum Besten des auswärtigen Departements nicht aufgegeben? und wenn Sie ihm noch treu sind, was machen Sie mit dem staubigen Juristen? und wozu wollen Sie Referendarius werden?
Daß die zertrümmerte Conföderation mir die Freude hat rauben müssen Sie lieber Graf hier zu sehn, hat mich nicht wenig geärgert und ich habe deswegen über den genauen Zusammenhang der Dinge in der Welt nicht wenig gemurrt. Was | habe ich harmlos friedfertiges Geschöpf doch den Koscziusko und Madalinsky gethan? Wenn nur wenigstens irgend eine andere Verknüpfung der Begebenheiten das bewirken wollte, daß ich nach Berlin reisen könnte oder müßte, so wäre ich einigermaßen entschädigt und könnte mir alles was ich wissen will von Ihnen mündlich auslegen lassen, aber von einer solchen Gerechtigkeit weiß das Schicksal nichts. Ich muß also die Befriedigung meiner Wünsche vor der Hand blos von Ihrer Güte hoffen, und von dem freundschaftlichen Wolwollen, welches ich mir auch in Zukunft von Ihnen verspreche. – Von Schlobitten hoffe ich, werden Sie lauter gute Nachrichten haben, und auch überzeugt seyn, daß mich alles was sich dort begiebt beständig interessiren wird. Da Graf Louis sich dort befindet, so werde ich nächstens an ihn schreiben. Dem Herrn Grafen Alexander empfehlen Sie mich doch bestens und versichern Sie Sich der beständigen Anhänglichkeit und Liebe
Ihres aufrichtig ergebenen Freundes und Dieners
Schleiermacher.