Lentzke den 15ten Jan 1800.
ich habe Ihren Brief erst kurz vor den christlichen Winterfesten erhalten, und seitdem, wie es die That bezeugt, noch keinen Augenblick gefunden, Ihnen für Ihre Güthe meinen freundlichsten Dank zu sagen.
Zuförderst nehmen Sie nun die Versicherung, daß ich auf Ihre persönliche Bekanntschaft mich besonders freue, und daher Ihr Versprechen, mich hier in Lentzke besuchen zu wollen, mit vielem Vergnügen aufnehme. Haben Sie nun weiter darüber keine Bedenklichkeit. Sie finden bei mir einen gastfreundlichen Heerd und alle Bequemlichkeiten, die ein bescheidner Freund suchen mag. Ueber den vorläufig bestimmten Zeitpunkt erlauben Sie mir nur noch eine kleine Vorstellung | machen zu dürfen. Meine gute Frau befindet sich schon seit dem Herbst nicht wohl, und hat bei dem strengen Winter erst viel gelitten. Der Arzt giebt uns Hofnung, daß erst mit der beßern Jahreszeit ihre Gesundheit zurükkehren würde, und bis dahin möchte ich wol bitten, daß Sie Ihren güthigen Besuch noch verschieben wollten. Ich erwarte mit der Ankunft der Anemonen und Nachtigallen auch einen nordischen Freund, Namens Berger, um deßentwillen ich Sie wol zu mir einladen könnte, und das Gefühl bei mir gelebt zu haben, würde Sie noch lange angenehm begleiten. Wenn es Ihnen so gefällig ist, sprechen wir über diese Zusammenkunft ein andermal noch näher.
Für die Besorgung des Ebel danke ich Ihnen sehr. Vielleicht werde ich nun bald einigen Gebrauch davon machen können, da es nun wol einmal Zeit wird, | an die Fortsetzung meiner Naturbetrachtungen zu denken. Der noch immer verzögerte Abdruck im Athenäum könnte mir natürlich nicht zur Ermunterung gereichen. Es geschähe mir auch eine große Gefälligkeit, wenn ich das Manuscript überhaupt wieder zurükerhalten könnte. Darum bitten kann ich nicht wol. Doch wißen Sie ohne Zweifel, ob es für die Redaction des 5ten Stücks etwas verschlagen könnte, und geben mir darüber einen kleinen Bescheid. Ich sollte glauben, daß Schriftsteller von Profeßion nie in Verlegenheit kommen könnten, besonders wenn die Form einer Schrift es verstattet, daß man irgend einen Abgang sogleich wieder ersetzen kann. Um Ihnen meinen Wunsch begreiflich zu machen, sage ich Ihnen nur vorläufig | daß ich mich selbst schon mit einigen Freunden verbunden habe, eine eigne Zeitschrift herauszugeben. Die Fortsetzung meiner Naturbetrachtungen kann also auf keine Weise für das Athenäum mehr bestimmt seyn, so wie ich überhaupt fernerhin keinen Antheil mehr daran nehmen werde. Ich verstatte jedem seine eigne freie Ansicht des Menschen und der unendlichen Welt, in der wir wirksam sind und thätig. Auch ich habe die meinige, und suche durch sie mich weiter und weiter mit den Kräften aller zu vereinigen. Aber es ist so die Nothwendigkeit unsrer ewigen Beschränkung, daß wir nur durch succeßive Einigung der Individuen dahin gelangen. Einer ist uns in unsrer Ansicht daher näher als ein anderer, und unsre vereinte Wirksamkeit ist nothwendig daher enger in jenem angeknüpft. Man braucht | darüber weder verlegen noch ängstlich zu seyn; es bleibt demnach nur immer die eine und gleiche Tendenz unserer Geister, und die Erklährung aller Verschiedenheit ist darin selbst schon gegeben. So finde ich nun immer mehr, daß ich mit den Herausgebern des Athenäums als Schriftsteller nicht nach einem Plane thätig seyn kann, und das darf weder mir noch ihnen zu irgend einem Vorwurfe gereichen. Auch müßen die Herausgeber selbst das hinlänglich einsehen, und darum vielmehr wünschen daß sie auf eine andere Art und Weise in ihren Zwecken unterstützt werden mögen. Ueberhaupt dürfte es wol sehr gut seyn, daß diejenigen Schriftsteller, die etwas gemeinschaftlich unternehmen, auch durch das wirkliche Leben in näherer Verbindung stünden. | Man kann unmöglich den Zweck haben, ein bloßer Künstler seyn zu wollen. Das heißt eigentlich nichts gesagt. Alles führt uns auf die Realität der Ideale zurük, das heißt auf das Leben, und hier liegt die hohe Ansicht des Göttlichen, in welchem wir die Produkte des Schönen bewundern. Mir wird immer angst und bange, wenn ich über irgend einen Gegenstand eine neue Theorie ankündigen höre. Als ob für vernünftige Wesen auch eine andere Schöpfung, ich weiß nicht woher, zu erwarten wäre! Die Theoretiker mit ihren Kunstausdrücken kommen mir daher, ich gestehe es gern, wie Wahnsinnige vor, und wenn ich es nicht wüßte, daß der große und ernstliche Ton doch nur einen bloßen Spaaß bedeute, so müßte ich mit toll werden um der Gesellschaft willen. Ich bin schon dahin gekommen, daß ich einen Aufsatz nicht mehr lesen kann, wo | viel von Virtuosität und dergleichen gesprochen wird. Auch erscheint es mir so kleinlich, daß nicht jeder mit dem Bewußtseyn als freier Mensch auftreten will, sondern oft nur dadurch zu gelten sucht, daß er um andrer Häupter eine Glorie zieht. Ein englischer Arzt hat für die ganze Erde 800 Millionen Menschen berechnet, und die Sonne des Himmels bescheint uns alle, daß es wahrlich um unsre Glorie keine Noth hat. Die Kunst besteht nur darin, daß wir sehen, was da ist.
Kennen Sie Ludwig Tieck? Ich lese des Mannes Schriften mit großem Vergnügen, und möchte seine persönliche Bekanntschaft machen. Seine Lieder rühren mich, daß ich nicht sagen kann wie. Aber könnte ich nur begreifen | warum er gerade diese hohe Unschuld und Liebenswürdigkeit in christlichen Schwärmern, wie z. B. in Franz Sternbalds Wanderungen, aufstellt. Hätte er ein Zeitalter der griechischen Künstler gewählt, so könnte alles vermieden werden, was dem Ideale widerspricht, und darum auch eine Stöhrung in unserm Gefühle ist. Seine letzte Schrift verstehe ich nicht, weil sie Beziehungen auf Personen enthält, die ich nicht kenne. So muß es wol seyn. Auch weiß ich die wunderbaren Metamorphosen nicht zu rechtfertigen, vermuthe aber auch, daß der Grund davon bloß darin liegt, daß ich die Allegorien nicht deuten kann. Das hinderte indeß doch nicht, daß ich vieles mit großem Vergnügen gelesen habe. Wenn ich ihn spräche, würde ich schon Aufschluß erhalten. Dann wollte ich ihn aber auch bei dem großen Apoll beschwören, daß er doch den Satan und die heilgen Engel und das ganze Christenthum aus seinen herrlichen Dichtungen verbannen wolle. Leben Sie wohl. Mit aufrichtigen Gesinnungen der Ihrige
A. Hülsen
ich habe Ihren Brief erst kurz vor den christlichen Winterfesten erhalten, und seitdem, wie es die That bezeugt, noch keinen Augenblick gefunden, Ihnen für Ihre Güthe meinen freundlichsten Dank zu sagen.
Zuförderst nehmen Sie nun die Versicherung, daß ich auf Ihre persönliche Bekanntschaft mich besonders freue, und daher Ihr Versprechen, mich hier in Lentzke besuchen zu wollen, mit vielem Vergnügen aufnehme. Haben Sie nun weiter darüber keine Bedenklichkeit. Sie finden bei mir einen gastfreundlichen Heerd und alle Bequemlichkeiten, die ein bescheidner Freund suchen mag. Ueber den vorläufig bestimmten Zeitpunkt erlauben Sie mir nur noch eine kleine Vorstellung | machen zu dürfen. Meine gute Frau befindet sich schon seit dem Herbst nicht wohl, und hat bei dem strengen Winter erst viel gelitten. Der Arzt giebt uns Hofnung, daß erst mit der beßern Jahreszeit ihre Gesundheit zurükkehren würde, und bis dahin möchte ich wol bitten, daß Sie Ihren güthigen Besuch noch verschieben wollten. Ich erwarte mit der Ankunft der Anemonen und Nachtigallen auch einen nordischen Freund, Namens Berger, um deßentwillen ich Sie wol zu mir einladen könnte, und das Gefühl bei mir gelebt zu haben, würde Sie noch lange angenehm begleiten. Wenn es Ihnen so gefällig ist, sprechen wir über diese Zusammenkunft ein andermal noch näher.
Für die Besorgung des Ebel danke ich Ihnen sehr. Vielleicht werde ich nun bald einigen Gebrauch davon machen können, da es nun wol einmal Zeit wird, | an die Fortsetzung meiner Naturbetrachtungen zu denken. Der noch immer verzögerte Abdruck im Athenäum könnte mir natürlich nicht zur Ermunterung gereichen. Es geschähe mir auch eine große Gefälligkeit, wenn ich das Manuscript überhaupt wieder zurükerhalten könnte. Darum bitten kann ich nicht wol. Doch wißen Sie ohne Zweifel, ob es für die Redaction des 5ten Stücks etwas verschlagen könnte, und geben mir darüber einen kleinen Bescheid. Ich sollte glauben, daß Schriftsteller von Profeßion nie in Verlegenheit kommen könnten, besonders wenn die Form einer Schrift es verstattet, daß man irgend einen Abgang sogleich wieder ersetzen kann. Um Ihnen meinen Wunsch begreiflich zu machen, sage ich Ihnen nur vorläufig | daß ich mich selbst schon mit einigen Freunden verbunden habe, eine eigne Zeitschrift herauszugeben. Die Fortsetzung meiner Naturbetrachtungen kann also auf keine Weise für das Athenäum mehr bestimmt seyn, so wie ich überhaupt fernerhin keinen Antheil mehr daran nehmen werde. Ich verstatte jedem seine eigne freie Ansicht des Menschen und der unendlichen Welt, in der wir wirksam sind und thätig. Auch ich habe die meinige, und suche durch sie mich weiter und weiter mit den Kräften aller zu vereinigen. Aber es ist so die Nothwendigkeit unsrer ewigen Beschränkung, daß wir nur durch succeßive Einigung der Individuen dahin gelangen. Einer ist uns in unsrer Ansicht daher näher als ein anderer, und unsre vereinte Wirksamkeit ist nothwendig daher enger in jenem angeknüpft. Man braucht | darüber weder verlegen noch ängstlich zu seyn; es bleibt demnach nur immer die eine und gleiche Tendenz unserer Geister, und die Erklährung aller Verschiedenheit ist darin selbst schon gegeben. So finde ich nun immer mehr, daß ich mit den Herausgebern des Athenäums als Schriftsteller nicht nach einem Plane thätig seyn kann, und das darf weder mir noch ihnen zu irgend einem Vorwurfe gereichen. Auch müßen die Herausgeber selbst das hinlänglich einsehen, und darum vielmehr wünschen daß sie auf eine andere Art und Weise in ihren Zwecken unterstützt werden mögen. Ueberhaupt dürfte es wol sehr gut seyn, daß diejenigen Schriftsteller, die etwas gemeinschaftlich unternehmen, auch durch das wirkliche Leben in näherer Verbindung stünden. | Man kann unmöglich den Zweck haben, ein bloßer Künstler seyn zu wollen. Das heißt eigentlich nichts gesagt. Alles führt uns auf die Realität der Ideale zurük, das heißt auf das Leben, und hier liegt die hohe Ansicht des Göttlichen, in welchem wir die Produkte des Schönen bewundern. Mir wird immer angst und bange, wenn ich über irgend einen Gegenstand eine neue Theorie ankündigen höre. Als ob für vernünftige Wesen auch eine andere Schöpfung, ich weiß nicht woher, zu erwarten wäre! Die Theoretiker mit ihren Kunstausdrücken kommen mir daher, ich gestehe es gern, wie Wahnsinnige vor, und wenn ich es nicht wüßte, daß der große und ernstliche Ton doch nur einen bloßen Spaaß bedeute, so müßte ich mit toll werden um der Gesellschaft willen. Ich bin schon dahin gekommen, daß ich einen Aufsatz nicht mehr lesen kann, wo | viel von Virtuosität und dergleichen gesprochen wird. Auch erscheint es mir so kleinlich, daß nicht jeder mit dem Bewußtseyn als freier Mensch auftreten will, sondern oft nur dadurch zu gelten sucht, daß er um andrer Häupter eine Glorie zieht. Ein englischer Arzt hat für die ganze Erde 800 Millionen Menschen berechnet, und die Sonne des Himmels bescheint uns alle, daß es wahrlich um unsre Glorie keine Noth hat. Die Kunst besteht nur darin, daß wir sehen, was da ist.
Kennen Sie Ludwig Tieck? Ich lese des Mannes Schriften mit großem Vergnügen, und möchte seine persönliche Bekanntschaft machen. Seine Lieder rühren mich, daß ich nicht sagen kann wie. Aber könnte ich nur begreifen | warum er gerade diese hohe Unschuld und Liebenswürdigkeit in christlichen Schwärmern, wie z. B. in Franz Sternbalds Wanderungen, aufstellt. Hätte er ein Zeitalter der griechischen Künstler gewählt, so könnte alles vermieden werden, was dem Ideale widerspricht, und darum auch eine Stöhrung in unserm Gefühle ist. Seine letzte Schrift verstehe ich nicht, weil sie Beziehungen auf Personen enthält, die ich nicht kenne. So muß es wol seyn. Auch weiß ich die wunderbaren Metamorphosen nicht zu rechtfertigen, vermuthe aber auch, daß der Grund davon bloß darin liegt, daß ich die Allegorien nicht deuten kann. Das hinderte indeß doch nicht, daß ich vieles mit großem Vergnügen gelesen habe. Wenn ich ihn spräche, würde ich schon Aufschluß erhalten. Dann wollte ich ihn aber auch bei dem großen Apoll beschwören, daß er doch den Satan und die heilgen Engel und das ganze Christenthum aus seinen herrlichen Dichtungen verbannen wolle. Leben Sie wohl. Mit aufrichtigen Gesinnungen der Ihrige
A. Hülsen