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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Zwar nicht an meinem GeburtsTage wie Ihr es vermuthet – sondern heute als am 5ten Aprill erhielt ich eure lieben Briefe – ein für mich auch sehr merkwürdiger Tag, da ich vor 14 Jahren mit Euch und unsrer seeligen Mutter hier ankam – vorm Jahre überraschte mich meine treue Lotte mit einem herrlichen Lied – in ein Gespräch eingekleidet betitelt – Gespräch zweyer Freunde über einen Schritt näher zur Ewigkeit – vor einer Stunde tranken wir Caffé miteinander und ich las ihr etwas aus dem köstlichen Buche vor, womit mich die gute Aulock zum 31ten beschenkte – doch ihr werdet vielleicht gern von der Feyer dieses Tages etwas wißen wollen – so höret dann. Tages vorher gab ich früh meinen Kindern ein sogenantes LiebesMahl welches die Julchen Marchin hielt – Umstände halber ließ es sich nicht anders thun – auch war es recht hübsch da 2 unsrer Eleven, eine aus meiner Stube Fraenzeln ihren GeburtsTag hatte – Nachmittag wurde erst dieser eine kleine Feyerlichkeit gemacht – jedoch alles ohne meine treue Lohrel welche seit 3 Wochen in der Krankenstube ist – – noch nicht entschieden ob es die völlige Auszehrung aber sie leidet viel – daß ich sie alle Tage besuche versteht sich von selbst – an ihrer Stelle wohnt einstweilen – als Lehn – die Maaßin aus der großen Stube, ein junges, liebes Geschöpf | Noch spät trank ich mit Frize Graff bey Lotten Thee – und sie überraschte mich mit Gesang eines herrlichen Liedes wozu Lotte spielte – und welches sie selbst gemacht hatte; o! es war herrlich und schön ausgedacht! Am 31ten frühstükte ich Solo mit Maaßen, mit welcher ich das eigentliche GeburtsTagLied von Lotten las; um 9 gieng ich in die Predigt nachher fand ich einen Tisch mit Blumen und verschiednen Kleinigkeiten theils aus meiner Casse, und von Lohrchen – Lotte Maaß – und Descombes. Mittags speiste ich bey Seidlizes die mir einen freundtschaftlichen Zettel von der Pritwiz überreichten. Nachmittags hatte ich mir die schon erwähnten, alle, gebeten, auch Lohrchen, kam, was mir viel Freude machte – noch vorher erschien ein Boote von Pangel, mit einem versiegelten Buche welches mir so unerwartet – aber inig lieb war – und Beweis ihrer außerordentlichen Aufmerksamkeit, als Liebe, für mich ist –
Der Blick Jesus auf Natur, Menschheit und sich selbst
oder
Betrachtungen über die Gleichniße unsers Herrn
ein Lesebuch für CristusVerehrer
von
Johan Ludwig Ewald.
Nichts weiter als vorn ins Buch mit eigner Hand folgender Vers: |
Ueber Alles was zum Staube
unsre Seele niederbeugt
hebt uns Liebe und ihr Glaube
der mit uns zum Himel steigt
Liebe lehrt uns mehr als geben
sie nur giebt der Gabe Werth
Liebe schaft im Tode Leben
macht uns hier und dort verklärt.
Erst gestern – kont ich ihr meinen Dank dafür abstatten, da ich die vorhergehende Tage wieder so außerordentlich schwach war daß ich mir alles schreiben versagen muste – ja an meinem GeburtsTage so kraftlos – daß ich mich kaum auf den Füßen halten konte – und ganz neue Medicin bekam – die mir aber recht gut gethan – doch ich bin ja noch nicht fertig – Abends spät – hatte mir die Maaßen noch die Schilden zum The gebeten und wir waren recht vergnügt bis um 10 uhr – am Sontag war eine Nachfeyer bey der gütigen Comtesse Posadowsky. Vorgestern gieng ich nach 6 Wochen zum erstenmahl zur Zimmermann fand sie aber noch äußerst schwach – o! sie hat viel an Krampf Gicht und Hemroidalischen Zufällen gelitten – die Einzige! |
Grade 8 Tage vor meinem GeburtsTage hatte ich die Freude nach einem Vierteljahr meine gute von Aulock auf eine halbe Stunde zu sehn – nicht hier am Ort – sondern im Dorf – bei einem CartunDruker, wohin sie Line und mich zu Wagen holen ließ – Gott! was waren das für Augenblike – ein sanftes Wehmütiges – aber dabey doch sehr ergebnes Gefühl ergrif uns – nach solchen Trübsaalen sie zu umarmen – und doch in der nahen Wahrscheinlichkeit daß es leicht zum leztenmahl geschähe – ich kann das nicht so beschreiben – den allerliebsten Ferdinand der ganz curirt ist hatte sie mir zu Liebe mitgenommen – in Hinsicht des Verlusts meiner guten Lohrel ist sie so theilnehmend zog sich ein paralel mit ihrer Tante – und fühlte sich so ganz in mich hinein – schikt auch Wein und dergleichen an sie etwas spät kam sie nach Hause welches keine gute Folgen hatte – Gott gebe! daß sich alles recht glüklich endet – Dein Gedicht hat die ehrwürdge Tante noch lesen hören – und viel Freude drüber gehabt, welches Aulock mir auftrug Dir zu sagen |
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Hast Du den 2ten Theil von la Roche Eugeniens gelesen, die Stegmann lieh ihn mir er ist recht hübsch – und erinerte mich ich weiß nicht warum an Comtesse Caroline in Schlobitten – auch an Friderique was machen die Guten!
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 5. April 1797
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 114‒116.

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