Hamb. 29. April 1800
abgeschickt den 23. Mai, weil ich wieder eingekrankt war.
Niemals, liebster Schleiermacher hab’ ich das Bedürfnis eines ununterbrochenen Briefwechsels mit Dir so lebhaft empfunden, wie in diesem Augenblick, und gerade jezt muß Krankheit und Reisen mich daran verhindern. Ich leide noch immer, vielleicht nicht so lammsmässig wie der Heiland, aber doch eben so resignirt, und habe diese Tage auf den Fall eines möglichen Sterbens, statt der 7 lezten Worte meines grossen Vorbilds, 7 unschuldige Epigramme gefertigt, an deren Einem Du wol Deines Sohnes Rock wiedererkennen möchtest. Hier ist es:
Jenseit!
Jenseit schon des geahndeten Glücks wie der teuschenden Hofnung,
mir gleichgültig und fremd gleitet das Leben vorbei;
Ruhiger weilt am Ufer der Geist, in die tanzende Welle,
schöner Empfindungen Grab, lächelt er weinend hinab. |
Du siehst also, daß ich Deine Monologen lese, und zwar mit ausnehmendem Vergnügen. Sie sind für mich vielleicht um so anziehender, weil ich sie besser zu verstehen glaube, wie die meisten Deiner Leser, und weils überhaupt ein Freimauerbuch ist, das doch zunächst für die Eingeweihten geschrieben ist. Ich liebe es übrigens nicht parteiisch, weil es das Werk meines Freundes ist, sondern ich würde auch den unbekanten Verfasser lieben, und zu meinem Freunde wünschen wegen des Eindrucks, den sein Buch auf mich macht. Die Prüfungen haben ein ganz vorzügliches Interesse für mich, weil sie eine meiner eigenthümlichsten Ideen, oder vielmehr die eigenthümlichste Geschichte meines inneren Selbst mir so schön verdeutlichten und so filosofisch entwickelten. Ich möchte Stundenlang hier | über mit Dir plaudern, und dies wird sich ja wol auch noch finden, wenn ich nicht die ewige Heimfahrt halten muß, wozu es denn doch alleweile keinen rechten Anschein hat. Die Eigenheit des Styls in diesen Monologen, ist von dem in der Religion und in allen Deinen Briefen so verschieden, daß er mir sonderbar aufgefallen ist, und ganz sprech’ ich Dich von dem Vorwurf nicht frei, ihn unnöthiger Weise ein wenig verkünstelt zu haben. Ich wenigstens halte die Schreibart der Reden für weit klassischer. Aber daß die Monologen beinah sämtlich in Jamben geschrieben sind, und zwar so merkwürdig, daß man ganze Seiten mit der unbedeutendsten Veränderung skandiren kan, so wie mehrere Zeilen hinter einander ohne Versezung einer einzigen Sylbe; davon ist Dir selbst vielleicht gar nichts bewußt. Du wirst finden, dies sei mehr Krittelei als Kritik – indeß würde ich es nicht | geduldet haben, wenn ich Dein Buch in der Handschrift gelesen hätte. Meinen Pedantismus in dieser Hinsicht hab’ ich von den Alten gelernt, die ganz anders, als wir die Eigenthümlichkeiten des prosaischen Styls heilig hielten. Und doch bedarf unsere ungelenkige Sprache – dieser Sorgfalt viel mehr. Wir können Rhythmus und Wohlklang nie leise genug belauschen, denn selbst bei unsern besten Schriftstellern ist er offenbar mehr Instinkt als Studium, und daher wird die lieblichste Musik bei ihnen so oft durch schreiende Mistöne gestört.
– Doch genug von dieser Kleinigkeit. Ich schliesse meinen Brief, weil ich aufs Land fahren muß um ein paar Tage lang freiere Luft zu athmen; so weit es nemlich die Thorsperre meiner Brust erlaubt. – Ein andermal über die Schlegels – weil Du doch auch beide wie durch eine Kaufmansfirma verbindest; als Schriftsteller und als Menschen stehen sie mir durchaus nicht auf Einer Linie.
Herzlichen Gruß an die Herz.
Ewig Dein
Br.
abgeschickt den 23. Mai, weil ich wieder eingekrankt war.
Niemals, liebster Schleiermacher hab’ ich das Bedürfnis eines ununterbrochenen Briefwechsels mit Dir so lebhaft empfunden, wie in diesem Augenblick, und gerade jezt muß Krankheit und Reisen mich daran verhindern. Ich leide noch immer, vielleicht nicht so lammsmässig wie der Heiland, aber doch eben so resignirt, und habe diese Tage auf den Fall eines möglichen Sterbens, statt der 7 lezten Worte meines grossen Vorbilds, 7 unschuldige Epigramme gefertigt, an deren Einem Du wol Deines Sohnes Rock wiedererkennen möchtest. Hier ist es:
Jenseit!
Jenseit schon des geahndeten Glücks wie der teuschenden Hofnung,
mir gleichgültig und fremd gleitet das Leben vorbei;
Ruhiger weilt am Ufer der Geist, in die tanzende Welle,
schöner Empfindungen Grab, lächelt er weinend hinab. |
Du siehst also, daß ich Deine Monologen lese, und zwar mit ausnehmendem Vergnügen. Sie sind für mich vielleicht um so anziehender, weil ich sie besser zu verstehen glaube, wie die meisten Deiner Leser, und weils überhaupt ein Freimauerbuch ist, das doch zunächst für die Eingeweihten geschrieben ist. Ich liebe es übrigens nicht parteiisch, weil es das Werk meines Freundes ist, sondern ich würde auch den unbekanten Verfasser lieben, und zu meinem Freunde wünschen wegen des Eindrucks, den sein Buch auf mich macht. Die Prüfungen haben ein ganz vorzügliches Interesse für mich, weil sie eine meiner eigenthümlichsten Ideen, oder vielmehr die eigenthümlichste Geschichte meines inneren Selbst mir so schön verdeutlichten und so filosofisch entwickelten. Ich möchte Stundenlang hier | über mit Dir plaudern, und dies wird sich ja wol auch noch finden, wenn ich nicht die ewige Heimfahrt halten muß, wozu es denn doch alleweile keinen rechten Anschein hat. Die Eigenheit des Styls in diesen Monologen, ist von dem in der Religion und in allen Deinen Briefen so verschieden, daß er mir sonderbar aufgefallen ist, und ganz sprech’ ich Dich von dem Vorwurf nicht frei, ihn unnöthiger Weise ein wenig verkünstelt zu haben. Ich wenigstens halte die Schreibart der Reden für weit klassischer. Aber daß die Monologen beinah sämtlich in Jamben geschrieben sind, und zwar so merkwürdig, daß man ganze Seiten mit der unbedeutendsten Veränderung skandiren kan, so wie mehrere Zeilen hinter einander ohne Versezung einer einzigen Sylbe; davon ist Dir selbst vielleicht gar nichts bewußt. Du wirst finden, dies sei mehr Krittelei als Kritik – indeß würde ich es nicht | geduldet haben, wenn ich Dein Buch in der Handschrift gelesen hätte. Meinen Pedantismus in dieser Hinsicht hab’ ich von den Alten gelernt, die ganz anders, als wir die Eigenthümlichkeiten des prosaischen Styls heilig hielten. Und doch bedarf unsere ungelenkige Sprache – dieser Sorgfalt viel mehr. Wir können Rhythmus und Wohlklang nie leise genug belauschen, denn selbst bei unsern besten Schriftstellern ist er offenbar mehr Instinkt als Studium, und daher wird die lieblichste Musik bei ihnen so oft durch schreiende Mistöne gestört.
– Doch genug von dieser Kleinigkeit. Ich schliesse meinen Brief, weil ich aufs Land fahren muß um ein paar Tage lang freiere Luft zu athmen; so weit es nemlich die Thorsperre meiner Brust erlaubt. – Ein andermal über die Schlegels – weil Du doch auch beide wie durch eine Kaufmansfirma verbindest; als Schriftsteller und als Menschen stehen sie mir durchaus nicht auf Einer Linie.
Herzlichen Gruß an die Herz.
Ewig Dein
Br.