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Carl Gustav von Brinckmann to Friedrich Schleiermacher

Neumühlen 30. Mai 1800.
Die Schnelligkeit mit der Du mir geantwortet, vermehrt meine Dankbarkeit und den Verdruß über mein voriges lange Stillschweigen; denn sonst hätte ich vielleicht unterdessen schon 2, 3 Briefe von Dir gehabt. Freilich war ich eigentlich sehr krank, und vorzüglich über alle Begriffe träge. Nicht um zu lesen, oder dann und wann ein Distichon hinzuwerfen, aber wol um etwas vernünftiges zu schreiben. Ich bin überzeucht daß das Dichten etwas viel unwillkürlicher ist, als die Prosa, und daher ist es recht eine Krankenbeschäftigung. – Nun gleich zu den Monologen. Als ich Dir lezt schrieb hatte ich sie nicht ganz gelesen, und ohne Dein Erinnern fand ich hernach selbst, daß sie nicht alle gleich Jambisch wären, und das machte mich noch konfuser, weil ich nun Absicht hierin ahnden mußte, ohne sie ganz zu errathen. Deine Erklärung giebt mir nun Licht, aber befriedigt mich nicht ganz. In Prosa den Rhythmus so sehr dem Gegenstande anzupassen scheint mir selbst eine Art von Verkünstelung, und ganze Verse hin | ter einander dürfen doch wol nicht eigentlich statt finden. Ich habe hier nur Einen, ganz unbedeutenden, Leser der Monologen gefunden, und dem war der Jambismus gerade auch von selbst aufgefallen. Was ich übrigens an dem Styl gekünstelt fand, detaillire ich vielleicht ein andermal; da ich das Buch nicht hier habe. – Aber der Innhalt hat mich unendlich angezogen, und es sind göttliche Stellen überall. Jene prächtige von der Sprache! – Was Hülsen mit jener Bitterkeit gegen die Welt meint begreif` ich wol; nur nicht, wenn er dies Urtheil als Tadel versteht. Der Sanfteste lebe, nicht in der besten Welt so wol, wie unter den Menschen, die sie vornehmlich konstituiren, und werde nicht in einem gewissen Sinn bitter! Und auch wieder nicht gegen die Menschen – die mag man ja wol dulden, entschuldigen, lieben – aber gegen einen gewissen leeren, verschrobenen, erbärmlichen Geist der in Widerspruch steht mit allem grossen und edlen in dem bessern Menschen, kurz, um die Gemeinsprache zu reden, gegen den Weltsinn, den Du so treflich charakterisirst. Es ist sonderbar | wie sehr ich dies Brudergefühl bekommen habe, seit ich so anachoretenmässig, ohne Gemeinschaft der Heiligen herumschwärme. So lebendig ahndete ich sonst nicht die Grenzlinien zwischen den privilegirten Seelen und den Gemeinen. Wie viele aus der leztern Klasse, denen ich herzlich gut bin, und immer nur im Stillen beweinen muß, daß ihr Herz der Gnade ewig verschlossen bleibt. – Dann die langweilige Intoleranz aller Tugendpedanten, ihr Jammern über unsre Verderbtheit, und was das erbärmlichste ist, sie sind durchaus wie wir, in allem, was sie uns vorwerfen, nur platt und inkonsequent, weil sie sich dessen gar nicht bewußt sind. Nun ihre Stunde wird dann wol auch schlagen, aber wahrscheinlich später, als die allgemeine Bekehrung der Juden.
Hast Du Jean Paul gegen Fichte gelesen? Mir scheint es, wenige Stellen ausgenommen, nach Absicht und Ausführung elend. Ist es nicht schon illiberal ein Metafysisches Sistem, dessen Eigenthümlichkeit darin besteht, sich völlig über die gemeine Ansicht zu erheben, nun gerade aus dem | alltäglichsten Gesichtspunkt zu betrachten, um die selbstgebildete Karrikatur davon lächerlich zu machen! Sollen denn unsre Schneider und Kaufleute, oder unsre Staats- und Geschäftsmänner, die gewöhnlich noch stupider sind als jene zu einer nur noch grössern Verachtung, aller Wissenschaft, die sie nicht begreifen, aufgehezt werden? Welch ein mässiger Wiz gehört dazu um ein transszendentales System zum Behuf der Nichtdenker zu persifliren. Hat doch Falk Bewunderer gefunden mit seinen Gassenliedern gegen Kantische Filosofen, denen ein solcher Bube doch immer noch nicht zum Kopisten getaugt hätte. Daß sich doch nie Einer dabei beruhigen kann daß es Wahrheiten giebt, die ganz ausserhalb seines beschränkten Ideenkreises liegen. – Verzeih mir diesen heiligen Eifer; ich bin selbst ein so erbärmlicher Spekulativ-Filosof, daß er bei mir wahrhafte Bescheidenheit beweißt. – Schreibe mir bald wieder directe per Starck.
Dein
Br.
Herzlichen Gruß an die Herz.
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  • Date: Freitag, 30. Mai 1800
  • Sender: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Neumühlen ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 53‒57.

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