Hamburg den 8. April 1800.
Du wirst es begreifen und entschuldigen, liebster Schleiermacher daß ich Deinen herrlichen Brief vom 22. März so spät beantworte, wenn ich Dir erzähle, daß ich seit 3 Wochen dem Heimgehen so nah war, daß ich schon die Thurmglocken des neuen Jerusalems sehr vernähmlich hörte. Ich lag 14 Tage lang so abgespannt, daß ich weder essen, schlafen noch sprechen konnte, indem eine furchtbare Gicht sich auf Kopf und Brust warf. Ich litt wie ein schon vollendeter Verdammter, oder wie ein werdender Heiliger, denn ich hatte dabei unaufhörliche Kopfschmerzen und Brustbeklemmungen zum Ersticken. Eine Migräne unter anderm von 96 Stunden hinter einander, und ärger mag Christus in Gethsemane | nicht gelitten haben. Da meine Freunde nicht duldeten, daß ich ohne Arzt blieb, suchte ich wenigstens meine Unparteilichkeit bis in den Tod zu erhalten, und reichte Einem Juden und Einem Christen die Hand. Die zerrten denn jeder an seiner Seite so gut, daß der Tod die Lust verlor gegen Gesez und Evangelium auf Einmal hinanzukämpfen. Das beste that wol indeß hier, wie immer eine liebenswürdige Frau, deren liebevolle Güte das Herz so frisch erhielt daß keine Gicht es auszutrocknen vermöchte, und deren ausgesuchte Küche für den Körper wohlthätiger geworden als die Apotheke. Seit 10 Tagen lebe ich nun auf ihrem Sofa und vor ihrem Theetisch, schwach freilich wie ein Schatten, | aber wahrscheinlich liebenswürdiger wie sonst; denn mein Hauptfehler ist unleugbar zu viel sprechen, und alleweil ist dies ungefehr auf Ein Zehntheil der vorigen Quantität reduzirt worden. Ich bin erbärmlich elend, und sehe noch gar nicht ein, wie ich je von hinnen kommen soll. – Du begreifst daß das Denken keinesweges zu denen aus diesem Schifbruch geretteten Eigenschaften gehört. Ich habe also noch nichts von Bedeutung lesen können; selbst Deine Monologen liegen noch unaufgeschnitten auf meinem Tisch, und das Schreiben – selbst in Versen, welches doch im Grunde die unwillkürlichste Art dieser Selbsttätigkeit ist – greift mich bis zur Erschöpfung aller Kräfte fürchterlich an. | In diesem Zustand ist es mir denn freilich nicht möglich mich Deinem Wunsch wegen einer Beurtheilung der Religion zu fügen; so eine vielfach angenehme Beschäftigung mir dies sonst sein würde. Auch das Blatt über Luzinde kan ich Dir nicht schicken, weil es mit andern Papieren in einen Koffer gepackt worden, den ich schwerlich vor Stockholm öfnen werde. Es war eigentlich erst nur eine flüchtige Beurtheilung in einem Brief, die ich hernach etwas allgemeiner ausarbeitete, womit aber wahrscheinlich weder Freund noch Feind zufrieden sein würde. – Die Wendung, die bei Euch das Literarische Wesen nimmt, ermuntert wahrlich nicht zur öffentlichen Unparteilichkeit. Dies trift Dich freilich nicht, denn aufrichtig | gesprochen hab’ ich selten eine Rezension billiger und treffender gefunden, als die Deinige von Garve. Es ist ein nach meinem Gefühl völlig unrichtiges Urtheil, wenn Du sie dem Schlegelschen ManuScript unterordnest. Ich las jenes, wie ich noch von Enthusiasmus glühte über die Diatribe gegen Jakobi, und ich fand es eben so seicht wie mutwillig, und Schlegels keinesweges würdig. – Eben so wenig haben mich die lezten Ideen befriedigt. Ich habe sie, wie immer, mit dem Bleistift in der Hand gelesen, und nicht Eine bezeichnen können, da ich in den vorigen Heften oft 2 Drittel bewundert oder gebilligt habe. In Schriften verarbeitet können manche trefliche Wirkung thun, aber um isolirt dazustehen, haben sie weder Schönheit noch Fysiognomie genug. Tantum series juncturaque probent. | Das Gedicht von Friedrich ist weder klar noch poetisch genug; wie ich überhaupt glaube, daß er nur tiefen poetischen Sinn besizt, schwerlich aber je poetische Kunstfertigkeit erlangen werde. Sein Bruder hingegen besizt die leztere in einem seltenen Grad, ohne nach meinem Urtheil, den zehnten Theil von Friedrichs regem und zartahndendem Dichtergeist, im höhern Sinn, zu haben. Dies alles mag bei mir eine individuelle Kezerei sein. Es bleibt also ganz unter uns. – Das Gespräch, das Du mir rühmst, werde ich mit Bedacht lesen. Noch hab’ ich es nicht gekonnt, weil das Athenäum mir heut’ erst zufällig in die Hände gekommen. – Daß man den Herrnhuter in Deinem Buch geahndet zeugt von sehr feiner Spürkraft, aber es hat | mich lange nicht so belustigt, wie ein Urtheil, das ich dieser Tagen hörte: „Man sieht freilich überall daß es ein Prediger geschrieben, der nicht frei seine Meinung sagen darf, um es nicht mit der kirchlichen Partei zu verderben; drum hüllt er sich so in Dunkel, daß man ihm nichts anhaben kan!!“ – Ich antwortete ganz kalt: „Es sei doch aber unendlich freimütiger als die berühmten Fragmente.“ (wovon jener ein kindischer Anbeter war.) Er fragte: wie ich das meinte? – Buchstäblich! – und wie ich das bewiese? – durch die Lektüre Deines Buchs und jedes einzelnen Kapitels desselben. – So ließt man! und so urtheilt das Publikum! –
Einseitig ist Jakobi auch, und Reinhold ganz unerträglich; – aber welche hohe | schöne Natur ist der erstere, und die siegt doch zulezt über jedes Vorurtheil. Du solst ganz ehrlich sein Urtheil erfahren.
Ueber das Bücherschreiben überhaupt enthält Dein Brief eine trefliche Stelle, die mich auch ein wenig beruhigt über meine eigene literarische Trägheit. Ich habe den Kopf zwar immer voll Ideen, aber ich komme mir doch nur immer vor, als hätt’ ich blos schöne Revenüen, kein Kapital; es ist also nicht der Mühe werth, etwas auf Interessen zu geben, oder eigentliche Geldgeschäfte zu machen. Ich brauche gerade was ich habe, um ein angenehmes Haus zu machen, und da ich mit keiner Wissenschaft in einer christlich-bürgerlichen Ehe lebe, so brauch’ ich auch Gottlob! für keine Kinder zu sorgen, die meinem Namen Ehre machen. – Herzlichen Gruß an die Herz und schreibe mir bald.
B.
Du wirst es begreifen und entschuldigen, liebster Schleiermacher daß ich Deinen herrlichen Brief vom 22. März so spät beantworte, wenn ich Dir erzähle, daß ich seit 3 Wochen dem Heimgehen so nah war, daß ich schon die Thurmglocken des neuen Jerusalems sehr vernähmlich hörte. Ich lag 14 Tage lang so abgespannt, daß ich weder essen, schlafen noch sprechen konnte, indem eine furchtbare Gicht sich auf Kopf und Brust warf. Ich litt wie ein schon vollendeter Verdammter, oder wie ein werdender Heiliger, denn ich hatte dabei unaufhörliche Kopfschmerzen und Brustbeklemmungen zum Ersticken. Eine Migräne unter anderm von 96 Stunden hinter einander, und ärger mag Christus in Gethsemane | nicht gelitten haben. Da meine Freunde nicht duldeten, daß ich ohne Arzt blieb, suchte ich wenigstens meine Unparteilichkeit bis in den Tod zu erhalten, und reichte Einem Juden und Einem Christen die Hand. Die zerrten denn jeder an seiner Seite so gut, daß der Tod die Lust verlor gegen Gesez und Evangelium auf Einmal hinanzukämpfen. Das beste that wol indeß hier, wie immer eine liebenswürdige Frau, deren liebevolle Güte das Herz so frisch erhielt daß keine Gicht es auszutrocknen vermöchte, und deren ausgesuchte Küche für den Körper wohlthätiger geworden als die Apotheke. Seit 10 Tagen lebe ich nun auf ihrem Sofa und vor ihrem Theetisch, schwach freilich wie ein Schatten, | aber wahrscheinlich liebenswürdiger wie sonst; denn mein Hauptfehler ist unleugbar zu viel sprechen, und alleweil ist dies ungefehr auf Ein Zehntheil der vorigen Quantität reduzirt worden. Ich bin erbärmlich elend, und sehe noch gar nicht ein, wie ich je von hinnen kommen soll. – Du begreifst daß das Denken keinesweges zu denen aus diesem Schifbruch geretteten Eigenschaften gehört. Ich habe also noch nichts von Bedeutung lesen können; selbst Deine Monologen liegen noch unaufgeschnitten auf meinem Tisch, und das Schreiben – selbst in Versen, welches doch im Grunde die unwillkürlichste Art dieser Selbsttätigkeit ist – greift mich bis zur Erschöpfung aller Kräfte fürchterlich an. | In diesem Zustand ist es mir denn freilich nicht möglich mich Deinem Wunsch wegen einer Beurtheilung der Religion zu fügen; so eine vielfach angenehme Beschäftigung mir dies sonst sein würde. Auch das Blatt über Luzinde kan ich Dir nicht schicken, weil es mit andern Papieren in einen Koffer gepackt worden, den ich schwerlich vor Stockholm öfnen werde. Es war eigentlich erst nur eine flüchtige Beurtheilung in einem Brief, die ich hernach etwas allgemeiner ausarbeitete, womit aber wahrscheinlich weder Freund noch Feind zufrieden sein würde. – Die Wendung, die bei Euch das Literarische Wesen nimmt, ermuntert wahrlich nicht zur öffentlichen Unparteilichkeit. Dies trift Dich freilich nicht, denn aufrichtig | gesprochen hab’ ich selten eine Rezension billiger und treffender gefunden, als die Deinige von Garve. Es ist ein nach meinem Gefühl völlig unrichtiges Urtheil, wenn Du sie dem Schlegelschen ManuScript unterordnest. Ich las jenes, wie ich noch von Enthusiasmus glühte über die Diatribe gegen Jakobi, und ich fand es eben so seicht wie mutwillig, und Schlegels keinesweges würdig. – Eben so wenig haben mich die lezten Ideen befriedigt. Ich habe sie, wie immer, mit dem Bleistift in der Hand gelesen, und nicht Eine bezeichnen können, da ich in den vorigen Heften oft 2 Drittel bewundert oder gebilligt habe. In Schriften verarbeitet können manche trefliche Wirkung thun, aber um isolirt dazustehen, haben sie weder Schönheit noch Fysiognomie genug. Tantum series juncturaque probent. | Das Gedicht von Friedrich ist weder klar noch poetisch genug; wie ich überhaupt glaube, daß er nur tiefen poetischen Sinn besizt, schwerlich aber je poetische Kunstfertigkeit erlangen werde. Sein Bruder hingegen besizt die leztere in einem seltenen Grad, ohne nach meinem Urtheil, den zehnten Theil von Friedrichs regem und zartahndendem Dichtergeist, im höhern Sinn, zu haben. Dies alles mag bei mir eine individuelle Kezerei sein. Es bleibt also ganz unter uns. – Das Gespräch, das Du mir rühmst, werde ich mit Bedacht lesen. Noch hab’ ich es nicht gekonnt, weil das Athenäum mir heut’ erst zufällig in die Hände gekommen. – Daß man den Herrnhuter in Deinem Buch geahndet zeugt von sehr feiner Spürkraft, aber es hat | mich lange nicht so belustigt, wie ein Urtheil, das ich dieser Tagen hörte: „Man sieht freilich überall daß es ein Prediger geschrieben, der nicht frei seine Meinung sagen darf, um es nicht mit der kirchlichen Partei zu verderben; drum hüllt er sich so in Dunkel, daß man ihm nichts anhaben kan!!“ – Ich antwortete ganz kalt: „Es sei doch aber unendlich freimütiger als die berühmten Fragmente.“ (wovon jener ein kindischer Anbeter war.) Er fragte: wie ich das meinte? – Buchstäblich! – und wie ich das bewiese? – durch die Lektüre Deines Buchs und jedes einzelnen Kapitels desselben. – So ließt man! und so urtheilt das Publikum! –
Einseitig ist Jakobi auch, und Reinhold ganz unerträglich; – aber welche hohe | schöne Natur ist der erstere, und die siegt doch zulezt über jedes Vorurtheil. Du solst ganz ehrlich sein Urtheil erfahren.
Ueber das Bücherschreiben überhaupt enthält Dein Brief eine trefliche Stelle, die mich auch ein wenig beruhigt über meine eigene literarische Trägheit. Ich habe den Kopf zwar immer voll Ideen, aber ich komme mir doch nur immer vor, als hätt’ ich blos schöne Revenüen, kein Kapital; es ist also nicht der Mühe werth, etwas auf Interessen zu geben, oder eigentliche Geldgeschäfte zu machen. Ich brauche gerade was ich habe, um ein angenehmes Haus zu machen, und da ich mit keiner Wissenschaft in einer christlich-bürgerlichen Ehe lebe, so brauch’ ich auch Gottlob! für keine Kinder zu sorgen, die meinem Namen Ehre machen. – Herzlichen Gruß an die Herz und schreibe mir bald.
B.