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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 2ten Januar 1800.
Eine ganz eigne Ueberraschung war mir gestern Abend Dein lieber Brief, den ich auf meinem Tische fand, als ich von der Schilden zurük kam, der Gouvernante bei Baron Seidlizes wenn Du Dich noch auf dieselbe zu besinen weist! Du versicherst mich darin Deines Andenkens in der lezten Nacht des alten Jahres welches mir um so schäzbarer, da ich Dir wie das schon so oft geschehn – und noch tausendfach wiederholt wird – sagen kann, daß ich die ganzen Feiertage hindurch, und also auch beim Uebergang in dieses Jahr – vorzüglich aber in der Predigt am NeujahrsTag Deiner besonders gedacht – ich darf wohl hinzusezen mit innigem Flehen für Dein wahres Wohl – welches gewiß liebevoll von dem aufgenomen und erhört – der nach seiner Weisheit und Liebe sich in Allen und durch alles was hier noch so dunkel verherlichen, und sich dort auflösen wird in Dank – und namenlosen Jubel!!! – –
Da Du alles verstehst was mit meinem inersten Wesen zusammenhängt und gleichsam zu meiner consistenz gehört – so wirst Du es leicht faßen daß ich noch viel davon sagen könte was ich in diesen Tagen erwogen und wie ich Dich gern eine einzige Stunde bei mir gehabt hätte – um mit wenig Worten viel zu berühren, und ob Du gleich schlecht siehst, dennoch, durchs Auge Empfindungen in Deine Seele überzutragen I
den 3ten Januar.
Da ich schon einmahl angefangen habe, Deinen Brief vom Schluß an zu beantworten, so fahre ich damit fort (ohngeachtet er nicht hier sondern bei Lisetten). Charles Ersehen sei gewiß – und das dunkle davon beruhe auf Täuschungen die gewöhnlich vorkomen – ja, lieber Bruder! wenn alles in seiner alten Laage bleibt – dann könte der Todt es nur hindern – aber – seit einger Zeit, da es gewiß bestätigt ist, daß mann in Gnadenfeld eine Pension errichtet wie hier – trage ich mich mit dem unangenehmen Gedanken herum, daß mann mich dorthin senden könte – obschon viele meiner Mängel es in meinen Augen unmöglich machen, und ich vest überzeugt bin daß ich wesentlichern Nuzen durch meine jezigen Verhältniße mit der Anstalt schaffen kann – und da wir übrigens hier mit fürtreflichen Schreiberinnen und Rechnern versehen, die fals ich hier eine Stelle besezen müste, meiner Ungeschiklichkeit zu Hülfe kommen würden – so – ist meine Furcht doch nicht ganz dadurch verschwunden – da die Sache leicht vor Ostern vor sich gehen kann – zielte ich in meinem Briefe darauf – Winke habe ich hierüber nicht – aber genug Vorgefühle daß meine jezige mir äußerst angenehme Laage bald zu Ende gehen würde – Du siehst leicht – daß dis keinesweges ein lieblingPlan von mir | da es mich bei aller meiner Eingezogenheit ein schmerzhaftes Abreißen kosten würde – Plane sind überhaupt meine Sache nicht nur wenn Dinge die in der Möglichkeit stehn – wahrscheinlich werden mengen sie sich in den WirkungsCreis meiner Ideen – mich oder Andre betreffend. Meine projectirte Reise nach Gnadenfeld hängt hiemit gar nicht zusammen, jedoch, wird sie so wie die Deine, dadurch weiter hinausgesezt bis alles ins klare komt – ich hoffe Du verstehst mich ganz – solte sich ein solcher transport mit mir ereignen, dann hoffe ich wirst Du mich das unangenehme der dortigen Gegend nicht empfinden laßen, sondern mich auch dort mit Deinem Besuch erfreuen; von der Mutter weiß ich seit einem halben Jahre nichts.
Geld mangelt zu Ende des Jahres fast jedermann, diese Warheit werde ich in diesen Tagen mehr als jemals inne – mir ist es selbst kaum möglich wenn ich erwäge wie reichlich Du mich beschenkt hast, und doch ist es so – ich habe mir dafür Wäsche die ich höchst nötig hatte angeschaft – – und sie auch gleich nähen laßen, wozu mich theils Mangel an Zeit bei meinen Schulen – theils Ungeschiklichkeit – da meine Handarbeit in beständigen striken besteht – – hindert. Dadurch bin ich so ausgebeutelt – daß ich zur Noth – nur von meinem 4teljährigen | 10 Reichsthaler aus der Anstalt – die nötigen Weinachtsgeschenke die mancherley Dienstleistungen erfordern – bestreiten konte; nun warte ich sehnlich auf ein Geschenk von der gütevollen von Hochberg – da ich ihrer Milde – aber keinen Termin sezen kann – ersuche ich Dich hiemit mein Lieber mir – wenn es möglich (da wir nun im neuen Jahr leben) mit einigen Thalern – zu helfen – da ich mich sonst genötigt sehe hier zu borgen, welches mir unmöglich, noch weniger hier jemand um etwas anzusprechen – dies zarte Vertrauen auf Deine brüderliche Liebe wirst Du gewiß nicht nur nicht beschämen, sondern auch als Beweis meiner herzlichen Liebe, ansehen, da es Dir wenn Du mich ganz kenst mich hier, weder im Haus, noch im Ort, bloß dargestelt zu wißen eine Freude sein wird, mich dafür durch eine Kleinigkeit zu schüzen die ich ganz von Deiner Bequemlichkeit abhängend, annehmen werde. Daß ich hierüber weitläuftig bin verzeihst Du mir schon, da es Dir ohne Erklärung gewiß unfaßlich schiene – daß ich deßen bedürftig – die Fürstin wird mir vielleicht gegen Ostern, wie das ihre Manier ist was schiken – aber diese Hülfe erfordert Schnelligkeit – ich könte Dir viel von der augenscheinlichen Hülfe mit welcher mich Gottes Vaterliebe öfters ganz unerwartet erfreut hat – sagen – |
Meine gute Pritwiz habe einigemahl mit ihrem kleinen Herman bei sich zu Hause, in dem süßesten Muttergeschäft gesehen – es ist ein allerliebster zarter Junge! verschiedentlich, so auch gestern, speiste sie bei Seidlizes wohin ich auch gebeten wurde – und mich mit allen diesen Lieben – die mir, wenn auch ohne Thatsachen, so viel herzliches Wohlwollen bezeugen, recht ergözt, Moriz ist nur wegen der herannahenden Entbindung der Mutter – und jezt wegen der gänzlichen Aufopferung die sie dem kleinen schuldig – hier bei den GroßEltern – aus Furcht die schöne Pflanze zu vernachläßigen ist es freilich beßer, sie einem andern ältern Gärtner zu übergeben – damit alle die Anlagen nicht erstikt werden. Dein Brief ist nun wieder in meinen Händen – habe aber weiter nichts darüber gehört, da sie selbst ihn nicht gebracht – das gute liebe Weib! auch die Seidlizen die ganz eine andre Frau aber der Gestalt wegen noch reizender – ist auch ihres Benehmens wegen äußerst interressant – gestern bei Tische dachte ich ganz vorzüglich an Dich – da wir so alle beisammen waren – das Glük von guten Menschen geschäzt und geliebt zu werden – fühle ich seit ich mehr eigne consistenz habe stärker und iniger als sonst – o! es hebt über manches unangenehme uns weg – veredelt – und stärkt zu neuer Duldung – nicht so? mit Deinem | Schlegel habe ich wahres Mitleiden – ich habe mir seine Laage so gut oder vielmehr so treu ausgemahlt als ich konte – – schon nach Deiner ersten Schilderung von ihm – stelte ich mir manches so vor – wie ich Dir von meiner Aulock gesagt – nur daß Du den Unterschied zwischen Euch täglich – und deshalb peinigend gewahr wurdest – und die Art der Freuden und Leiden in ihren nüancen und Schattirungen wohl von den meinen gar sehr verschieden sein mögen – – sich nur augenbliklich glüklich fühlen – scheint mir wie das hinunterschluken eines gefrornen eingemachten – – –. Die Fortsezung der Donanischen Geschichten war mir sehr lieb! Alexander scheint doch eine ganze eigne Rolle im väterlichen Hause, als auch solo zu spielen. Carolinens Laage ist mir recht ehrwürdig – – und macht mir wahre Freude! was wird aus dem interressanten Louis werden!!! – Von Deinem Stetiner Freund von welchem Du in Deinem vorigen erwähnst, wuste ich eben so wenig als von dem Mädgen welches Du confirmirt hast – ich sehe und weiß Dich gern in diesem Geschäft – Nun eile ich zum Schluß – so erträglich der Anfang dieses Briefes geschrieben war so unleserlich ist das Ende! verzeihe! daß ich diesmahl nur kurz und eilig wegen der bewusten Noth bin! sei herzlich umarmt und dankbaren biedern Händedruk von
Lotten S.
Sind die angezeigten Uebersezungen des Hamlet (den ich noch nie gelesen) von Deinem Schlegel
Metadata Concerning Header
  • Date: 2. bis 3. Januar 1800
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 324‒328.

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