Einmal kollationierter Druckvolltext ohne Registerauszeichnung
TEI-Logo

Samuel Ernst Stubenrauch an Friedrich Schleiermacher

Landsb. an d. W. d. 17ten Apr 97
Wahr ist’s freilich, mein lieber Neveu, daß ich schon seit ein paar Posttagen auf Briefe von Ihnen geharret, indeß kann ich freilich nicht wissen, was und wie die gute Benike Ihnen von meiner Krankheit geschrieben und als ich vor 8 Tagen von meinem Sohn hörte was Sie für eine neue Unannehmlichkeit hätten wegen der Wohnung – da ward es mir gleich sehr begreiflich, wie es zugehe, daß ich in so langer Zeit keine Zeile von Ihnen erhalten, und deshalb kam mir auch gestern Ihr Brief ziemlich unerwartet.
Meine Krankheit kam sehr plözlich und eben daher warf sie mich ganz nieder, und damit meine arme Frau nicht gar zu viel Unruhe und schlaflose Nächte haben möchte, schrieb ich selbst ein paar Zeilen an unsern Sohn, daß er sich Urlaub nehmen und herüber komen möchte damit ich auch mit ihm manches – auf den Fall meines Absterbens welches ich als gewiß und nahe bevorstehend mir dachte, abzureden. Aber für diesmal hat Gottes Güte mich noch erhalten. Ich habe nur einmal am Sonntag Judica NachMittags den Feldprediger für mich predigen laßen. Vormittags hat der Cantor gelesen, und das ging auch um desto füglicher an, da Herr Seeliger Palmarum introducirt ward, wo denn doch in unsrer Kirche gar wenig Leute waren. Am Charfreytag und heute habe ich beydemale wieder selbst gepredigt, nur daß ich weil meine Füße noch sehr schwach und etwas angelaufen sind, mich in Werkmeisters Chaise hinfahren ließ – und so denke ich nun auch mit Gottes Hülfe nächsten Mittwoch die Praeparanden zu confirmiren und in 14 Tagen die Communion halten zu können. | Wegen der Communion war unser guter Cantor gar sehr besorgt, und fast noch mehr wegen der Confirmation der Kinder – ich war in der Charwoche freilich noch sehr schwach, doch war kein Fieber mehr, und so blieb ich auch bey meinem Entschluß, den ich eigentlich nothgedrungen gefaßt, weil der Feldprediger am Charfreitag Communion – und Herrn Lehmann wollte ich nicht gern ansprechen laßen
Und hiemit für heute genug
den 19ten Diesen Vormittag habe ich die Kinder confirmirt – für mich immer eine sehr wichtige Handlung, die ich auch heute so feierlich wie möglich zu machen gesucht, da die Aeltern der Kinder und auch andre Reformirte zugegen waren. Ich hatte mir erst vorgenomen, sie in der Kirche zu confirmiren, allein jetzt ists mir ganz lieb, daß ich durch die Krankheit daran gehindert bin, da ich höre, daß Kieter ebenfalls künftigen Sontag seine Catechumenen in der Kirche confirmiren will, deren er aber 50 hat[.] Wenns angeht, will ich auch dabey zugegen seyn. Unser Herr Feldprediger hat die seinigen am 2ten Ostertage auch in der Kirche confirmirt, wie man sagt, mit einer schönen Rede, aber – ohne alle Feierlichkeit. Die schöne Rede, wenns nicht eine Anrede an die Confirmanden gewesen, scheint mir bey einer solchen Gelegenheit ein wahres hors d’oeuvre zu seyn; war sie aber an die Confirmanden gerichtet, so begreife ich nicht, wie solches ohne alle Feyerlichkeit habe geschehen können[.] O mein lieber Neveu, laßen Sie ja nie eine solche Gelegenheit vorbey, ohne sie recht feierlich und eindringlich zu machen. Unser Unterricht ist und bleibt – so wie alles unser Predigen – Saame ausgestreut auf Hoffnung. Aber ich habe hier unter unsrer Gemeine noch einige gefunden, die an ihren Confirmationstag nicht ohne die innigste Rührung denken | oder davon sprechen können: So ist Stuters Vater in Halle, von wo er gebürtig, vom seeligen Hirsekorn – und unser reformirter Buchbinder Cranach von unsrem Hofprediger Sack als derselbe noch in Magdeburg gestanden, confirmirt worden, und denken noch immer mit Freudenthränen an diesen ihnen unvergeßlichen Tag.
den 21ten Mama ist jetzt Gott sey Dank! recht munter. DD. die Sie vielmals grüßen laßen, haben uns in meiner Krankheit fleißig besucht. Mama ist diesen Abend ein wenig zu ihnen gegangen. Sehr lieb war mirs, daß sie doch in den verwichenen Festtagen etwas ausgehen können[.] Am Montag hat sie mit Frau D. Schulz eine Promenade gemacht. Dienstag war sie mit ihr auf dem sogenannten Musterplatz, haben aber an dieser Feierlichkeit kein sonderliches Behagen gefunden
Jetzt ist hier, wie sie leicht denken können, Bülch und seine Familie das allgemeine Gespräch, da denn die Urtheile gar verschieden ausfallen. Einige können immer noch nicht genug seine Redlichkeit und durchgängige Rechtschaffenheit rühmen[.] Die meisten fallen in das entgegengesetzte Extrem; aber unter allen ist wohl keiner, der so arg auf ihn schimpft, als Schneider, in dessen Denkungsart und Gesinnung ich mich nun gar nicht mehr finden kann.
den 23ten Heute bin ich denn glüklich zu Fuße nach der Kirche gegangen aber hier muß ich auch schließen, damit dieser Brief noch mit der morgenden Post weggehe. Viele Complimente an Ihren lieben Bruder und alle die sich unsrer erinnern von
Ihrem treuergebenen Oncle Stubenrauch
Briefkopfdaten
  • Datum: 17. bis 23. April 1797
  • Absender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Empfänger: Friedrich Schleiermacher ·
  • Absendeort: Landsberg (Warthe) · ·
  • Empfangsort: Berlin · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 117‒119.

Basics · Zitieren