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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin d 21t. Dec. 99.
Wenn ich, liebe Schwester, Deinen Wunsch noch am Schluße dieses Jahres einen Brief von mir zu haben erfüllen will, wie ich gar zu gern möchte, so ist es wol die höchste Zeit daß ich anfange zu schreiben: denn in den Feiertagen werde ich sehr beschäftigt sein und jezt habe ich eben ein Paar Tage Ruhe. Zwar in diesem Augenblik kann ich das nicht sagen ich habe ein sehr bewegtes Gemüth; aber es ist eine angenehme Bewegung die ich Dir mittheilen kann, die Freude nemlich über Alexander Dohna’s Wiederkunft der Gestern von seiner langen Reise zurükgekehrt ist und den ich vor einer Stunde zum ersten Male gesehen habe. Gutes und Böses hat er uns schon in Menge erzählt, der Herz und mir. Friederiken hat er sehr gesund verlaßen, welches auch ein noch späterer Brief von ihr an Herz bezeugt. Von den leiblichen und geistigen Fortschritten seiner jüngern Brüder und besonders von Louis angestrengtem Fleiß weiß er mir nicht genug zu rühmen, und so auch von Karolinens Glük in ihrer Ehe und Mutterschaft. Ihr kleines Mädchen ist groß und dik und gesund, und sie hat herzliche Freude daran. Mit seinem Vater hat der arme Alexander einige Scenen gehabt über die ich beide um desto mehr bedaure, je beßer ich sie kenne; der Sohn hat um des allgemeinen Besten der Familie willen dem Vater über manche ökonomische Dinge die Augen öfnen, und dabei deßen Eitelkeit und andere kleine Leidenschaften aufs Höchste beleidigen müßen. Gott gebe nur daß er für alle die innerlichen Schmerzen und äußerliche Kränkungen etwas heilsames ausgerichtet haben mag. Wie es mit Friederike und Adolf steht habe ich noch nicht bestimmt erfahren, es war für Einmal zu viel; Alexander selbst aber wünscht sehnlich daß es zurükgehen möge weil er ihr aus dieser Verbindung kein ihrer würdiges Glük weißsagt, und ich bin von ganzem Herzen derselben Meinung – ginge es nur so. – Ueberdies hat mir Alexander endlich einmal wieder einen Brief von meinem herzlich geliebten und auch mich noch mit alter Freundschaft liebenden Wedeke mitgebracht, dem ich nun auch nächstens | mein Herz recht ausführlich ausschütten werde; ich habe gar viel drauf gegen ihn. Das soll auch noch dies Jahr geschehen; denn am Ende des Jahres pflege ich gar gern Geld und Briefschulden zu bezahlen. Beides hat gewöhnlich seine Schwierigkeiten, da Geld und Zeit am Ende des Jahres am theuersten ist. Mit dem ersten ist es wol bei allen Menschen, in der Welt wenigstens, der Fall; mit der lezten bei uns Predigern besonders weil wir da alle Jahreslisten u.s.w. zu machen, und ich habe nun noch besonders einen neuen Küster einzulernen; das sollen noch schöne Tage werden, um das Jahr zu krönen, das mir in so vieler Rüksicht zuwider gewesen ist. Zu meinen dringendsten Briefschulden gehört auch noch eine große Epistel an Brinkmann nach Paris, von dem ich zwei sehr freundliche Briefe zu beantworten habe, und ein Brief an die Mutter, von der ich seit ewigen Zeiten nichts weiß, so daß ich nicht einmal gewiß bin wer von Uns Beiden zulezt geschrieben hat.
Du liebe Lotte scheinst mir jezt wieder etwas in Dich gezogener als vor einiger Zeit. Dein Gemüth bewegt sich eben wie meines im Zikzak, wenn ich so sagen darf, bald etwas mehr bald etwas weniger nach außen, und es ist uns beiden gewiß recht heilsam daß das von selbst so kommt; aber von selbst muß es auch kommen. So scheint es mir wenigstens: denn Nichts Aeußeres kann mir ein Recht geben mich den Menschen mit denen ich einmal in Wechselwirkung gesezt bin und dem Mitempfinden für sie zu entziehen. Freilich greift das am Ende auch dem gesündesten die Nerven an; aber das halte ich für kein Unglük. China und Eisen können es wieder gut machen, und was diese nicht thun, das thut die Abwechslung im Gemüthszustande die doch nicht ausbleibt. Ich glaube immer, daß es des Körpers Schuldigkeit ist mit dem Geiste zu leiden und daß ein Körper der dies nicht in der Art hat, dem Geist dafür auch in andern Fällen den Dienst versagt wenn er nicht leiden, sondern thätig sein soll. Damit tröste ich mich wenn ich nicht so gesund bin als ich wünsche, und finde dann daß ich immer noch gesünder bin als ich eigentlich erwarten kann. Mit meinen Augen geht es nun auch wieder, und wenn wir nicht großen Schnee bekommen so hoffe ich daß sie mir den Winter ziemlich Ruhe laßen werden. |
den 27ten December Da sind die Feiertage so verstrichen ohne daß ich an Dich habe schreiben können. Ich habe sehr viel Amtsgeschäfte gehabt, die mich herzlich ermüdet haben, und eben so viele warten meiner noch; auch war manches andere indeßen zu thun, womit es eilte wie z.E. ein Brief an Brinkmann den ein Courier mitnahm. Nun will ich desto fleißiger sein um noch mit der morgenden Post den Brief abschiken zu können. Zuerst beantworte ich Deine Fragen soviel ich kann. Mit Alexander habe ich seiner Schwester wegen ausführlich gesprochen. Er erzählte mir allerlei kleine Züge woraus hervorzugehen scheint, daß sie zu Adolf eben keine innige Zuneigung empfindet und jezt vielleicht gar nur um ihr Wort nicht zu brechen und die Familien nicht zu verwirren ihn noch heirathen will; und aus allem was er mir von Adolf sagte ergiebt sich doch, auch nach alle dem was man auf Alexanders Strenge abrechnen muß, daß er nur ein höchst gewöhnlicher junger Mensch ist und Alles was an Friederiken das vortreflichste ist nicht einmal kennt und versteht. Seine anfängliche Begeisterung für sie muß ein flüchtiges Feuer gewesen sein: denn sie fängt schon an zu verrauchen. Wie traurig wäre es, wenn das liebe herrliche Mädchen in einer solchen Ehe verderben sollte! Das Alles zusammen giebt nun eine schrekliche Verwirrung ab; keiner will anfangen der Sache ein Ende zu machen, man fürchtet – und mit Recht – Friederiken auf eine Weise zu erschüttern, die für ihre Gesundheit wieder von den schädlichsten Folgen sein könnte. Alexander hat nun an Adolf einen sehr aufrichtigen und dringenden Brief geschrieben und ihn aufgefordert sich selbst von seinen Gesinnungen die strengste Rechenschaft abzulegen, und lieber zur rechten Zeit zurükzutreten als sich selbst und Friederiken unglüklich zu machen. Die Absendung dieses Briefes ist aber Carolinen und ihrem Manne – der den Adolf auch als einen faden und seichten Menschen ansieht – überlaßen, und wer weiß was die thun. Am Ende beruht meine größte Hofnung noch darauf, daß sich allerlei Geldschwierigkeiten hervorthun, und daß die Sache vielleicht auf diese Art auseinander geht, wobei doch die Gemüther, wenigstens Friederikens, nicht so sehr angegriffen werden. Thun läßt sich vor der Hand von uns nichts, und so muß man um desto zuversichtlicher hoffen daß Gott Alles zum Besten lenken werde. Dies gehört zu den Ungleichheiten zwischen uns welche aus unserer Lage und unseren Grundsäzen unvermeidlich hervorgehn, daß diese Paßivität Dir lieber ist, und Du in allerlei Angelegenheiten lieber Nichts | thust um Nichts zu verderben; ich hingegen lieber thätig bin und michs nicht verdrießen laße wenn ich auch einmal etwas verderbe, sobald ich nur das was ich gethan habe nach meiner besten Ueberzeugung für meine Pflicht hielt. – Von dem Geschäft des alten Grafen wozu ich hier mitgewirkt habe, kann ich Dir Nichts sagen; es bezog sich auf eine ausländische Angelegenheit, und ich habe von dem Ausgange noch nichts erfahren. Auch hat die ganze Sache für uns wenig Interesse und ich erwähnte ihrer nur damals weil sie mir viel unangenehme Beschäftigung gab, und den alten Grafen der sich bei jedem Geschäft gewaltig abquält viel Leiden machte. Eben so wenig kann ich Dir aber aus dem entgegengesezten Grunde weil es zu interessant ist, und zu ausführlich sein und in zu vielerlei Dinge eingreifen müßte etwas näheres über meinen Freund Schlegel schreiben. Es ist Alles das was Du glaubst, ökonomisches litterarisches und noch vielerlei Anderes zusammengenommen. Nach seinen lezten Briefen geht es ihm wol und er fühlt sich glüklich; das tröstet mich aber nicht: denn es ist nur augenbliklich, und hindert ihn nur zu thun was er thun müßte. In einem andern Sinne freilich aber mit vollem Rechte kann ich von ihm sagen was Du von der Aulock sagst, daß er mir Freuden und Leiden gewährt hat, die mir Niemand schaffen konnte; und wenn es jemals geschehen sollte, daß die Verschiedenheiten unserer Denkungsart, die tief in unserm Innern liegen, sich mehr entwikelten und uns klarer würden als unsere eben so große und merkwürdige Uebereinstimmung in manchen andern Punkten; wenn dies jemals wie es bei Schlegels angebohrener Heftigkeit wol möglich ist unser Verständniß auf eine Zeitlang unterbräche und störte, so werde ich ihn doch immer herzlich lieben und den großen Einfluß den er auf micht gehabt hat dankbar erkennen. Es ist in diesen Tagen zwei Jahre gewesen daß er zu mir zog und unsere nähere Verbindung anging, und Du kannst Dir leicht vorstellen auf wie vielerlei Weise mich das bewegt hat
Auf die Aulock machst Du mich durch Alles was Du mir von ihr von Zeit zu Zeit sagst immer verlangender; aber noch nie hast Du Deine Aehnlichkeit mit ihr und Dein genaues Verhältniß zu ihr mit seinen mannigfachen Abwechselungen und Läuterungen in so starken Worten ausgedrükt als dieses Mal, und Du kannst also denken, wie sehr auch mein Verlangen seitdem gestiegen ist. Sie und die Prittwiz die mich nur freilich in einer ganz andern Art auch sehr interessirt mußt Du mir nur recht zu genießen geben wenn ich nach Schlesien komme. Dieses Kommen liebe Lotte ist freilich noch etwas fernes aber der Brief, vor deßen Ankunft ich von Deiner vorhabenden Reise nach Gnadenfeld kein Wörtchen wußte, hat es noch weiter gerükt. | Was mich am meisten hindert ist eine Arbeit die ich leider einmal übernommen habe und die im August nothwendig fertig sein muß. Nun wäre es freilich bei sehr angestrengtem Fleiß und vollkommener Ruhe vielleicht möglich daß ich einige Wochen früher damit fertig würde, und auf diese Möglichkeit hatte ich gehofft. Nun aber da Du eine Reise nach Gnadenfeld vorhast, wobei schwerlich das wann ganz von Dir abhängt oder sich lange Zeit vorher genau bestimmen läßt, so ist es in der That beßer daß ich meine Reise für dies Jahr ganz aufgebe und Du Dich dann in Deinem Entwurf durch keine Rüksicht auf mich geniren laßen darfst. Meine Reise ist dann für 1801, Leben und Gesundheit vorausgesezt nur desto gewißer, und ich kann sie dann ganz in die Jahreszeit verlegen die uns Beiden die convenableste ist. Ein Rendez-vous in Gnadenfeld würde sich eben der Zeitumstände wegen nicht gut machen laßen, und mir auch gar kein Genüge leisten.
Ich sähe Dich nicht in Deinem rechten Wesen und Deiner Ruhe, wir wären auf mancherlei Weise genirt, mehrere Nebenzweke gingen mir verloren und das Sehen der Mutter und der Kleinen wäre auch – für mich – kein rechter Gewinn weil ich sie eben nicht zu Hause in ihrem gewohnten Kreise sähe. Karln siehst Du aber ganz gewiß, und daß Dir auch das noch ferne scheint ist doch nur eine von den Täuschungen die freilich einem Jeden begegnen. Ich habe ihm übrigens gleich geschrieben, daß ich Dir die Nachricht von seiner bevorstehenden Veränderung mitgetheilt habe, und auch warum, und wenn er Dir also nicht schreibt sind es nur seine gewöhnlichen Abhaltungen. Auch ich habe seit jenen Briefen keine Nachricht, und jezt ist wol noch weniger von ihm zu erwarten da ihn der jährliche Abschluß der Rechnungen pp gewiß schon seit mehreren Wochen auf eine außerordentliche Weise beschäftigt.
Ich habe mich recht gefreut Dich einmal wieder von Deinen Beschäftigungen mit den Kleinen, welches lange nicht geschehen war, und zwar mit solchem Interesse sprechen zu hören. Auch ich bin dies Jahr mit Unterrichten auf eine mir sehr liebe Weise beschäftigt gewesen. Ich habe ein einziges Mädchen zum Religionsunterricht gehabt, und sie vor wenigen Wochen confirmirt. Es ist mir nicht erinnerlich daß ich Dir überhaupt davon geschrieben hätte, wenigstens von der Beendigung gewiß nicht. Das gute Kind war sehr vernachläßigt und ich bekam sie, was man weder von ihrem Wohnort noch von ihrem Stande erwarten sollte, mit 16 Jahren ohne alle auch die gewöhnlichsten Religionserkenntniße und Begriffe, als eine ganz unbeschriebene Tafel. Außerordentliche Freude | hat sie mir wol nicht gemacht: denn sie war etwas unempfänglich. Indeßen war mir das Geschäft sehr lieb theils weil ich es überall für das Wichtigste des Predigers halte und es mir so lange ich hier bin noch nicht vorgekommen war, theils weil dies das erstemal war daß ich von Anfang an den ersten Grund legen konnte und also ganz nach meiner Weise und meinen Einsichten verfahren. Je länger es währte, je mehr fruchtete es denn doch, und bei der Confirmation hatte ich noch die besondere Freude die Eltern des Mädchens, die durchaus irreligiös sind, nicht nur gerührt zu sehn, ob ich gleich Alles was so eine gewöhnliche flüchtige Rührung hervorbringen kann sorgfältig vermieden hatte, sondern auch von Ehrfurcht und Achtung gegen die Sache und die Behandlung durchdrungen, die ihnen etwas ganz Neues zu sein schien. Jezt ist es nun vorbei; aber ich will Alles mögliche thun, um irgend eine andere Art von Unterrichtsbeschäftigung zu bekommen; ich fühle es wirklich als ein dringendes Geistesbedürfniß dergleichen zu haben; das eigne Lernen und Studiren ist ohne das etwas so einseitiges und wirklich Geistverzehrendes, und ich kann ordentlich Gewißensbiße dabei empfinden
Was Du mir von Lotte Schlegel, von der Prittwiz, ihrem Kirchgang p sagst ist noch besonders dankenswerth, und hat mancherlei Gedanken und Betrachtungen veranlaßt zu deren Mittheilung aber nicht mehr Zeit ist. Empfiel mich doch beiden in ihr freundschaftliches Andenken. Bekommt denn dem kleinen Moriz der Aufenthalt bei den Großeltern? Sonst im Allgemeinen pflegt das nicht gut zu thun; aber bei Euch ist freilich Vieles anders, manche Gefahr gar nicht vorhanden und also auch manche Vorsicht gar überflüßig. Adieu liebe Lotte. Fahre fort fleißig zu schreiben soviel Du Lust dazu hast daß Du lieber nicht schreibst wenn es Dir nicht gemüthlich ist, ist mir eben auch recht. Glaube daß mir Alles lieb und werth ist was Dich betrift und was Du mir sagst und daß ich auch wol alles was vorkommt und zu Deinem innern Wesen gehört recht gut verstehe wenn ich deßen auch nicht immer ausdrüklich erwähne; wie es mir auch diesmal wieder gegangen ist. Es komt dafür ein andermal gelegentlich nach. Ein fröliches neues Jahr wünsche ich Dir von Herzen und vergiß nicht daß ich in der Neujahrsnacht Deiner und der Gemeine immer ganz besonders gedenke.
Dein treuer Bruder
F. S.
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  • Date: 21. bis 27. Dezember 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 306‒312.

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