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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

Landsb. d. 27ten Septb. 1796.
Mein sehr lieber Neveu
Ihr Brief, den mir die gute Benike noch den Sonntag Abend schickte, hat mir sehr viel Freude gemacht, um so mehr da ich mir einen so langen ausführlichen Brief von Ihnen noch nicht vermuthete, noch mehr stieg meine Verwunderung als ich gestern Abends, da wir bey Benikes waren, sahe daß Sie auch an ihn einen so langen Brief geschrieben, da ich besorgt hatte, daß Sie jezt bey Ihrer ersten Einrichtung und den so häufigen Besuchen, die Sie zu machen, kaum Zeit genug finden würden, an mich einige Zeilen zu schreiben. Ich will dann diesen lieben Brief nun auch soviel möglich recht genau beantworten und jedes Viertelstündchen, das ich ersparen kann, dazu benutzen
So sehr mir der von Ihnen gewählte Antrittstext behagte, so sehr befremdete mich der von Herrn Conrad zur Introductionsrede genommene. Was Sie von memoriren schreiben ist ganz mit meiner Gesinung einstimmend, mein guter Kieter scheint bey den in Cüstrin zu haltenden beyden Predigten sich auch noch diese Marter anthun zu wollen; aber er wird hoffentlich, wenn er erst hier im Amte seyn wird, auch bald davon zurükkommen, zumal da er mir versichert, daß er schon vormals, als er während einer Vacanz sonntäglich predigen mußte, doch nie verbotenus memorirt habe
Sie fragen: wie viel bey mir das sogenannte Opfer betragen? Es waren 19 rth. 16 g. darunter aber wohl 1 rth an Dreyer und Pfennigen, die gute Benike hatte einen halben Louisd’or gegeben – das hätte sie auch können vielleicht besser anwenden – indeß zeugt es imer von ihrem guten Herzen.
Ich bin ganz zufrieden mit dieser Einnahme ohnerachtet meine Transportkosten freilich dadurch nur zur Hälfte ersetzet sind, aber ich habe auch nicht auf mehr gerechnet, indeß kann es doch leicht seyn, daß Sie in Berlin eher noch mehr – als weniger – eingenomen haben |
Den hiesigen Klubb habe ich bisher noch nicht so recht benutzen können und daran sind die Komödien schuld denn noch bis jetzt geht alles ins Schauspiel – so war ich noch vor 8 Tagen mit Benickens und dem jungen Werkmeister ganz allein bis kurz vor 9, da der JustizAmtsRath Wesenfeld mit seiner Frau kam. Nach 9 kam sehr zahlreiche Gesellschaft zum Essen – ich aber hatte nicht Lust mit zu essen und so blieb ich mit Wesenfeld und Bülch im Nebenzimmer, die aber nur von juristischen Sachen sprachen, daher ich mich bald empfahl – für den Winter aber verspreche ich mir desto mehr Vergnügen von dieser Gesellschaft
Sehr lieb war es mir, daß Sie mir nicht lange rathen ließen, was man sich unter aeußrer Wirksamkeit denken soll – also sind Sie nun schon so ziemlich in alle Theile ihres Amts eingeweihet – und an die weiten Wege werden Sie Sich gewiß auch leicht wieder gewöhnen, nur bitte ich, geben Sie auf sich Acht, daß Sie durch ihr sehr geschwindes Gehen – welches einem Rennen oft sehr ähnlich ist – nicht an ihrer Gesundheit Schaden thun, eine Weile dürften Sie vielleicht keine üblen Folgen davon merken, oder nicht darauf achten, aber ich fürchte gar sehr – sie kommen nach.
Es scheint also doch, daß unserm lieben Hofprediger Sack (welchen ich freundschaftlich zu grüßen bitte) die Pyrmonter Reise gute Dienste gethan, und wenn er fleißig ausreitet, hoffe ich davon einen noch immer beßren Erfolg. Haben Sie schon etwa bey ihm einige von unseren jungen Kandidaten kennen gelernt, denn ich denke, daß er vielleicht die Sitte seines würdigen seeligen Vaters beybehalten haben werde[.] Mit ihrem lutherischen Collegen hoffe ich werden Sie imer auf einem freundschaftlichen Fuß bleiben doch scheint der Feldprediger vom InvalidenHause mit ihrem SprengelKollegen nicht so recht zu harmoniren. Sie werden wohl beyde näher kennen lernen |
Und Sie wollen nun wieder ganz sich in das theologische Fach hineinarbeiten – ich hatte imer geglaubt, daß Sie nun über das viele, was Sie schon von Zeit zu Zeit immer im philosophischen Felde gearbeitet, Revision halten und nun mit curis posterioribus bereichert unserm Publikum mittheilen würden. Doch ich erinnere mich, daß Sie schon einmal in der Theologie eine Vorliebe für das exegetische Studium äußerten, aber freilich soviel ich jetzt noch von Ihrem Plan einzusehen vermag, werden Sie da freilich durch manche Folianten und Quartanten sich durcharbeiten müßen – und dann doch vielleicht bey aller ihrer Mühe keine so recht reiche Ausbeute finden.
Ob ich Ihnen in Rüksicht auf Ihre Frage wegen der Gnostiker jetzt gleich werde Genüge thun können, daran zweifle ich gar sehr
den 28ten Hier mußte ich gestern abbrechen, weil Mama eben zurükkam und mir mancherley zu erzählen hatte; auch würden meine Augen mich wohl genöthiget haben, ohnedies aufzuhören
Sie wünschen über die Streitfrage ins Reine zu kommen, inwiefern wohl „möglicher Weise im Neuen Testament von Gnostikern die Rede seyn könne“[.] Nach Ihrer Abreise las ich in der Allgemeinen Literatur Zeitung daß in einer neueren Erklärung der 3 Briefe Johannis auch alle Rüksicht auf gnostische Meinungen wegdisputirt war, womit aber der Recensent aus guten Gründen, wie es mir schien, nicht zufrieden. Ich habe aber von dieser Schrift mir gar nichts aufzeichnen können – weil ich einige 20 Stük mit einemal erhielt, nebst einem weitläuftigen Klageschreiben von Herrn Stenigke über bisherige große Unordnung – also konnte ich alles nur ganz obenhin durchlaufen. Nach des Feldpredigers Abreise habe nun weiter kein Blatt erhalten[.] Der Zeitraum von 24 Stunden auch für 8 Stück ist für mich allzukurz. Herr Kieter hat mir aber eine Auskunft gezeigt, daß man nemlich sich die Zeitungen, wenn sie zur Inspektion zurükgekomen – nachher von einem ganzen Monat auf eine längere Zeit geben laßen könne, welches ich auch thun werde. |
Ich habe immer geglaubt, daß bey der ganzen Streitfrage etwas Logomachie. Versteht man unter Gnostischer Philosophie die NeuPlatonische, so kann wohl darauf in dem Neuen Testament gar nicht Rüksicht genomen werden; wenn aber nicht geleugnet werden kann, daß unter den Juden, seit ihrer Zerstreuung durch das babylonische Exil manche Begriffe auswärtiger Philosophie bekannt und von ihnen angenomen, und sodann mit ihren ReligionsBegriffen in Verbindung gebracht worden, so sehe ich nicht, warum nicht auf die daraus entstandenen Irthümer im Neuen Testament könne Rüksicht genomen werden – und so erinnere ich mich ehemals eine Dissertation mir deucht vom Goettinger Walch de Gnosticis ante Christum Natum gelesen zu haben – ob nun aber diese – orientalische Philosophie, wie ich sie lieber nennen möchte – mit dem, was man gewöhnlich gnostische Philosophie nennt, einerley sey, will ich nicht behaupten
Da kommen meine Mamsellchens, also muß ich schon wieder abbrechen
den 29ten Die liebe Benike will schon morgen diesen Brief wegschicken, daher ich hier gleich schließen werde[.] Gern hätte ich auch an Ihren lieben Bruder Karl geschrieben, aber diesmal geht es nun wohl nicht an, zumal da ich Sonntag 2 Predigten zu halten. Es hatte mich Herr Gerlach schon vor seiner Abreise ersucht, diesen Sontag für ihn zu predigen welches ich aber da wir Communion haben, abschlagen mußte[.] Nun erfuhr ich, daß Herr Gensiche diese Predigt übernomen, der denselben Nachmittag bey uns predigen sollte. Da glaubte ich nun, daß ihm vielleicht ein Gefallen geschehen könnte, und erbot mich zur Nachmittagspredigt weil er doch dieselbe die er in der Garnisonkirche den Vormittag – nicht Nachmittag würde halten wollen, da vielleicht beydemale die nämlichen Zuhörer – nun kann er auch um desto bequemer nach Kernein
Nach Briefen von Gnadenfrei sehnt sich die liebe Nichte gar sehr – ich habe sie auf die nächste Post vertröstet, und wünsche nun wohl, daß es eintreffen möchte
Herr Kriege ist den 30ten August nebst Fr. Tochter und Schwiegermutter glüklich in Drossen angekommen und auch die Cousine, von welcher die Frau PostMeister soviel geredet, ein braves, gutes Mädchen, doch ohne Politur – schreibt mir Herr Lachmann. – Am 4ten hujus hat Herr Kriege sich selbst introducirt und zu Mittag bey Lachmann gespeiset – nachher auch bey Major Sack – und bey [Schulz] In Sonnenburg ist er auch schon gewesen, und hat am verwichenen Sonntag die erste Communion im Bruche gehalten
Da haben Sie denn auch Drossener Neuigkeiten, und nun gehaben Sie sich wohl, vielmals von Mama gegrüßt – ich bin, wie Sie wissen, jederzeit
Ihr aufrichtig ergebener und getreuer Oheim
St.
Metadata Concerning Header
  • Date: 27. bis 29. September 1796
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 28‒33.

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