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Friedrich Schleiermacher to Carl Gustav von Brinckmann

Berlin d 19t. April 1800.
Du armer Freund, was stehst Du aus! der Gott geht ja ganz niederträchtig mit Dir um. Ich hoffe Du wirst nun endlich einmal von der lieben Tugend abkommen, der doch das alles zuzuschreiben ist. Wärst Du nicht so erschreklich gewißenhaft gewesen noch krank von Paris abzureisen, und hättest dann statt der vorgeschriebenen Mäusetour, die doch immer so nahe als möglich an der Seeluft hinführte einen angenehmeren südlichen Umweg genommen, so würde gewiß die Gicht sich nicht unterstanden haben Dir so zu kommen. Gieb Acht der kleine König wird Dir Deine Frömmigkeit, unter der außer Dir auch wir alle leiden, nicht einmal danken. Das muß ich aber gestehen, der Gott weiß wem er die Sachen auflegt: Christus und Du, soviel Ehre als ihr macht ihm gewiß kein Anderer den er mit dieser väterlichen Liebe züchtigt, und Dir sizt der Wiz eben so tief als jenem der Lammessinn. Ich kann sagen daß mir durch Dich erst ein rechtes Licht aufgegangen ist über ein Sprüchlein im Athenäum, daß sich der etat d’epigramme gegen das Schiksal zur Geduld verhielte wie die Philosophie zur | Religion. Am besten, was die Glükseligkeit betrift, fährst Du noch bei der Parallele wenn man bedenkt daß er Dir statt des Engels eine liebenswürdige Frau geschikt hat, und ihren Theetisch, und ihre gute Küche statt der Essenischen Stärkungen, die wenn man das Beste annimmt der Engel gebracht hat. Laß Dir nur ja Ruhe und eile nicht zu sehr aus diesen zeitlichen Prüfungen in Deinen nordischen Himmel. Bleibe so lange als möglich in Hamburg, und laß Dir dann noch zu guter lezt eine Reise nach Berlin von Deinen beiden Aerzten verschreiben, damit Du Dich auch Deinen Freunden zeigen kannst nach Deiner Auferstehung. Sage nur nicht daß Du „vor uns her gehen willst in Schweden“.
Wer kann Dir zumuthen daß Du etwas lesen sollst? Auch das Wenige was Du im Athenaeum gethan hast ist schon zu viel, besonders da Du die Verkehrtheit begangen hast von vorn anzufangen. Von hinten hättest Du beginnen und Wilhelm Schlegels Kritik über Matthisson, Voß und Schmidt lesen sollen, die hätte Dir gewiß zu einer herrlichen GemüthsErgözlichkeit gedient. Hier lassen seine entschiedensten Feinde ihm Gerechtigkeit darüber widerfahren, und einer der sanftesten und parteilosesten Menschen die ich kenne, Hülsen, schreibt mir darüber: | wenn der Tadel sich so äußere möge er ihn wol leiden, und da die Vergleichungspunkte so bestimmt angegeben wären müßten sichs die drei Männer selbst gefallen laßen wenn sie einigermaßen verständig wären. – Ist es nicht Schade, daß durch das Aufhören des Athenäums und den Bruch mit der Litteratur Zeitung ein so entschiedenes Talent zur Kritik brach liegen soll? Was Du sonst über des ältern Schlegel Dichtergeist sagst, darin stimme ich Dir sehr gern bei, mit Vorbehalt mein Urtheil zu reformiren wenn die neue Ausgabe seiner Gedichte sich dazu qualificirt[.] Bis jezt ist er mir immer vorgekommen wie aus der Alexandrinischen Epoche aber in dieser Gattung sehr vollendet. Wie weit Friedrich es noch einmal in der poetischen Kunstfertigkeit bringen wird, möchte ich noch nicht bestimmen. Seine jezigen Erstlinge sind freilich darin noch sehr mangelhaft; vielleicht liefert aber schon der zweite Theil der Lucinde den Beweis von einigen Fortschritten. Dieses Gedicht im Athenäum kommt mir zwar poetisch genug vor; aber nicht klar genug. Du scheinst mir doch gegen ihn ein strengerer Richter zu sein als gegen mich. An der Billigkeit deßen was ich über Garve gesagt habe zweifle ich nicht, auch nicht am treffenden; aber unklar und schwerfällig kommt mirs vor, so daß ich Niemand zumuthen kann es gern zu lesen, und daß ich zweifle ob ichs hie und da selbst verstehen würde wenn ich es nicht geschrieben hätte. Eben so kommt mir auch die Recension von Kants Anthropologie vor
Sehr belustigt hat mich das Urtheil über die | Reden, welches Du mir mittheilst. Es ist wirklich bewundernswürdig! aber so sind diese Menschen: wenn man nicht Alles was über ihre Erfahrung und ihre Kompendien hinaus geht so kalt verachtet, und ihnen doch sonst gescheit zu sein scheint: so glauben sie eben man geht nicht mit der Wahrheit heraus. Das ist immer noch eine Ehre die sie mir erwiesen haben nach ihrer Art. Dergleichen könnte einem das Schreiben verleiden, wenn man aufs Verstandenwerden gerechnet hat; aber so thöricht bin ich zum Glük nicht gewesen. Halte mir nur mit Jakobi und Reinhold Wort, und auch mit Dir selbst, wenn Du erst wieder gesund bist. Eher lies auch die Monologen nicht; so ein lyrischer Extrakt aus einem permanenten Tagebuch (denn so komen sie mir vor) muß sehr um eine gute und selbstthätige Stunde bitten wenn er gefallen soll. Es giebt tausend Ellipsen darin zu suppliren, und das könnte Dir – so viel beßer Du es auch können wirst, als die meisten selbst von denen die ich mir zu Lesern wünsche – leicht verdrießlich fallen
Deine litterarische Trägheit habe ich mit keiner Stelle meines Briefes zu protegiren gemeint. Ich will Dir dafür nächstens noch zu Leibe gehn mit aller Polemik, die in meiner Gewalt ist. Für jezt sollst Du auch nicht mehr lesen. Mache daß Du gesund wirst und danke auch in meinem Namen der liebenswürdigen Frau, deren Namen Du mir nächstdem zum Besten geben mußt. Fange endlich einmal an wol zu leben. Ganz
Dein
Schl. |
22ten April
Der Brief ist vorigen Posttag liegen geblieben zu meinem Leidwesen. Seitdem habe ich August Wilhelm Schlegels Gedichte erhalten, und thue Dir ihre Existenz kund damit Du diese eigne Blüthe deutscher Poesie noch mit nach Schweden nehmen kannst. Bis jezt habe ich nur drin blättern können, ahnde aber aus diesem wenigen daß ich eine ziemlich deutliche Anschauung bekommen werde von dem Ursprung und den Fortschritten seiner Manier. Alles Neuere scheint mir nicht nur kunstreicher sondern auch gehaltvoller als das ältere; aber das bleibt wahr daß des jüngeren Bruders Geist nicht drin wehet. Das eigenste sind wol nächst den beiden Elegien die doch gar sehr antik sind – alexandrinisch nemlich – die religiösen und die charakterisirenden Sonette. Von den erstem geben einige wol sehr glüklich den Eindruk der Gemälde wieder, andere sind offenbar zu allgemein und machen ihrer Ueberschrift keine Ehre. Merkwürdig ist es daß diese erkünstelte Begeisterung der Religion doch niemals ursprünglich sein kann sondern ihm immer durch Mahlerei oder durch frühere Poesie kommen muß. Da sind mir in dieser Rüksicht ein Paar Lieder von Hardenberg die Du im nächsten Stük des Athenaeums finden wirst weit lieber. Von den charakterisirenden Sonetten möcht ich immer noch fragen ob sie existiren sollen, so fremd sind sie mir im Ganzen, obgleich ich besonders die italienischen Dichter sehr schön finde
Noch Eins. Ich fordere Deinen Glükwunsch und Deinen Segen zu einem großen Werk, zu welchem ich mich mit Friedrich Schlegel verbunden habe. Es ist die | bereits angekündigte Uebersezung des Plato. In der Ankündigung bin ich nicht genannt und darum soll auch mein Antheil daran bis zur wirklichen Erscheinung ein Geheimniß bleiben. Es begeistert mich: denn ich bin von Verehrung des Platon seit ich ihn kenne unaussprechlich tief durchdrungen – aber ich habe auch eine heilige Scheu davor, und fürchte fast über die Grenze meiner Kräfte hinausgegangen zu sein. Der Himmel möge uns helfen
Metadata Concerning Header
  • Date: 19. bis 22. April 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Hamburg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 482‒486.

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