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Friedrich Schleiermacher to Alexander von Dohna

Freilich haben Sie wol Ursach sich zu wundern, lieber Graf, daß ich Ihren vorigen so sehr freundschaftlichen und interessanten Brief in so langer Zeit nicht erwiedert habe; indeßen ist es doch deswegen nicht weniger wahr, daß sein Inhalt oft der Gegenstand meiner freudigsten Theilnahme und meiner angenehmsten Reverien gewesen ist. Ich finde darin das Bild welches ich mir von Schlobitten entwerfen konnte vollkommen so wieder wie meine Hofnungen und meine Wünsche es ausmahlen konnten manches kleine Mißverhältniß ausgeglichen, hie und da ein Licht hinzugethan was die Schönheit des Ganzen vermehrt, und alles in gar lieblichen lebenden Gruppen. Kurz ich habe Ihnen oft gedankt, wenn ich auch meinen Dank nicht niedergeschrieben habe, für Ihre schöne und treue Zeichnung, treu, außer daß hie und da die Bescheidenheit mit der Sie von denen sprechen, die einen Theil Ihres Ich ausmachen, hinter der Wahrheit zurükbleibt. Wenn ich meiner gewohnten Geschwäzigkeit Raum geben wollte, so würde ich Ihre Schilderung Stük für Stük verfolgen, und in der That wüßte ich keinen Theil derselben bei dem ich nicht gern verweilte. Besonders freut es mich in manchen Stüken meine Vermuthungen erfüllt zu sehn, und vornemlich in Absicht auf Ihren Bruder Fabian. Ich hatte oft Ursach mit seinen geringen Fortschritten unzufrieden zu seyn und war bisweilen genöthigt ihn mit einer gewißen Härte zu behandeln, aber ich weissagte mir immer daß seine Fortschritte in der Folge desto schneller seyn würden und in seinem Eigensinn ahndete ich sehr deutlich jenes feine Gefühl für Recht und | Unrecht, welches sich jezt so schön entwikelt, nur daß mir es nicht vorbehalten war ein Zeitgenoße dieser besseren Periode zu seyn; ich hatte immer damit zu thun, ein gewißes System von Determinismus zu zerstören, welches sich in seiner Seele gebildet hatte, und das kostete manchen Kampf. Kürzlich ist sein Jahresfest gewesen, wo Sie ihn gewiß auch – einer sehr löblichen Schlobittischen Gewohnheit zu Folge mit einem Briefchen erfreut haben; wenn Sie das etwa wieder thun, so unterlaßen Sie nicht ihm sehr viel liebes von mir zu sagen. Sie fragen, warum ich mit diesem Auftrag nicht eher gekommen und warum ich überhaupt so lange angestanden habe Ihnen zu beweisen, wie sehr mich das alles interessirt hat, und wie wolthätig Sie die Zeit, welche Sie auf diese Rükerinnerungen verwandten zu meiner Glükseligkeit angelegt haben? Das geschah bloß lieber Graf um Ihre Wünsche zu erfüllen, indem Sie äußerten von meiner Lage und meinen Aussichten etwas wißen zu wollen. Ich traue Ihrer Freundschaft zu, daß das nicht ein leeres Kompliment war und deswegen verschob ich, weil ich von einem Posttag zum andern nichts gewißeres erwartete, als die Entscheidung meines nächstkünftigen Schiksals endlich einmal zu erfahren. Nur erst an dem nemlichen Tage da Ihr lieber Brief ankam hörte ich wenigstens die negative: daß ich für die Zukunft nicht hier bleiben werde, ob ich aber wenn mein hiesiger Aufenthalt zu Ende geht nach Brandenburg oder vor der Hand noch auf eine Zeitlang nach Berlin kommen werde ist unentschieden, doch ist mir das lezte wahrscheinlicher. Für einige wenige Menschen die mich hier aufrichtig lieben, und die weil sie den Gang der Sachen nicht kennen, hoften daß ich hierbleiben | würde, war jene negative eine traurige Post, und auch für mich als Mensch betrachtet, denn da geht nichts über ein glükliches Familienleben und das hab ich hier reichlich genoßen; auch werde ich in dem halben Jahr was ich hier noch zu leben habe, manche Stunde meinen literarischen Beschäftigungen abbrechen um sie der Freundschaft und der häuslichen Vertraulichkeit zu leben. Ist diese Trennung überstanden und die Fülle der literarischen Schazkammer thut sich mir auf, dann soll wieder eine neue Periode meines wissenschaftlichen Lebens angehn; und so habe ich bis jezt immer einen Zwek dem andern aufopfern und von einer Hälfte der menschlichen Glükseligkeit abstrahiren müßen um die andere desto unbefangener zu genießen. Ob auch für mich eine Zeit kommen wird, beide zu vereinigen, das steht dahin. – Kant über den ewigen Frieden erwarte ich erst in den nächsten Tagen aus Berlin, und freue mich schon auf die Untersuchung in wie fern seine St. Pierreschen Ideen mit den Ihrigen übereinstimmen, und in wie fern er eine gewiße Scharte in seiner Abhandlung über Theorie und Praxis ausgewezt hat. Vom Wilhelm Meister bin ich den dritten Theil noch nicht habhaft geworden aber schon der erste hat mich entzükt. Göthe treibt jezt die deutsche Prosa zu einem Grade der Vollkommenheit, auf dem sie besonders in der erzählenden Gattung noch nie gestanden hat. Der Agathon sticht dagegen ab, wie ein Blondel’sches Palais gegen ein edles griechisches Gebäude. So thut Schiller der Poesie; Sie lesen doch die Horen? und besonders wird Ihnen darin das Gedicht Lethe aufgefallen seyn; es ist das schönste was ich in dieser Gattung kenne.
Unser Freund Hermes dauert mich von ganzer Seele; ich wüßte nicht leicht, was für ein größeres Unglük einen Menschen treffen könnte. Ich wollte mich glüklich schäzen wenn ich etwas beitragen könnte | ihm Muth und Hofnung einzuflößen; versuchen will ich es wenigstens und das mit nächster Post. Wie kurz hat seine Glükseligkeit gewährt, die er mir im Frühjahr so lebhaft und so herzlich schilderte und wie unwahrscheinlich ist es leider, daß auch sein Unglük eben so bald vorüber gehn wird! Wenigstens ich habe öfters gehört, daß Zufälle die in den Wochen entstehn immer schwerer zu heilen sind. Können Sie nicht auch Ihrerseits mit Herz oder Selle von der Sache sprechen? Doch genug von einem so traurigen Zufalle, und genug überhaupt werden Sie vielleicht schon eher gedacht haben; mir fällt es jezt erst ein, da der Bogen zu Ende geht, und ich bedenke, daß ich nur noch vier Stunden zu schlafen habe wenn ich anders noch früh um 6 Uhr verreisen will. Empfehlen Sie mich Ihrem Herrn Bruder, und wenn Sie nach Preußen schreiben dem ganzen Schlobittischen Cirkel. Ganz der Ihrige
Schleiermacher
Landsberg d 24t Nov 95.
Ihren Vetter Fink habe ich eine ganze Zeitlang nicht gesehen. Er ist wie ich höre, sehr einem gewißen Grafen Kameke attachirt den wir seit kurzem hier beim Regiment haben, und den Sie vielleicht auch, wenigstens dem Ruf nach kennen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 24. November 1795
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Alexander von Dohna ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 392‒395.

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