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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

Landsb. a. d. W. d. 9ten Febr. 1797.
Mein lieber Neveu
Ihre Grüße und Versicherungen hat größtentheils die gute Emilie mir überbracht, welche seit Montag wieder treulich die Stunden besucht obwol noch immer mit einem Tuch um den Mund wegen der bösen Zahnschmerzen[.] Mich dauert das arme Mädchen von ganzem Herzen, ich denke noch immer – und so auch Mama – daß ihr Uebel von Verkältung herrühre; andre Leute aber scheinen dafür keinen Sinn zu haben, man hat ihr – am Montag vor 8 Tagen, wenn ich recht rechne – einen Zahn ausreißen wollen, und 8mal angesetzt, und immer vergeblich, bis endlich unser guter Herr Schneider, der selbst dabey zugegen, gesehen, daß man davon abstehen müße. Dabey scheint sie uns erstaunend abgefallen ohnerachtet sie uns versichert, daß ihr Zahnweh ihr keinesweges am Essen hinderlich sey.
Daß man hier Häuser und [Vorwerke] verkaufe, daß der Herr RegimentsChirurg das kleine Tiemannische Haus gekauft – und der PostMeister [Nilsens] Vorwerk, ebenfalls auf der Neustadt gelegen, zu kaufen Willens sey, hat Ihnen vielleicht schon die Benike geschrieben |
Hier haben wir denn erst am vorigen Sonntag die verordnete Gedächtnißpredigt – und zwar Vor- und Nachmittag – [gehabt,] ich hatte sie schon vor 8 Tagen halten wollen zum Glük aber sprach ich noch Tages vorher meinen Collegen, der sich bey mir das Aufgebot bestellte, da der mir nun sagte, daß es in der Stadtkirche erst den nächstfolgenden Sonntag seyn würde, so mochte ich nicht vorgreifen. Eigentliches Begräbnißgepränge wie man Anfangs Willens war, ist denn doch nicht erfolgt, – welches mir auch herzlich lieb, denn ich begreife gar nicht, wozu das Herumtragen eines Sarges u. s. w. helfen oder dienen soll. Aber darüber hab’ ich mich doch sehr gewundert, daß – gerade bey der Gedächtnißpredigt – sich die Orgel zum erstenmal wieder hören ließ, und in der Stadtkirche haben sie daran noch nicht genug gehabt, sondern Posaunen und Trompeten aufspielen laßen zu dem Liede: Jesus meine Zuversicht. Indeß war denn die Neugierde doch eine Veranlaßung daß Leute, die sonst gar nicht oder – äußerst selten in die Kirche kommen, darin gesehen wurden; so wie ich denn auch ein recht zahlreiches Auditorium hatte
Wenn Ihnen etwa auch Drossner Neuigkeiten interessiren, so kann ich Ihnen melden, daß der dortige Herr von [Waldeck] seit 14 Tagen in Cüstrin – und zwar, wie es jetzt hier heißt, – in etwas engem Gewahrsam sich befinde, zum Theil wegen CassenDefect, zum Theil auch wegen seiner, an mehr als | einem Mädchen verübten liederlichen Abscheulichkeiten[.] Dies erfuhr ich noch an demselben Tage da er von Drossen – nach einer kurzen Untersuchung des Justitzraths Groll als jetzigen Commissar loci – war abgeführet worden[.] Jetzt heißt es hier, daß er – wegen unanständigen respective wegen Betragens gegen die Cüstriner Regierung gefesselt – und daß auch D. Hoffmann der jene Abscheulichkeiten – als Stadtphysikus nicht gehörig untersucht und angezeigt – ebenfalls nach Cüstrin gebracht worden sey[.] Vermuthlich werde ich bald durch David noch nähere Nachrichten hievon bekommen
Sie werden mir vielleicht bey dem, was ich auf der vorgen Seite vom Orgeln bey der Gedächtnißpredigt geschrieben – einwenden daß damals schon die Music wieder freygegeben. Mich dünkt es aber demohnerachtet noch immer unschiklich, daß gerade bey der Gedächtnißpredigt – und ich glaube, wenn auch künftighin bey keiner allgemeinen Trauer ferner sollte die Music untersagt werden – so würde ich, wenn ich bey meiner Kirche allein – oder über die andren etwas zu sagen hätte, doch bey einer Gedächtniß- oder Leichenpredigt, ohne höheren Befehl abzuwarten, die Musik untersagen. Es sey denn daß man eine eigentliche TrauerCantate NB mit gedämpften Instrumenten aufführen wollte. Das ist nun freilich so meine unmaaßgebliche Meinung, wie denn wohl jeder Mensch so seine eigne Lieblingsmeinung – oder Grille – hat. |
den 10ten früh nach 8 Da ich jetzt noch in der Eil unsere Besoldungsquittungen zur gütigen Beförderung bestens empfehlen, und dann clausulam hinzufügen will da werde ich zu meinem Schrecken und Leidwesen hier unten das fatale pro memorial gewahr, welches ich gestern bey Lichte ganz und gar nicht bemerkt habe. Nun kann ich aber unmöglich diesen Brief ab- oder einen andern schreiben zumal da unsere jungen Herrschaften sich in der Zeit einstellen möchten – also bitte um Entschuldigung
Eine kleine Frage: Ist Ihnen ein Herr von Heydenbreck einer der hiesigen Officiers, nach seinem Charakter und Gesinungen, näher bekannt, er hat sich vor kurzem bey mir zum Unterricht in französisch gemeldet – ich weiß aber nicht, ob man nicht vielleicht mich in Versuchung führen will, und er vielleicht das französische besser versteht und spricht als ich – ich habe ihm dies so einigermaaßen merken laßen[.] Weisen Sie mich doch hierüber zurechte. – Er ist auf einige Wochen zu seinen Aeltern verreiset
Gegen Ihren lieben Bruder bleibe ich auch diesmal noch Schuldner. Grüßen Sie ihn von uns herzlich und sagen ihm, daß ich nun ganz gewiß mit dem allernächsten selbst an ihn schreiben würde. Was macht Jettchen Müllern? Lebt sie noch? Grüßen Sie sie vielmals – und an Herrn Vetter Reinhard und Cousine Charlotte unsere besten Empfehlungen[.] Wie stehts mit Bornemanns, und Ihren andren Correspondenten in Preußen – oder haben Sie denen ewiges Lebewohl gesagt? Das dächte ich doch nicht
Leben Sie wohl, vielmals gegrüßt von Mama. Ich bin und bleibe Ihr aufrichtig treuer Oheim
Stubenrauch
Wenn Sie Herrn Meierotto sprechen, so erkundigen Sie Sich doch wegen der jungen Coeler, ob man sich nicht könne zu Exspectanzen Hoffnung machen?
Metadata Concerning Header
  • Date: 9. bis 10. Februar 1797
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 91‒94.

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