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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gndfr. d 5ten Novbr 1796
Wenn es dem Treiben meines Herzens nachgegangen wäre, so hätten meine lieben Brüder schon manches zu lesen – aber die Tage sind jezt sehr kurz, Abends kan und darf ich wegen meiner Gesundheit nicht schreiben, und nun komen noch so allerley Bestellungen die ich für andre liebe Menschen übernommen hatte die mir die wenige übrige Zeit noch wegnehmen, daß ich nicht eher als dies halbe Stündgen die Feder ergreifen konte; meine Epistel muß nun wohl schon 8 Tage bey Euch seyn, und ihr dürft Euch wegen meines seltnen Schreibens oder deßen sparsamen Inhalt von meinem Wesen nicht beklagen; über meine Ausflucht nach Peterswalde werdet ihr wohl eine herzliche Freude gehabt haben, auch ich ergöze mich noch öfters dran, vorigen Mitwoch aber bey sehr regnigten Wetter machte ich eine etwas weitre, und eigentlich interressantere, nur dauerte meine Freude, leider, alzu kurz da es aber bey jezigen Umständen nicht anders gieng nahm ich das Anerbieten der guten Alten von Seidliz herzlich gern an, um doch einmahl zu sehn, wie meine beste Lisette eigentlich in Kuchendorf eingerichtet ist – schon früh um 6 uhr wolte mir zu Liebe die Alte fort weil ich Abends wieder da seyn muste, ein übler Mißverstand aber bewürkte daß wir erst um 8 in den Wagen kamen, gegen 11 uhr langten wir dort an, meine liebe Pritwiz die durch meine Ankunft gar lieblich überrascht wurde fanden wir noch im tiefsten Negligé, ein sichres Zeichen daß sie allein waren, traulich verplauderten wir ein Stündchen, und während ihres Anziehens, führte mich ihr Mann, nebst der alten im Hause herum, woselbst ich zwar vor 7 Jahren einmahl gewesen, aber seitdem doch manches geändert fand – vorzüglich war mir drum zu thun, Lisettens eigentliche Stube zu sehn, die mit ihren eignen braun laquirten Meublen geziert – mit schönen ausgesuchten Kupferstichen gepuzt – und auch eine herrliche Tapète hat – ihren Schrank mit der kleinen Bibliothek nicht zu vergeßen. | Das Stündchen bey Tische verstrich sehr schnell, und nachher unternahm ich so rauh und schmuzig es war, denn doch einen Spaziergang, mit Pritwiz und der Mutter, Lisette die ohnedis etwas in Ordnung zu bringen hatte, und jezt nicht recht fort kann, blieb zu Hause, o! es ist der Mühe werth die äußerst angenehme Laage von Kuchendorf in Augenschein zu nehmen – es war in der 4ten Stunde als wir zurük kamen nun wurde der Caffé eingenommen – und ich sezte mich mit Lisettens Kamerjungfer die den Tag, noch, hieher muste in den Wagen – ich spreche sonst auch mit dieser Art Leuten gern, wäre ich auch noch so unbekant mit ihnen, wie es hier der Fall war, aber ich vermochte kaum 20 Worte den ganzen Weg über vorzubringen – so traurig war mirs gleichsam nur mich nach Kuchendorf geträumt zu haben, dazu kommen noch manichfaltige Dinge die mich tief ins Denken hineinbrachten – da ich keinen FußSack hatte, frohr ich entsezlich – und mein Husten wurde arg – so daß mir eine Taße The, bey meiner retour sehr wohl that – einige Neuigkeiten die ich noch den Abend erfuhr und die mir keinesweges angenehm waren, vorzüglich die Abreise meines Dir bekanten SchneiderMädchens, nach Gnadenberg woselbst es an solchen nuzbaaren Geschöpfen fehlt – alles zusamen bewirkte eine äußerst schlechte Nacht, doch heut bin ich außer ein wenig Mattigkeit ganz wohl.
den 7ten Vorgestern Abend las ich mit Schlegel und Hundertstund das Ende, des Dir angezeigten Gesprächs über Sin, und Sinne, O! es ist prächtig! ich wünschte Euch Beide zu uns – ich las wie gewöhnlich vor – und sagte oft – oft – hier denke ich an Charles ach könte ichs mit Euch Beiden lesen ihr guten lieben Menschen!!! ach wie nahe seid Ihr mir doch – und wie ferne meinem Cörper!!! nach Euch und meiner guten Arndt – und Schytt die in Ebersdorf jezt sich aufhält – eine Schwester des hiesigen Vorsteher Wigs – eine Dänin – habe und fühle ich öfters eine so starke Sehnsucht!!! meine Frühauf möchte wohl nicht zurük kehren – der behagts bei ihrem edlen, tieffühlenden Mann gar wohl |
den 10ten November
So eben komme vom verständigen Spiel – 3 lange Tage, haben wirs Umstandes halbe ausgesezt – und bald beim ersten Stük – sagte Lotte, das geht ja ganz auffallend harmonisch – ich dachte gleich an Dich lieber Friz – so wie es oft – oft – des Tages geschieht – vorgestern war die Aulock mit Herrn Gemahl und Gouverneur hier – ich glaube schon davon erwähnt zu haben, daß Scheueri einen Matthias Leininger aus Ebersdorf ihnen verschrieben – ein Mensch der in der Statur viel von meinem Prediger hat – aber übrigens wohl gar nichts[;] außerordentlich kleine Augen – und so etwas zukersüßes gegen seine Patronesse was ich nicht leiden könte – er scheint auch außer der Gemeine an allem viel Theil zu nehmen – liest viel, wie mir scheint – und ist leidenschaftlich für die Music – – Ferdinand soll sehr an ihn attachirt seyn – und Herr von Aulock wird es noch mehr, wenn er gut Billard spielen lernt. Iflands Schauspiele habe ich ihr borgen müßen – Du hast nichts dagegen das weis ich – eben so wenig daß sie Lisette und die alte Seidliz gelesen hat – nur Schade sagen Alle, daß die übrigen nicht auch da sind. meine Zimmermann die ich 14 Tage lang nicht gesehn habe – weil ihre und meine Verhältniße mich abhielten – sezt – die Mündel, den FrauenStandt und Elise Valberg oben ann – so für Geist und Herz und Kopf geschrieben die andern folgen – ersteres habe 2 mahl gelesen – ehe ich wegen der starken variationen alles recht faßen konte – es ist prächtig die Zimmermann will auch manches noch einmahl lesen – daher erhältst Du mit den Strampfs noch nichts auch nicht die Predigt – welche die Lotte noch nicht abschreiben konte aber einen Brief solst Du Dir selbst abholen – ich werde Dir noch bestimt schreiben wo sie wohnen[;] noch einmahl zu Ifland, Alzuscharf macht schartig – ist mir ganz außerordentlich merkwürdig – und ich lese es immer wieder mit dem erstgehabten Gefühl. |
den 11ten November
Endlich habe heut seit unsrer Trenung den ersten Brief von meiner lieben Stegmann die im Baade sehr krank gewesen – nachher viel Veränderungen und Außbeßerungen in ihrem Hause vorgenommen – öfters Gäste gehabt die Wochen lang sich da aufhielten – nachher – allerley Arbeiten die im Herbst vorkomen – so daß sie nun erst sich an den SchreibTisch sezen konte – Vorgestern hatte sie ihren GeburtsTag – das gute Weib – meine Zimmermann hatte ihn den 1ten dieses1 – die Henig die in meiner Stube am besten schreibt – stattete in unser Aller Nahmen einen schriftlichen Glükwunsch ab – welches ihr so viel Freude machte, daß sie Tages darauf ihnen selbst antwortete – aus diesem Allen erhelt daß mir dieser Monat sehr wichtig ist – dazu komt noch der 21te der mir einst in Dir einen so guten zärtlichen Bruder schenkte, den ich wo möglich immer mehr schäze und iniger liebe nach vielen Jahren verbringst Du diesen mir so lieben Tag mit einem von uns – ach! daß ich bey Euch wäre! weil denn dis aber nicht möglich, so mögen diese Zeilen zu Euch hin – hoffentlich werdet Ihr Euch doch ein Stündchen sehn – oder vielleicht am Sontag zusamen kommen – Euch eures BeisamenSeyns – unsrer Zärtlichkeit freuen, und unsre guten Seeligen Eltern noch segnen, die uns einander schenkten – die uns zu guten brauchbaren Menschen bilden wolten – uns so manichfaltige Gelegenheiten dazu an die Hand gaben, und uns Deinen GeburtsTag als wir denselben zum leztenmahl im väterlichen Hause feierten noch so unvergeßlich und feierlich machten – daß ich Dir von ganzer Seele alles Gute wünschen – versteht sich von selbst meine Lotte, und meine Kleinen grüßen vielmals Lotte
eben da ich dis Schreiben schließe bringt mir Lotte einige vortrefliche Verse – auf meine | jezige Lage – die ich still trage – und mich selbst drüber vergeße – betrift die kranken Tage | meiner guten Lohrel – Gott gebe daß sie bald ganz beßer wird – ihr Verlust würde mir tief gehen
Von der Aulock soll ich Dich freundtschaftlich grüßen
1Lisettens Verlobungs Tag
Metadata Concerning Header
  • Date: 5. bis 11. November 1796
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 41‒44.

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