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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

Landsb. d. 23ten Sept. 1796.
Mein lieber Neveu
Da die liebe Benike erst morgen ihren Brief abschickt, so freue ich mich durch diesen kleinen Aufschub Gelegenheit gefunden zu haben, auch noch ein paar Zeilen mit beylegen zu können. Sie war eben am vorigen Sonntag Nachmittag mit der guten Frau Coeler bey uns, als sie Ihren Brief erhielt, und ohnerachtet sie bald in die Komödie wollte, erfuhr ich doch noch soviel, daß Sie bereits ihren feierlichen Einzug in die Charité gehalten. Wir freuen uns sämtlich recht sehr, daß Sie an ihrem lutherischen Collegen einen so biedren freundschaftlichen Mann gefunden, so wie ich Gott nicht genug danken kann, daß er mir den guten Kieter zu meinem Collegen gegeben, mit dem ich hoffentlich immer auf einem sehr freundschaftlichen Fuß leben werde. In künftiger Woche reiset er zu seiner Examination und Ordination nach Cüstrin, und wird gleich darauf hier sein Amt antreten[.] Uebermorgen predigt er in der Garnisonkirche für Herrn Gerlach, den Sie nun auch bald in Berlin sehen werden. Erst wird er in Frankfurt eine Abhandlung über die Mittel die Eudaemonisten und Kant mit einander zu vereinigen – zur Feyer des GeburtsTages unseres Königs vorlesen. Er war so gütig, sie mir vorher zu communiciren ich war aber – wegen der Kürze der Zeit – und weil ich des Abschreibers Hand, bey meinem jetzt sehr schwachen Gesicht – nicht gut lesen konnte, – nicht im Stande sie ganz durchzulesen. Was ich aber gelesen hat mir sehr wohlgefallen, und ich hoffe nach seiner Zurükkunft, sie auf eine etwas längere Zeit zu erhalten |
Da Sie nun einen so guten freundschaftlichen Collegen gefunden haben, so hoffe ich – und alle ihre hiesigen Freunde und Freundinnen mit mir, – daß Sie nun auch den fatalen Vorschlag, auf ihrer Klause allein zu essen, aufgeben werden. Das Alleinessen würde gewiß ihrer Gesundheit höchst nachtheilig seyn, Sie würden allen Appetit verlieren und wohl gar verhungern oder Sie würden bey Mamsell – wie heißt sie doch – desto fleißiger Kuchen essen, welches doch mit der Zeit dem Magen auch nicht wohl behagen würde. Also wäre immer der Rath ihrer hiesigen Freunde, daß – im Fall die größere Tischgesellschaft gar nicht nach ihrem Geschmak – Sie und der lutherische Prediger zusamen speisen möchten
Da meine Frau Schwägerin Claessen sich darüber beschwert, daß ich nicht an sie schreibe, so könnten Sie diesem Uebel abhelfen, wenn Sie mir wißen ließen, wo sie sich jezt aufhält, ob in Brandenburg oder für beständig in Rathenow
Die liebe Benike ist jetzt Gottlob ganz munter, ob das aber nur höflicher Spaß oder obs Ernst, daß sie bald noch wieder Mutter werden will, ist und bleibt mir – vorjetzt – noch räthselhaft; sie geht in die Komödie doch nur dann und wann – Gestern war Mama auch mit Frau Coelern und Mademoiselle Kersten hingegangen, wo Abellino – von Zschokke – gegeben wurde sie kamen erst nach halb 10 zurük, und alle klagten über erschrekliche Hitze – und die Furcht davor hat mich bis jezt noch imer zurükgehalten. Auf dem Klubb ist – wenn gespielt wird – niemand; so war ich lezthin mit Benike und dem jungen Werkmeister ganz allein, bis das Schauspiel aus war |
Gern hätte ich mit Ihnen über Emilien und den Plan, den Sie bey ihrem Unterricht sich gemacht hatten, gesprochen[.] Ich habe jetzt zwey Mamsellchens im Unterricht die Burckhardten und die Schlaegeln, die laße ich lesen, und befrage sie über das was sie gelesen, damit sie sich gewöhnen mit Verstand zu lesen – laße sie auch manchmal in einer folgenden Stunde das aufschreiben, was sie aus der vorhergehenden behalten, oder ihre Bemerkungen darüber – wobey ich dann der einen zugleich in der Rechtschreibung behülflich seyn muß. In Ansehung der Orthographie kann ich nun allerdings mit Emilien sehr zufrieden seyn, aber mit ihrem Lesen bin ichs desto weniger – sie lieset gar zu geschwind, und doch so daß man leicht sehen kann, daß sie oft das, was sie lieset – gar nicht, oder was noch schlimmer, ganz unrecht versteht. Etwas Naturgeschichte glaube ich haben Sie auch mit ihr vorgenommen und Erdbeschreibung ganz gewiß, davon sie auch vieles sehr gut gefaßt hat. Einen eigentlichen Cursus von Geschichte werden Sie wohl nicht mit ihr vorgenomen haben, ich glaube auch nicht, daß ihr das eben nöthig. Indeß wünschte ich doch von Ihnen zu erfahren, worin Sie sie etwa unterrichtet haben, und auf welche Weise – damit ich wenigstens Gelegenheit nehmen könne, sie wieder daran zu erinern, damit sie das, was sie bey Ihnen gelernt, nicht bey mir ganz vergesse.
Daß der Brief den sie Ihnen geschrieben, ihr nicht vorgesagt worden werden Sie wohl selbst haben abnehmen können, da Mama in den französischen Stunden auf accurates Schreiben hält, so laße ich sie auch im deutschen noch imer nach einer Vorschrift schreiben – die Mutter bedauert es jezt selbst, daß sie so unleserlich schreibt.
Nun muß ich wohl schließen[.] DD. laßen vielmals grüßen und Mama.
Ihr ganz ergebener und getreuer Oheim
St.
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  • Date: Freitag, 23. September 1796
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 11‒13.

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