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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

So willig mein Geist auch seit einigen Tagen war, Euch von so manchen Vorkommenheiten Bericht abzustatten – so schwach war doch meine Kraft wie viel heute werden wird weis ich nicht.
Jezt eben fährt Line mit Bruder Scheuerl nach Pangel – um daselbst Morgen der Taufe einer kleinen Schwester beizuwohnen – welche vorgestern gebohren wurde – die Mutter soll recht munter seyn. Gott gebe Bestand! einige Tage zuvor erfuhr sie die betrübte Nachricht – daß ihre jüngste Schwester – ein liebes holdes Weib – erst kurz verheirathet, nach den Wochen an einem GallenFieber gestorben ich kenne sie, und kan mir vorstellen, was dis auf die zärtliche Aulock wirken muß – ich hofe mit Linens retour, auf gute Nachricht. Am grünen Donerstag erhielt ich – auf einige Zeit den lezten langen Brief von ihr – worin sie mir viel schönes und verbindliches über die beiden vorleztern Briefe des Predigers sagt, die ich ihr mittheilen muste – sie wünschte dem treflichen Mann, recht frohe Tage – – klingt das nicht recht schmeichelhaft? alles darf er nicht erfahren, was in dem Briefe steht – Von Stegmans soll ich auch recht herzlich grüßen – vergangnen Mitwoch überraschte ich sie auf einge Stunden, mit Caroline Graff – sie nahmens recht froh auf – in einem Tage, diesen Weg, der noch dazu recht schlecht war – in einem Tage zu machen – ich fühle noch wie sehr ich durchgeschüttelt worden. |
den 29ten Aprill
Heute sind es 8 Tage daß ich jenes Blatt schrieb – seit dem habe ich denn so manches zu erzählen – wäre ich nicht so äußerst schwach so würde das alles beßer ausfallen – ich werde beinahe ganz unfähig zum schreiben. – Doch zum Zweck. Heut 8 Tage war Sonnabend – Abends hatte ich das Vergnügen nächst den beiden Graafs, die Louise Albertiny zum Thee bey mir zu haben welches mir viel werth war – Sontags predigte Er – und erndtete reichen Beyfall – mir gefiel er ungemein – schon das Gebet vorher – und dan die schöne Auslegung des Spruchs im Evangelio – Seelig sind die nicht sehen, und doch glauben – O! es war vortreflich! Mittags speisten sie bey Seidlizens – wo auch Peistels waren – und meine Wenigkeit hatten sie mit eingeladen ein lieblicher Beweiß ihrer gütevollen Aufmerksamkeit – Sein ganzes Benehmen – sein Umgang mit seiner Frau – alles war mir so mit seinem Vortrag gleichsam harmonisch. Daß wir von Dir sprachen Herr Prediger! versteht sich von selbst – so auch daß er mir herzliche Grüße an Dich auftrug aber daß er sich nach Charles erkundigte – überraschte mich. O! die guten Leute – scheinen mir so die stillen glüklichen in der Niskischen Gemeine zu seyn – Gott erhalte ihnen den sanften Frieden – meine Seele nimt inigen Theil daran; Mitwochs giengen sie nach Kuchendorf – und von da nach Hause. Da ich eben von Sachsen rede, will ich eine Neuigkeit melden, | daß die Geisler mit dem Bruder Arnike verlobt – und mit ihm nach Zeist geht wohin er als GemeinVorsteher berufen ist – vielleicht kent einer von Euch den Mann – daß sie in ein ander Land und in andre Verhältniße komt – schien mir und allen ihren wahren Theilnehmerinnen – recht gut – das Ideal welches sie sich von einem Man gemacht, wird sie freilich in, ihm, so wie in keinem Andern finden, aber dafür mehr Realitaet und das ist ihr wahres Glück – daß ihre Freundin zu gleicher Zeit mit an den Ort geht, nehmlich die Garven wovon ich schon in meinem lezten schrieb – ist viel Erleichterung für sie; mit der lezten Gelegenheit schikte sie mir noch einen Jahrgang von der Urania, welche Ewald samlet. O! es steht so viel vortrefliches drin, welches ich mit Euch zu lesen wünschte – doch so gut wird mirs nicht – grade das worüber ich eure Meinungen zu hören – und mich Eures Mitgefühls zu freuen wünschte – werdet ihr nicht euch bemühen es zu lesen zu bekommen? Der 2te Feyertag scheint recht eigentlich dazu gemacht zu seyn – mit Lisetten Pritwiz mich zu erfreuen – diese Ostern war sie Abends bey mir, und den 2ten WeinachtsFeyertag war ich bey ihr – daß ich ihr Deine Briefe comuniciren muste – und sie sich gar herzlich damit erquikte – ist gewiß – ganz eigen ist es doch daß sie und die Aulock beide – in ihren Wochen mit des Predigers Briefen beschäftigt haben |
den 30ten Aprill
Nun weiter in meiner Erzählung – – morgen sinds 8 Tage daß ich in Pangel war um die Line wieder abzuholen – ich kam nach 10 hin – wurde gleich vom Herrn in die Wochenstube geführt fand die gute Aulock außer dem Bette – und ihre Kleinen um sie her – eine allerliebste Gruppe – mein Liebling Ferdinand ganz weiß angezogen – schien sich meiner – als auch der Backwaare die ich ihnen austheilte gar herzlich zu freuen – ein kleines halbes Stündchen blieben wir so beisamen – nun verließ uns alles – und ich blieb mit der Wöchnerin – und ihrem Kleinen nebst der Amme einer Bäuerin allein – – da wir denn bis 12 uhr ein trauliches Solo hatten – ein mir unvergeßliches Stündchen – – das unter gegenseitiger Mittheilung gemachter Erfahrungen, und den Ergießungen unsrer Dankgefühle – mit dem festen Entschluß immer ergebner in die Führungen unsers Herrn, und, aufmerksamer auf seinen Wink zu werden – lieblich dahinfloß auch hatte ich vorher durch Scheuerl die Gewißheit der Abholung der Line auf Johany erfahren – unmöglich hätte ich darüber schweigen könen – eröfnete also das Gespräch welches ihr sehr erleichternd war, da es ihr viel Kampf gekostet hätte – daß es nicht Mangel an Zutrauen ist — sondern theils, um | dem Hofmeister mehr zu thun zu geben, dann aus der Ueberzeugung der ich von Herzen beistime – daß Lines ganzer Caracter – und Chaos von Anlagen hier nicht so bearbeitet werden könen – auch bey dem besten Willen nicht – demohngeachtet ists ihr imer viel Werth daß sie hier Gelegenheit hatte ihre mißmutige Gemüthstellung unter mehreren etwas unterdrüken – und ihre Herschsucht unter den Willen der Andern zu beugen – – daß mit Lines zu Hause kehren, nicht unser Umgang aufhören – sondern in einem interressanten Fortgang in allerley Mittheilungen bestehen soll – hat sich die Aulock gar lieblich vorgemahlt – – das deucht Euch wohl recht natürlich –
Nach Tische sang der Ferdinand mit der Violine des Hofmeister Herr Leininger begleitet – (der Herrn Prediger Schleiermacher noch aus alten Zeiten kent) ganz allerliebst – – und dann sang dieser noch einge Stüke aus Lazarus – die er hier am 2ten Feyertage bey der Aufführung dieses Stüks ganz vortreflich und mit einem seltnen Ausdruk gesungen; nachher giengs in Garten – wo ich mich an der herrlichen weißen Bäume und den prächtig blühenden Hiacinthen recht erquikte – um 3 uhr in die Wohnstube, wo ich noch ein Stündchen am Bett der guten Mutter und Freundin verbrachte, die gar sehr theilnehmend bey meinem Krampf war – der mich auch auf dem Rükwege begleitete – welchem Dienstags eine entsezhche Schwäche folgte.
Die kleine Aulock heißt Ernestine Philipine Maximiliane – beym ersten wird sie gerufen – der Nahme der verstorbnen Schwester der Aulock – die andern von der Richthof |
Das war wieder einmahl ein eigentliches Fest meines Herzens was vor einigen Stunden mir durch einen Besuch genießbar wurde ich hatte eben die vorige Seite geendet – war mit einigen meiner und andren Kindern die den Husten haben während der KinderStunde zu Hause – als die Frau Krebs mit ihren 3 Töchtern die nicht weit von hier wohnt, und öfters hier besucht – mit einer alten Dame und einem kleinen allerliebsten Mädchen herein trat – welches niemand anders als die ehrwürdige Witwe Bertram – geb. Rambach, mit ihrer EnkelTochter der kleinen Loeuwe, [Tochter] des nahen Freundes unsers unvergeßlichen Vaters – wie sich die Alte freute, die Tochter des lieben sanften Mannes – des Freundes ihrer SchwiegerSöhne – Bürde und Loewe – kennen zu lernen – o! welch süßes WehmutsGefühl mich durchdrang – bey dem Andenken, welches sie mir so lebhaft darstelte, und wie lieblich mirs war, dis allerliebste kleine Mädgen Henriette genant zu sehn, die sie am liebsten gleich in meiner Stube gelaßen hätte – und welche Rükerinrungen an alte sehr liebe Zeiten. O! wer doch stark genug wäre alles das wie sonst zu fühlen – und so recht zu genießen – gern hätte | ich mich noch länger mit der Alten so liebevollen Frau unterhalten von alten Freunden, noch viel von dem Unvergeßlichen den sie so inig schäzt reden wollen – aber sie eilte – das erste Wort ehe sie von ihm sprach, war, daß sie des Oncles erwähnte eine rechte Ueberraschung jemand von diesem unserm verehrungswürdigen Freund sprechen zu hören – sie wußte viel noch von Halle her, von seiner kränklichen Frau – kurz – sie wurde durch ihre ganze Unterhaltung meinem Herzen sehr werth – und ward recht gerührt – so wie ich über unsre Leiden und unsre Trenung –
nur wenig Tage noch – dan komt er der 5te des Mayes – der Einst den Redlichen uns gab – den ich hier eingemahl mit ihm feierte – das lezte mahl mit Charles – unvergeßlich schön dieser, und die folgenden in Oberpeile verlebten Tage!
Zwar kann an seines Grabes Seite
ihm keine SehnsuchtsZähre fließen
doch weinen wir – umsonst fließt sie uns nicht
es ströhmt auf uns durch götliches Geschike
nach dem Gebet des Seeligen
des besten Vaters – auch auf uns zurüke
der Friede Gottes
das höchste Gut der Erlösten
Segen, Friede ruh auf seiner Asche
Ihm ist wohl in der Nähe des Herrn
Eures, meines ja unsers Erbarmers. |
den 1ten May
Heute soll dieser Brief – auf die Post um morgen weiterzugehn vielleicht habt Ihr schon verlangt etwas von mir zu hören – meine Schwächlichkeit – die mich oft bei dem besten Willen hinderte wird mich wohl entschuldigen – so wie es seit 3 Tagen scheint – – geht es auf meine LebensKräfte los seit ich die doppelte portion KräuterSaft nehme die ersten 8 Tage nur eine, und jezt 3 Taßen – das heißt, halb Saft und halb Fleischbrühe – vorher eine Taße Thee, und um halb, 9, meinen Caffé, die ersten mahle wolte mir das Wesen zu viel werden doch jezt gewöhne ich mich hinein – seit diesen erwähnten 3 Tagen führt er mich ganz gelinde ab, und das ist der eigentliche Zwek bey mir – da meine innersten Theile sehr verschleimt seyn sollen – alle die sonderbahren Bewegungen die ich seit geraumer Zeit in meinem Cörper fühle – nent der Doctor Auflösungen, welches mir auch sehr glaublich – – ich hoffe mich nun bald ganz mit ihm auszusöhnen – auch soll Euch diese Epistel auf alle Art contentiren wie meine Arndt sagt – es steht ja so vieles neue und Gute darin – aber nun bitte ich auch bald wieder recht ausführlich – auch etwas von Mademoiselle Schede die mich sehr interressirt zu schreiben – Lotte
Metadata Concerning Header
  • Date: 22. April bis 2. Mai 1797
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 119‒123.

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