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August Ludwig Hülsen to Friedrich Schleiermacher

Lentzke den 26ten Jan 1800.
Mit besonderer Freude mußte ich Ihren letzten Brief wol empfangen, da Sie ihn noch mit andern köstlichen Worten begleiten, die auch an mich gerichtet sind. Nehmen Sie meinen Dank dafür in höherer Liebe und Freundschaft, und laßen Sie es sich wohlgefallen, daß ich mit zu der Zahl der wenigen gehöre, denen Sie nun nicht mehr fremd sind. Gewiß kann man es sagen, jeder sieht den andern zuerst in sich selbst, und es war nur ein Wiedersehen, wo Freunde sich fanden. Sie finden sich immer im unendlichen Raume, wenn sie sich nicht schon angehörten im Innersten ihrer Wesen.
Ihre Monologen sind nicht zu verkennen als das, was sie sind, und ich brauche es Ihnen nicht erst zu sagen, mit welchem Wohlgefallen ich Ihnen zuhörte. Gewißermaßen sind sie allerdings ein Gegenstück von meinen Naturbetrachtungen; aber | das gewißermaßen hebt die Zusammenstimmung doch nicht auf, so schneidend sie auch dem Anschein nach oft zu hören seyn möchte. Einen Ihrer Haupttöne kann ich nur nicht billigen, und auch in Ihnen nicht begreifen. Sie sind ein junger Mann, der nicht fürchten darf von der Welt außer sich erdrückt zu werden; und doch schreiben Sie mit einer gewißen Bitterkeit und einem Unwillen, als ob Sie das Ewige nicht sähen, und sich hingegeben hätten in die Beschränkungen des Zufalls. Ich kenne das Gefühl dieser Weltansicht wol, und habe viel mit ihm gekämpft und ihm oft erliegen müßen. Aber bleiben kann es doch nicht, wenn wir bleiben sollen. Harmonie unserer Gefühle ist unser identisches Wesen, das wir suchen und wollen. Aber eben darum will ich jetzt es sehen und begreifen, weil im Gefühle meines Daseyns ich wirklich bin, und ich kann es wahrnehmen, | so bald ich jede Affection wieder als die meinige betrachte. Ich wurde in der That bange, Sie würden mich in Ihrer Weltansicht noch bei Namen nennen, denn Sie wißen, wie ich schon anderswo einen ganz andern Gesichtspunkt gegeben habe. Mich dünkt, daß wir in unsern Klagen uns selbst hintergehen, sobald wir einmal den Widerstreit im Ideale begriffen und ihn zum Scheine gedeutet haben. Anders ist er einmal nichts, weil wir sonst unsre eigne Vernunft nicht festhalten und den Menschen begreifen könnten. Sie scheinen mir auch ein böses Prinzip anzunehmen, das, ich weiß nicht auf welche Art, radikal seyn soll. Aber der Erklährungsgrund des verworrnen Schauspiels des Lebens liegt uns ja so nahe. Vom Mittelpunkt aus ist Ordnung der Sphären, und jede Verwirrung ist gelöst, wenn wir diesen Standpunkt ergriffen. Ich glaube auch nicht, daß so harte Ent|gegensetzungen mehr als augenblicklich in uns seyn können. Es widerstrebt ihnen unser ganzes Wesen, und wir würden das Leben nicht ertragen können, das in sich selbst einen solchen Widerstreit enthielte. Aber was ich Ihnen sagen kann wißen Sie alles selbst; und Sie sollen mir nur erklähren, warum die freie Ansicht Ihr Gefühl nicht auch bestimmte. Ich finde es durchblicken in allen Ihren Monologen. Oft zwar dient es nur die Hauptansicht dadurch in das hellste Licht zu stellen, aber die Klage erscheint doch als der eigne Zustand Ihres Gemüths, und das eben wollte ich nicht gern. Ich sage Ihnen dies um so freimüthiger, da Ihre Monologen den gleichen Werth für mich behalten, und ich sie noch oft mit großem Vergnügen lesen werde. Es ist doch einmal nichts köstlicher, als den Menschen in seinem freien Eigenthume zu erblicken, und darin wird Niemand Sie verkennen, wer frei und eigen Sie beurtheilt. Der schöne und heitere | Schluß hat mir recht wohl gethan. Ueberhaupt finde ich in Ihrer Aussicht recht trefliche Gedanken und wenn ich es sagen darf, ein immerwährendes Begegnen meiner eignen Gefühle.
Das Urtheil des guten Greises, dem ich Ihre Reden mittheilte, kann ich Ihnen nicht sagen. Der würdige Mann hat seine Jugend doch nicht in sich erhalten können, da er es wiederholentlich klagt, daß er Bücher die einige Anstrengung und Aufmerksamkeit erfordern, nicht mehr lesen könne. Sie werden mit Recht daraus abnehmen, daß er in der höhern Region des Lichts doch noch immer kein eignes freies Eigenthum hatte, denn sonst könnte nichts die höhere Anschauung ihm rauben. Er hat mir über Ihre Reden auch kein Wort geschrieben, sondern bloß nur verheißen, daß er mündlich mit mir darüber zu sprechen wünsche. Dies ist noch nicht geschehen, und bis dahin müßen Sie sich also gedulden.
Das Künstlerseyn nehmen Sie wirklich | in einem sehr strengen Sinne. Ich glaube indeß doch, daß man dadurch nur eine gewiße Eigenthümlichkeit eines Menschen ausdrücken kann, und immer dabei nicht vergeßen darf, daß er gleichwol noch Mensch bleibe. Ohne Liebe und freies Gefühl kann er nicht existieren, und wir würden es oft genug finden, wenn wir wie er selbst die Beobachter seines Innern wären. Goethe kenne ich eben nicht genau. Ich war nie in seinem Hause, und sahe ihn nur zu weilen so, daß ich seinen Ausdruck beobachten konnte. Aber unter allen mir bekannten Dichtern habe ich in ihm die freiste Natur vorausgesetzt, und ich wäre begierig zu wißen, worauf Sie das Urtheil über ihn gründeten: Von Schiller möchte ich es weit eher behaupten, daß er ein Künstler sey. Denn es ist in ihm überall keine Leichtigkeit sichtbar, und eben darum auch keine Naivität. Aber wenn denn auch Tieck der freie | natürliche Mensch nicht ist, wofür ich ihn zum mindesten gehalten habe: so mag ich lieber über Niemand urtheilen, bevor ich ihn nicht von Angesicht kennen gelernt habe. Ueber Wilhelm Schlegell habe ich längst das Urtheil gefällt, was auch Sie geneigt sind zu fällen. Er ist viel zu sehr das Produkt seiner Beschränkung, als daß ein freier Geist seine Handlungen beseelen könnte. Den Bruder habe ich mir immer in Ehren gehalten; doch weiß ich nicht, welchen Anstand ich noch genommen habe, Ihnen meinen Wunsch über ihn mitzutheilen. Ich finde ihn nämlich zu sehr noch in einem Kampfe mit sich selbst begriffen. Er schreibt mit sichtbarer Anstrengung, und seine Art sich auszudrücken hat nichts weniger als meinen Beifall. Dies habe ich ihm auch selbst in Rücksicht seiner Fragmente bescheiden erkiährt. Doch scheint er mich nicht genug verstanden zu haben, und ich finde mich weiter nicht aufgefodert, darüber mit ihm zu sprechen. Meines Dünkens kann man nicht still und bescheiden genug | vom Menschen sprechen, um seine ganze Größe eben auszudrücken. Das nämlich was sich von selbst versteht, muß nicht erst durch Gegensätze in ein hohes Licht gestellt werden sollen. Man gewinnt dadurch nichts, wol aber erregt man den Verdacht, daß man mit reinem gesunden Auge sich selbst noch nicht geschaut habe. Eigenheit erfolgt von selbst wenn man sich frei gemacht hat, und dies läßt sich absichtlich nicht ausdrücken, ohne auch an Liebenswürdigkeit wieder zu verliehren, da die Freiheit ihrem göttlichen Wesen nach ganz anspruchslos ist. Schlegel wird aber den Kampf bestehen, und dann gewiß als ein wackerer Held unter uns erscheinen. Sind Sie mit ihm in den Verhältnißen, ihm ein freies Wort sagen zu können, so werden Sie sich dadurch auch um so mehr seine Freundschaft versichern können. Ich bin es nun zufrieden daß meine Naturbetrachtungen im Athenäum mit abgedruckt werden. Mir ist nur das | dabei unangenehm, daß sie zu einer Zeit erst bekannt werden, wo ich wünschte, daß man ihrer nur noch in Stillem gedächte. Mit der Herausgabe einer eignen Zeitschrift ist es mir übrigens allerdings Ernst. Aber so wie Sie stoße auch ich mich an dieser Form, und berathe mich daher auch noch mit meinen Freunden, wie wir sie am schicklichsten wol können auftreten laßen. Ich habe den Titel Mnemosyne in Vorschlag gebracht. Das Athenäum macht sich zwar über diese Art von Ausstellung lustig; doch halte ich sie darum für nichtsdestoweniger würdig, denn die Idee des Ganzen läßt sich sehr schön darunter darstellen. Noch erwarte ich erst den Besuch von meinem Freunde aus Dänemark, mit dem ich eigentlich die Sache unternehme, und vor der Hand kann es daher noch nicht zur wirklichen Ausführung kommen. Doch | hat Herr Hammerich in Altona sich für den Verlag bereits erklährt, und von den übrigen Mitarbeitern kann ich Ihnen noch Herrn Herbart in Bern und Herrn Prof. Schmidt in Bremen nennen. Wir kennen uns seit mehreren Jahren, und haben mit einander schöne Tage gelebt. Freier war nie eine Verbindung als die unsrige. Mit einem fremden Namen und aus allen meinen Verhältnißen herausgerißen ging ich im Jahre 94. in die Welt. Ich suchte Menschen und fand sie. Keiner von uns ist der gepriesenen Männer einer: aber Niemand von uns fürchtet sich auch, mit eignem freien Bewußtseyn aufzutreten, und zu dem Zeitalter zu reden. Haben Sie meine Worte über das gemeinschaftliche Leben so gedeutet, als ob meine Freunde durch die Nähe der Räume mit mir verbunden wären so berichtige ich dies gern. Doch war unter uns eine solche Gemein|schaft, und wir kennen unsre Zwecke und wißen, wie unsre Wege dahin, immer in ewiger Nähe bleiben. Einen sehr wichtigen Beitrag für die Mnemosyne finde ich schon in dem Briefwechsel mit meinen Freunden, besonders mit Berger. Auch besitze ich von diesem schon mehrere Fragmente, die darin einen Platz finden können. Um Sie mit der Art dieses treflichen Mannes bekannter zu machen theile ich Ihnen Eines der Fragmente mit. Es lautet also.
„Was aus der Natur zu Dir spricht, so weit Deine Blicke reichen und die Ahnung Deiner Seele strebt, ist ewig durch jede Wandlung und in jedem Strahl der Sonne, Ein Geist, und dieser Geist ist Dir verwandt. Du sahest ihn. Liebend ruhte die Umar|mung in des Haines säuselnden Schatten. Kühn und frei nahmen Helden-Jünglinge Hand in Hand über weitgestreckte Gebirge ihren Lauf. Auch Du empfandest die stille Berührung. Auch in Dein Wesen drang der unsterbliche Ton.
Ein fliegender Stern durch die Räume des Himmels ist die heilige Ernährerin Erde, auf der Du wandelst, deren Gabe Dich erquickt. Du siehst den Stern nicht leuchten, nicht kreisen durch das Blau. Doch ein Geist der Dir verwandt ist, sieht ihn und mißt seine Bahn und ahndet Dich. Du aber siehest am Tage die Sonne, die Deine Schöpfung belebt, und in der Stille der Nacht schwebst Du hin durch alle Strahlen der Unendlichkeit.
Und derselbe Geist, den Du ahndest in stiller Erhebung, ist Dir nah im | regen verwirrten Leben, das um Dich ist, und das Dein sinnendes Auge deuten will. Sieh des Greises stille vollendete Betrachtung, des Mannes sichre beherrschende Kraft. Sieh der Mutter sorgende Liebe. Sieh des Jünglings weithinstrebende Freiheit, und des liebenden Mädchens stilleres Entzücken. Sieh unter Blumen die Spiele der Kindheit, die eine Gottheit fühlt. Sieh dieses Lebens vereintes verjüngendes Bild. Deute es. Fühle Dich umschlungen von Göttern.
Doch auch jeden verwirrenden Traum und jedes schmerzende Gefühl der Wesen, die um Dich sind, umfaße und empfinde Deine tiefgerührte Brust. Denn nur so wirst Du die Wesen begreifen. Nur so wirst Du Eins mit ihnen seyn und sie mit Dir. Fürchte keinen. Eine Liebe ist für | Dich in allen.
Der erwachende Gesang, der bleibende, der tiefer und tiefer und in Dein Wesen dringt, der ist es, der, ein stiller heilender Strom, einst jeden Schmerz erhellen und erhöhen wird zur Freude. Und jetzt, da Du lebst, erhellt er sich. Denn das ist er, Erhöhung der Freude. Fühlst Du ein anderes? Findest Du einen zweiten Ton, der Dich spräche und Dein innerstes Wesen?
Dein Wesen lebt und berührt die Welt durch das bildende sichre Wort, und deßen Leben im Einklange der Töne. Und Dein Wesen wird berührt vom verwandten Geist durch das gleiche sanft erzitternde Leben. Kein Zeichen erreicht oder deutet des Gesanges unsterbliche Macht. Drum suche die Kreise des Lebens und hoffe hier die hohe Gewißheit, | die heilge Lehre zu hören, nach der Deine Seele dürstet.
Der Buchstabe, den Du siehst, ist nicht was Du suchest. Aber das Wort des Freundes, der Geliebten erkannter himmlischer Ton – das ist es. In diesem Zauber verweile ewig. Du kannst nicht aus ihm treten, wenn er Dich ergriff. Du kannst ihn nicht verfehlen. Noch eh Du ihn suchtest, hatte er Dich ergriffen. Alle Kreise nähern sich diesem in ewigen Flügen. Seine Gewalt ergriff jeden Flug und zieht ihn in sich und hält ihn. –
So deute die todte Wahrheit, die Dein Auge sieht. Denn der freiste Gedanke ist ein unsterblicher Ton, lebend und bleibend in der Harmonie des Weltalls. Welches Zeichen lebt wie dieser Ton? Welches Blatt | ist redend wie er? Bist Du einsam? Ist in ewigen Felsen eine Kluft, die nicht erschölle von Gesängen des Lebens? –
Was sucht Dein Geisterhelltes Auge? Sucht es eine blühende Natur, schaffend, unsterblich? – Was strebt Deine Hand zu bilden, die Beherrscherin der Natur? Räthselhafte Zeichen, oder eine Schöpfung, die ewig nur sey durch sie?
Das ist die Bedeutung des Buchstabens, des Wortes, wo es eingegraben in ewige Felsen den Himmlischen winkt: aus ihrer Brust soll es tönen und die Felsen beleben. –
So erwecke, stiller Wandrer durch heilge Schatten, ein vertrauter Zug der Hand die ruhenden Töne Deiner Brust. So deute, so belebe, Wesen der Gegenwart, jedes heilge Denk|mal der Ewigkeit. So umwalle die stille Harmonie die Schöpfung, und ihre verjüngende Welle zittre melodisch zurück durch jedes blühende Gefilde unsrer Vorwelt.“
Ich habe mit Fleiß eines von den längern Fragmenten gewählt, ob ich gleich nicht sagen kann, wie manche Veränderung jetzt der Verfasser darin vornehmen möchte. Ich besitze die Worte, wie sie aus der ersten Feder floßen, ohne daß ein Buchstabe gestrichen wäre. In den Briefen herrscht überall ein freier schöner Gedankengang, und ich müßte auf jeden Fall darauf denken, sie gemeinnütziger zu machen. Eine Probe theile ich Ihnen aus dem letzten Briefe mit. Er spricht von den goldnen Hofnungen, die von allen | Seiten winken, und uns sagen daß die Welt der Götter lebe und blühe und sagt nun.
„So ist es die Göttin Phantasie, die Schöpferin aller Himmel, die uns allein glücklich oder unglücklich macht, und was ein Mensch sein Glück und seine Freude nennt, das darf kein andrer tadeln. Zuletzt ist es doch die eine und gleiche Welt, die unser aller Auge entzükt, und jede Brust mit Kraft und Wonne erfüllt. Sie giebt uns allen den Frieden der Götter, wenn wir sie in jeder Wandlung fest halten und alle unendlichen Geister in unser Wesen mit freier Liebe aufnehmen. Aber frei ist diese Liebe, und darum wollen wir auch miteinander kämpfen wie die Heroen des Alterthums, bis aller Streit versöhnt ist, und Elysiums Hain uns alle in schöner Einigkeit versammelt. | Wenn ich zu Dir komme, und die Schatten Deiner Bäume mich kühlen, und der Duft Deiner Rosen mich erquikt, dann wollen wir denken, hier sey der stille Hain, und alle Geister schweben unsichtbar um uns her &ct.“
Und nun zuletzt noch eine Probe aus einer Reise mit mir in der Schweitz:
„Wir gingen über den Schwandiberg etwan 7. oder 8. Stunden ohne Aufenthalt. Er stieg oft jäh empor. Wir versanken in Schnee. Kein Mensch war vielleicht zu einer solchen Jahreszeit noch hinüber gegangen. Wir verirrten uns in sumpfigte Wildniße, und mußten über Waldströme. Ein schmaler Fußsteg führte uns über Abgründe hin, die an beiden Seiten uns drohten. In der Tiefe brüllten und toseten die Gewäßer. | Große Felsenstücke hemmten unsern Schritt. Der Mond erleuchtete die Scene und leitete unsern zweifelnden Fuß. Oft verhüllte ihn die fliegende Wolke und streute schwarze Schatten umher. Einst schwankte ich schon hinaus über die Tiefe. Aber mein Geist blieb gegenwärtig. Ich bog hinüber auf die Feste und fand des Freundes Unterstützung. Endlich schimmerte uns in der Ferne ein Licht. Muth durchdrang uns von neuen. Wir gingen tiefer und tiefer, und standen an einem tobenden Waldstrom, in deßen Schaum der Mondstrahl spielte. Ueber uns himmelhohe bloße Felsen. Wir hörten des Freundes Wort nicht, so tobten die Gewäßer. Ein schmales schwankendes Brett lud uns ein. Unser treuer Führer wagte sich zuerst und wir folg|ten ihm männlich. So kamen wir an die Hütte, die uns durch die Felsenwege gewinkt hatte. Eine freundliche Bäuerin labte uns mit Milch und ein junger Hirte führte uns in das nächste Dorf. Es war spät am Abend; aber der gute Pfarrer empfing uns freundlich, und der Schlummer hüllte uns bald in milde Vergeßenheit.“
Diese Worte sind aus seinem Tagebuche, davon ich einen Theil besitze, und das würde Ihnen auch schon den Stil verrathen können. Uebrigens urtheilen Sie ohne Zweifel, daß wir in unsrer Ansicht eine unverkennbare Gemeinschaft haben, so daß wir wol ein literärisches Werk gemeinschaftlich unternehmen können. Berger weiß dabei auch seine Gedanken in einen wiederkehrenden Rythmus | angenehm darzustellen, so daß die Freunde des Gesanges uns auch mit Wohlgefallen hören können. Viele Mitarbeiter wünsche ich nicht, und möchte ich schwerlich auch finden, da ich nur mit so wenigen Gelehrten in einer nähern Verbindung stehe. Besuchen Sie mich im Frühjahr, wie ich es gewiß denn erwarte, so werde ich es bei Ihnen aber nicht fehlen laßen, um Sie für mein Intereße zu gewinnen. Ich glaube wol, daß es Ihren Wünschen doch einigermaßen entsprechen könne, da es uns gewiß nicht an Berührungspunkten fehlt, und die Aufforderung zu irgend einer Gemeinschaft also zu gleich ein freier Entschluß seyn dürfte. Was ich Ihnen von Berger mitgetheilt habe wird Sie oft an Ihre Reden und Monologen erinnern können, und ich werde mir auf jeden Fall einen freundlichen Dank verdienen, wenn ich meinen Freund nun bald näher mit Ihnen bekannt mache.
Haben Sie selbst schon über die Form | einer Zeitschrift nachgedacht, und wißen Sie Mittel dem Mangelhaften dabei abzuhelfen, so haben Sie die Güthe, mir Ihre Ideen mitzutheilen. Noch ist alles abzuändern, und ich hoffe auch wol, durch Rath und Unterstützung die Sache zweckmäßig einzurichten.
Für die überschickten Abdrücke der beiden Pasten danke ich gar sehr. Ich darf es aber ohne Rükhalt sagen, sie haben nicht ganz meinen Beifall. Indeßen wird es doch darauf ankommen, ob Sie beide Pasten für mich wirklich haben kommen laßen, alsdann versteht es sich von selbst, daß ich sie wirklich auch nehme. Im andern Falle würde ich es lieber abwarten, bis Sie wieder einmal eine Gelegenheit nach Leipzig finden, welches sich zum wenigsten zur Ostermeße wol ereignen dürfte. Alsdann bitte ich den Kopf in Gold faßen zu laßen und die ganze Figur in Meßing mit einem hölzernen Handgriff, welches beim Siegeln mit Mundlak sehr viel Vortheil | gewährt. Mit der Harfe hat es gern Zeit, bis Sie einmal gelegentlich davon hören. Das Athenäum überschicken Sie mir wol, so bald der Abdruck vollendet ist. Ich bitte aber um nicht weniger als 4. Exemplare, wenn nämlich die Hefte auch einzeln zu haben sind, und Sie würden also 3. davon güthigst in Rechnung bringen. Ich habe dem Athenäum bereits 8. Abonnenten verschaft, die aber schwerlich bleiben werden, so bald ich aufhöre daran Theil zu nehmen. Ich glaube auch ohnehin daß es den Gebrüdern mit der Fortsetzung nicht gar großer Ernst seyn mag. Es wird zu schläfrig und doch zu leicht wieder betrieben, und auf die Weise kann es sich nicht erhalten. Schreiben Sie nach Jena, so vermelden Sie meine schönsten Grüße, und nun zum Schluß noch die Bitte. Ich finde Fichtes Bestimmung des Menschen angekündigt. Schicken Sie sie mir doch so bald als möglich brochirt, denn ich bin äußerst begierig, was er mich will glauben laßen. Adieu! Mit aufrichtiger Freundschaft
der Ihrige
A. Hülsen.
auch um 1. Exemplar von Ihren Monologen bitte ich Sie noch sehr.
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  • Date: Sonntag, 26. Januar 1800
  • Sender: August Ludwig Hülsen ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Lentzke ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 358‒367.

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