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August Ludwig Hülsen to Friedrich Schleiermacher

Lentzke den 6. May. 1800.
ich muß jetzt jeden Augenblick benutzen, der mir zur freien Geschäftigkeit übrig bleibt, und erwiedere Ihnen darum schon heut Ihren erst gestern erhaltenen freundschaftlichen Gruß, ungewiß, ob mir ein zweiter so bald wieder kommen werde.
Meine arme Frau kann schon seit 8. Tagen das Bette nicht mehr verlaßen. Sie ist äußerst entkräftet, und scheint sich in einem immerwährenden Fieberzustande zu befinden. Wohl haben Sie recht, daß die Nähe eines geschickten Arztes ihr vor allem heilsam seyn würde. Aber es ist gleichwol nicht möglich, daß ich auch nur die kleinste Reise mit ihr unternehmen könnte. Wir müßen uns damit begnügen, daß ein Arzt aus Ruppin, Namens Braun, sie zuweilen besucht und ihr Heilmittel | verordnet. Wie sehr bedaure ich, daß mir selbst diese Kenntniß der Natur fehlt, und daß ich darum für die geliebte Kranke nur so wenig thun kann.
Schlegeln werde ich selbst für die überschickten Gedichte noch danken. Sem Brief hat meinem Herzen wohlgethan, und ich will diesem Manne immer Gerechtigkeit wiederfahren laßen. Tiecks Genovefa ist mir schon als ein Meisterstück angekündigt. Indeß weiß ich zum voraus, daß der Stoff ärmlich und unwürdig ist, und durch die geschickteste Behandlung keine Unsterblichkeit verheißen kann. Fichtes Urtheil will darin wenig sagen, denn bei aller seiner Freiheit ist er ziehmlich einseitig und deduciert sich allenfalls die heilige Genovefa a priori, um sie einer solchen Behandlung würdig zu finden. Aber verkennen Sie auch meine Beziehung nicht. Ich weiß sehr wohl, daß | jeder in seiner freien und unendlichen Sphäre das Göttliche nur bildet, und so blicke ich ruhig auf die strebenden Kräfte hin, und deute in jedem Momente ihre gleiche Vollendung. – Den jungen Hardenberg lernte ich bei Schlegell kennen. Er hat mir wohlgefallen. Doch glaube ich gern, daß der das Fegefeuer noch nicht überstanden hat; wenigstens wünschte ich damals, daß er noch bescheidner seyn möchte. Zwischen uns, denke ich, soll das Christenthum, keine Veranlaßung zu weitern Untersuchungen werden. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, ich halte es schon seit langer Zeit auch nicht der Mühe werth, mit irgend jemand darüber ein Wort zu wechseln, und kann nie in die Lage kommen, mit jemand darüber zu streiten, denn die Sache ist mir zu abgeschmackt und ich schweige daher. Die Aeußerung meines Freundes | über Sie bitte ich Sie aber sehr in einem reinern Sinne zu nehmen. Wie können Sie auch nur glauben daß er gesagt haben wolle, Sie predigten um des Brodtes willen? Thut denn irgend ein Mensch in der Welt um des täglichen Brodtes willen etwas? Er kann es nicht, und wenn er es wirklich sich auch einbildete. Das Predigeramt liegt auf dem Wege, den Sie gerade wandelten; und es wäre doch wahrlich lächerlich zu behaupten, daß Sie es gewählt hätten, um gerade auf die Art zu eßen und zu trinken. Aber zu unserm Leben überhaupt gehören göttliche Speisen und Getränke als unsre Natur; und wenn wir irgend wo nicht stehen möchten, so dürfen wir wol sagen, ich will lieber nur sterben: welches offenbar nichts anders heißt, als ich will dieses und jenes nun thun; und die Früchte der Erde sollen mich ferner erquicken und stärken. Sie | halten das Predigeramt jetzt für das einzige Mittel, bei der großen Menschenklaße Ideen zu wecken, und fühlen darum recht eigentlichen Beruf, Prediger zu seyn. Wer sollte diesen Ihren Beruf nicht ehren, so bald er überzeugt wird, Sie wollten nichts anders? Mein Freund hatte ohne Zweifel geglaubt, das Predigen sey Ihnen eine ganz unbedeutende Nebensache, die Sie aber darum nur lieber ganz bei Seite setzen sollten. Seyn Sie, ich bitte Sie, nicht unzufrieden mit diesem Manne, der Sie gewiß sehr liebt. Mündlich möchte ich selbst mit Ihnen über Ihr Amt wol sprechen. So gestehe ich Ihnen gern, daß ich es wirklich doch nothwendig finde, aus diesen Gedankenkreisen herauszutreten, und wirklich auch überzeugt bin, daß über kurz oder lang die Kandidaten des Predigeramts nicht mehr zu haben seyn werden. Der beßere Geschmack muß die Menschen | wol aus den gothischen Steinhaufen zurükhalten (nämlich die Zuhörer) und überall unter den Menschen ertönen freundliche Worte und erscheinen Zeichen vom Himmel die zum höhern Leben ermuntern. Ich glaube auch allerdings, daß es ewig noch keine andern Veranstaltungen gegeben hat die Menschen zu bilden und Ideen zu wecken, als das gemeinschaftliche Leben selbst, und daß wir den Kirchen und Schulen etwas zuschreiben, was lediglich die That des stillern unsichtbaren Genius ist. Wenigstens soll mir selbst der Gedanke nie einfallen, daß ich zur Bildung meines Geschlechts das mindeste mehr beitrüge als jeder andere auch thut, so bald ich auf lebendige Kräfte und nicht auf lee | res Geräusch sehe. Oft habe ich mich ehemals schon unter den Menschen verliehren wollen, die man den großen Haufen nennt, weil es mir unerträglich war, von ihnen abgesondert zu erscheinen, nämlich durch die bloße Meynung, denn nichts anders ist die Gesellschaft der Gelehrten, eine bloße Gesellschaft der Meynung, die darum in einer freien Ansicht gänzlich verschwindet. Aber eben aus diesem Grunde hielt ich mein Zurükziehen auch ganz für unnöthig, denn ich weiß wol, wie ich mir selbst erscheine, und mehr ist gerade zu meiner Beruhigung nicht nöthig.
Was die Religion betrifft, so glaube ich fast selbst, daß ich nur gegen den Namen protestiere. Der Gegenstand bin ich immer selbst | in meinem Verhältniße zum Menschen; denn etwas Höheres kenne ich nicht, und diese Unendlichkeit schaue ich an, so wie ich überhaupt nur etwas anschaue. So ist denn freilich jedes Wort und jede That von Religion durchdrungen, d. h. es giebt überhaupt nichts als Religion. Aber wenn es uns um ein Wort zu thun ist, so weiß ich doch nicht, warum wir dies gerade aufnehmen wollen. Die Philologen – und Namentlich Wolf – haben es schon lange sehr unrichtig gefunden, daß wir die christliche Art und Weise Religio nennen, da es nothwendig Religiones heißen müßte. Darunter verstanden die Alten ritus und Gebräuche, und in Wahrheit würde es viel paßender seyn wenn auch wir in unsern Tagen | von christlichen religionen sprächen. Wenn Sie aber fragen, warum wir das, was unsern Geist gemeinschaftlich anspricht, Religion nennen? so verstehe ich die Frage nicht. Ich nenne es nicht so, und finde in dem Worte dazu eben so wenig eine Veranlaßung als in dem Worte Abrakadabra. Was unsern Geist jedesmal anspricht ist des Geistes eigner Ausdruck, und die jedesmalige Beziehung im Objekte ist uns keineswegen räthselhaft, denn der Blick, der das Vorübergehende anschaut, ist bleibend derselbe. – Was ich über die Sprache gesagt habe, ist ganz meine Ueberzeugung. Ich meynte nämlich, Kemer sollte klagen können, daß ihm für irgend einen Gedanken der paßende Ausdruck fehle. Es ist das unmöglich, weil es gar keinen Gedanken ohne | seinen Ausdruck giebt. Die Klage trifft daher nie das Wort, sondern sie ist nichts anders als unsre eigne noch unbestimmte Anschauung. Wir müßen es wißen, was wir sehen und denken. Daß aber andere es gerade eben so sehen und denken, ist eine nothwendige Voraussetzung. Wie soll das Wort es beabsichtigen oder eine Anschauung für ewige Zeiten bewahren? Das Ewige und Bestimmte liegt immer in ihm; und nicht der Ausdruck führet zu Mißverständnißen, sondern der Mangel der eignen freien Anschauung. Verstehen wir nicht oft schon den bloßen Blick des Auges, und errathen wir nicht gewöhnlich das Begehren des Kindes? Liegt das in den Zeichen? Ich bilde mir nicht ein, daß ich für jeden verständ | lich schreibe. Aber es ist nicht meine Schuld, und ich weiß sehr wol, daß ich doch Niemandem verborgen bleibe. Ich finde es nur abgeschmakt wenn man seine Anforderung an den Buchstaben richtet, und von diesem das Heil unsrer Seele erwartet. Die äußere Erscheinung wird nicht mangeln, so jeder nur in sich selbst das reine Urbild ergreift und wiedergiebt.
Die Charten will ich nur lieber Ihrer eignen Wahl anvertrauen. Die Bodeschen PlaniGioben kenne ich als fehlerhaft. Ich glaubte, daß sie schon verbeßert erschienen wären. Nehmen Sie nun nur den Nachstich und so auch die neuen Homanschen 5. Welttheile.
Gaspari Verdienste sind nicht zu verkennen. Doch geographische Lehrbü | cher haben mir noch nie genügt, und können es auch nicht. In Kiel hielt ich anno 94. geographische Vorlesungen und fand, daß man Himmel und Erde und alles was drinnen ist in ruhigem Verein laßen müße, wenn man ein höheres Intereße an der Geographie erregen wolle.
den 7ten Von dem Athenäum habe ich schon lange die ersten Stücke (2. Bände) nachkommen laßen, woran ich nicht mehr gedacht hatte, die Sie nunmehr also in Rechnung bringen mögen.
Von der Mnemosyne besitze ich bis jetzt nur noch immer die ersten 6. Bogen. Ihre Erinnerung will ich beherzigen und mit aller Strenge für ihre Reinheit Sorge tragen, es ist sonst ein vergebliches Bemühen sie bei den Menschen beliebt zu machen. Haben Sie den Meßkatalog eigen, so wünschte ich ihn für einige Tage zu erhalten. Leben Sie wohl und laßen Sie uns immer Freunde seyn.
Der Ihrige
A. Hülsen.
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  • Date: 6. bis 7. Mai 1800
  • Sender: August Ludwig Hülsen ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Lentzke ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 32‒37.

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