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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 5ten Sepbr 1796
Da ich diese Woche nach Berlin schreibe um Carln mit einem 3ten Briefe zu überfallen, so mögen diese Zeilen Dich mein Lieber daselbst herzlich wilkomen heißen, und Dir alles Gute von Deiner Lotte anwünschen deßen Du nur nach Leib und Geist empfänglich bist[;] wahrscheinlich wird der bestehe ArbeitsBeutel erst in 14 Tagen abgehn und Dich gewiß nicht mehr dort finden, deshalb ich die Schachtel nebst inliegenden Schriften an die Cousine adressiren werde – wegen gedrängter Bestellungen in der Nähe ist die Arbeit von einer Zeit verschoben, da die meisten (und auch ich) gewünscht die Hundertstund unser kleines Genie mögte es selbst machen – wer den Beutel sieht freut sich darüber und ich will hoffen daß er Deinen und der Beneke Beifall erhalten wird – Du wirst Dich über die blaue Erscheinung wundern der gelbe Atlas oder Taffent aber, den man hier bekomen kan ist so schlecht daß sich nichts daran und darauf machen läst und da die Beneke schon einen weißen hat – so hat Lorchen, blau, das Sinbild der Treue gewählt und weißen Taffent untergelegt damit sich alles schöner ausnimt den Himel gemahlt und kurz, alles aufs beste gemacht – – die Devisen haben der Herr Bruder mir überlaßen – und werden nun schon damit zufrieden seyn – die Mittelstraße hier zu treffen | ist etwas schwer – doch bitte ich mir ganz frei Dero Meinung aus, der Beutel wird doch wohl die revue des Herrn Pastors passiren! wenn Dieselben auch nicht mehr in Landsberg wären. – Die Briefe unsrer lieben Eltern folgen hiebey – und im Vertraun auf Deine Gunst habe mir einen da behalten, und ihn für Dich von der Schlegeln abschreiben laßen wie Du wohl sehen wirst – es wird Dir doch nicht ganz zuwieder seyn? 2 hat sie mir ganz abgeschrieben, die Gute! last sich recht als Secretair von mir brauchen.
Du körnst nun zum 3ten mahl nach Berlin, wie lange Du dort bleiben wirst liegt noch in der Zukunft dunklem Schooß – aber ganz eigen muß Dir doch dabey zu Muthe seyn – Gott wüste ich nur bald wan Du abreist oder ob Du schon unterwegens! ich denke mich so gern in die Laage meiner Lieben, begleite so gerne ihre Tritte aber mehrentheils erfahre ich erst alles wenn es vorbey ist – ach wie ist das so peinigend für ein fühlend Herz – Lieber! ob Du nicht hierin während Deines Besuchs mich verkant – da ich oft so unsanft war – vielleicht auch scheinbaar kalt – besonders beym Abschied Gott weis aber wie mirs in meiner Seele war!!! ach wie unzählige mahl habe ich jene Tage schon zurükgewünscht – mit | stillen Thränen und lauten Seufzern, einsam, und in das Ohr meiner Lotte es hinein geflüstert – „ach daß er nun noch einmahl wiederkäme der liebe Mensch deßen persönliche Bekantschaft ich gleichsam von neuen gemacht, und jezt nur fortfahren dürfte an die angefangnen Fäden mehrere anzuknüpfen – ach wie viel wolte ich ihm jezt mehr sagen wie reichhaltig wäre der Stof über manichfaltige Gegenstände, nicht nur Menschen, zu sprechen[;] wie unendlich mittheilender zusamenfließender in mancher Rüksicht – schonender, könte und wolte ich seyn –“ alles alles vergebens – auch nicht ein Thon! nicht ein Blik – gar nichts[!] ach daß ich Flügel hätte mich loszureißen zu der Stunde da ichs so inig wünsche mit Dir zu reden mein warmes Herz in das Deine zu ergießen – süßer Trost, daß das Deinige mir nicht Kälte troz alles Nichtschreibens entgegen athmet – daß meine stamelnde Worte ins warme BruderHerz aufgenomen werden – so will ich mich auch von Carln überzeugen den ich so zärtlich liebe – o! welche Seeligkeit – Liebe, im Herzen zu fühlen, solche lautre Liebe, Ausfluß der Gotheit in sein Ebenbild ausgegoßen – ach laß uns Bruder der ewigen Liebe vest anhangen Ihn lieben, Er hat uns zuerst geliebet
Lotte |
den 11ten September
Daß Du Lieber! so vergeblich auf Briefe und Beutel gewartet thut mir herzlich leid – eben so weh thut es mir daß ich nicht vorher den Tag Deines Einzugs in Berlin gewust, ich hätte ihn mit Lotten gefeiert, dieses Wiedersehen meiner lieben Brüder, wahrscheinlich ist es am ersten dieses – und den 4ten hast Du also schon dort gepredigt – heute ist also Dein freier Sontag der wohl zum schreiben und Visiten geben angewendet wird – meinen Dank für die Bücher, die ich wenig Tage nach Deinem ersten Brief erhielt findest Du in dem Vademecum welches mit dem Beutel abgeht und wahrscheinlich erst vom Oncle und Beneke durchgelesen wird – in Deinem nächsten erwarte noch manches auf meinen lezten – Heute ists 2 Jahr daß ich die Nachricht von dem Hinscheiden des Unvergeßlichen erfuhr. O! Gott wie tief hast Du mich gebeugt – wie viel mir entrißen
Lotte
Sey so gütig schike mir bald Deine Adresse, bestimt auf welcher Straße
Metadata Concerning Header
  • Date: 5. bis 11. September 1796
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 5‒7.

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