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Friedrich Schleiermacher to Carl Gustav von Brinckmann

Berlin d 27t. Mai 1800
So eben, lieber Freund, da ich von einem Spaziergang zurükkomme, finde ich Deinen Brief, und antworte sogleich da der Ueberbringer desselben es sehr eilig gemacht haben soll. Du bist doch nicht etwa, da Du Dich eben erst von einem neuen Anfall erholt haben kannst auf dem Sprunge nach Schweden? Dies wäre ein gar zu arger Pflichtstreich von Dir – denn weiter könnte es doch nichts sein. Dem Himmel sei Dank daß von der ewigen Heimfahrt nicht die Rede ist, wenn Du mir nur erst statt dieser bloßen Negation von etwas positiver Gesundheit schreiben könntest. Ist es denn nicht möglich daß Du hieher kommen kannst um Dich zu kuriren? es würde wirklich bei weitem beßer gehn. Die Schwester der Herz, die jezt in Hamburg ist, und bei der ich mich heute früh erst nach Dir erkundigt habe, klagt gewaltig über das dortige Klima, über Wind, Kälte und Nebel, zu einer Zeit wo wir sehr liebliches Wetter haben, und eine etwas mildere Luft sollte Deiner geschwächten Brust dächte ich gar sehr wol bekommen.
Ich hatte es gehofft, daß Du gut Freund mit den Monologen werden solltest: sie sind bei weitem ofner und gründlicher als man in der Gemeine in den Gesellschaften über sein Herz zu reden pflegte. Das gilt besonders vom zweiten, und darum hast Du ihn auch so lieb. Findest Du denn aber auch im ersten und dritten die herbe Bitterkeit gegen die | Welt die Hülsen darin gefunden hat, und die er in mir nicht begreifen kann? Ich hätte viel über das Ganze mit Dir zu plaudern; aber das Meiste würde sich doch auch nur mündlich abmachen laßen. Eine Anekdote muß ich Dir aber erzählen. Der Verleger giebt das Buch an Spalding um eine Anzeige davon zu machen. Dieser erkennt mich sogleich daraus, es fällt ihm aber nichts darin auf als der Unglaube, und sagt: „es wäre Schade um mich; er glaube wenig, er würde sich aber sehr unglüklich fühlen wenn er nicht hundertmal mehr glaubte als ich.“ Daß Spalding vor allem Uebrigen so ohne Sensation vorbeigehn, und den Glauben meßen und zählen, und am Ende aufs Glük berechnen würde, hätte ich nicht erwartet. Was soll nun am dürren Holze werden? Du siehst wie Recht Du hast es ein Freimaurerbuch zu nennen, und ich denke der Verleger soll das auch inne werden – zum Glük habe ich ihm nichts dafür abgefordert.
Ueber den Styl hätte ich Lust recht viel mit Dir zu reden, weil es sehr unterrichtend für mich sein müßte; leider habe ich nur die Monologe jezt nicht zu Hause, und kann also nicht so ins Einzelne gehn. Ich wünschte, Du sagtest mir näher, was Du unter der Verkünstelung meinst; ich bin mir deßen so gar nicht bewußt, daß ich keine bestimmte Anwendung davon machen kann. Die gänzliche Differenz von den Reden gestehe ich Dir gern ein; aber in den Reden habe ich mir auch den Stil durchaus rhetorisch gedacht, und was ich hiezu rechne, soviel es ging, überall einzuweben gesucht; dies habe ich mir bei den Monologen ausdrüklich verboten: denn wer wird mit sich selbst rhetorisiren? Ich habe es mir überhaupt sehr schwer gedacht ein | Selbstgespräch zu construiren, sowol in Absicht auf die Ordnung der Materie als auf den Ton. Was das erste betrift so war mir gleich klar daß eine Entwiklung der Principien darin nirgends vorkommen dürfe: denn indem man Grundsäze sucht kann man unmöglich zusammenhängend mit sich selbst reden, und ein Selbstgespräch scheint mir nur darin bestehn zu können daß man sich nach der Beziehung der Grundsäze auf das Einzelne fragt und sich der Anschauung des Einzelnen nach den Grundsäzen bewußt wird. Von dieser Idee bin ich überall ausgegangen. Der Styl glaubte ich dürfe auf gar nichts ausgehn, sondern nur überall zeugen von dem Interesse an der Reflexion und von der Tiefe des Eindruks, da dies die beiden einzig möglichen Quellen eines Monologs sind. Hiernach hatte ich mir mein Schema gebildet; wirklich geschrieben ist aber das Ganze so schnell, daß es eigentlich gar nicht in der Handschrift existirt hat sondern ich es beinahe dem Sezer diktirt habe – deshalb glaube ich auch um so weniger daß eigentliche Verkünstelung darin sein kann.
Mit dem Rhythmus ist es, je nachdem Du es nimmst, ärger oder auch nicht so arg als Du denkst. Ärger in so fern ich wirklich gewollt habe, was Du für schlecht erkennst; nicht so arg in wie fern die Bewußtlosigkeit doch eigentlich das ärgste ist. Ich wollte ein bestimtes Silbenmaaß überall durchklingen laßen, und im 2ten und 4ten Monolog den Jamben allein, im fünften den Daktylus und Anapäst, und im ersten und dritten hatte ich mir etwas zusammengesezteres gedacht, worüber ich Dir jezt, weil das Buch nicht zur Hand ist, keine genauere Rechenschaft geben kann. Das gestehe ich Dir aber gern daß der Jambe stärker gewesen ist als ich, und sich im 2ten und 4ten Monolog etwas unbändig aufführt. Diesen Mangel in der Ausführung bei | Seite gesezt hoffe ich Du wirst gegen die Absicht in dieser Gattung nichts einzuwenden haben. Ich unterstreiche um gleich aus dem Unterstrichenen gegen die Alten protestiren zu können. Die historische, die rhetorische und die didaktische Prosa leiden das freilich nicht; aber ein Monolog ist offenbar eine Annäherung an das lyrische, und hievon ausgegangen möchte ich mich leicht aus den Alten vertheidigen können. Bedenke nur auch, daß die Alten die Quantität weit genauer bezeichneten und einen viel feineren Sinn dafür hatten als wir, und daß so etwas bei uns schon etwas dik aufgetragen werden muß, wenn die Leute nur ein weniges davon durchhören sollen. Bist Du doch der einzige, den es so frappirt hat, ein Anderer hat eben soviel davon durchgehört als ich wollte, und die Uebrigen haben wenigstens nichts davon gesagt. Du siehst, daß ich dies wenigstens nicht für eine Kleinigkeit und nicht für Krittelei halte, und wirst Dich um so eher wie ich hoffe weiter darüber einlaßen. Ich gestehe Dir es ist mein großer Wunsch, da mir die Poesie ein für allemal versagt ist, es in allen Formen der Prosa mit der Zeit zu einer gewißen Vollkommenheit zu bringen, und dazu ist mir die Kritik noch sehr nothwendig. Du wirst mir übrigens erlauben, daß ich Dich fortdauernd bewundere, als den Einzigen der ein gleich großer Virtuose im Machen und im Leiden ist; hättest Du mir doch die übrigen Epigramme auch nicht beneidet. Wollte Gott lieber Freund die Zeit käme bald, wo wir Stunden verplaudern können! Soll es für jezt nicht sein, so mache wenigstens daß auch durch die Ostsee unsere Communikation nicht allzusehr unterbrochen wird: ich würde wesentlich darunter leiden, und ich hoffe Du wirst mir ehe Du reisest noch die nöthigen Instruktionen darüber geben. Schreibt Dir Spalding noch? Als ich ihn zulezt sah schien er lange nichts von Dir gehört zu haben. Ueber Schlegels (die ich nur als Alliirte so firmire) und über das traurige literarische Wesen nächstens. Heute ist mir die Zeit ausgegangen, und ich wollte doch heute schreiben auf allen Fall. Du hörst bald wieder von
Deinem
Schl
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  • Date: Dienstag, 27. Mai 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Hamburg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 50‒53.

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