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Friedrich Schleiermacher to Carl Gustav von Brinckmann

Berlin d 19t. Julius 1800
Hätte ich nur gewußt wie und wohin, so hätte ich Dir schon eher wieder geschrieben, und es beßer gekonnt als jezt, da ich auf eine entsezliche Art mit Arbeiten überhäuft bin. So interessant mir Alles in Deinem lezten Briefe ist, so sind mir doch die guten Nachrichten von Dir selbst das wichtigste. Ich meine nicht die Gesundheit allein – denn wenn sich Deine Hofnung in diesem Stük auf die Ruhe gründet, und Du die Ruhe der Thätigkeit entgegensezest, so weiß ich nicht, ob etwas recht gründliches zu hoffen sein wird – sondern Dein inneres Wolbefinden bei Jacobi und Voß, und daß sie Dich wie sichs gebührt zum Schreiben aufgemuntert haben. Sei nur folgsam, so weit es irgend die fatale Gesundheit erlaubt. – Hast Du im Ernst jemals an Deinem Scharfsinn gezweifelt, oder auch nur ihn verkannt und gemeint Du müßest alles in Dir von der Poesie aus erklären und in Beziehung auf sie rubriciren, so würde ich diesen Aufenthalt bei Jakobi noch mehr feiern als ich ohnedies schon thue. Aber sollte Jakobi Dich das haben lehren, und Dich Dir selbst verdeutlichen müßen? sind wir nicht schon vor langen Jahren darüber einverstanden gewesen, daß Du noch philosophirender seist als poetisch? Und haben wir jemals Dein reines Interesse an der Reflexion, welches die Basis jeder Philosophie und unläugbar die eine von den beiden Quellen aller σωφροσυνη ist, und also auch der Deinigen, jemals aus Deiner Poesie abgeleitet? Schreibe also nur nicht dem Jakobi etwas zu, was Du lange vor ihm gehabt hast, nemlich die Klarheit über Dich selbst. Zur heiligsten Pflicht mache ich es Dir aber, so lieb Du mich hast, wenn Du erst zu etwas der Ruhe ähnlichem gekommen bist, mir den Jakobi recht deutlich zu machen. Denn wir sind in einigen Stüken über ihn auseinander. Ich bin nemlich der Meinung, daß nicht Alles in seinen Vorstellungen ganz klar ist, namentlich das Verhältniß desjenigen was er eigentlich will zur Philosophie. Für einen Schwärmer halte ich Jakobi gar nicht, ganz und gar nicht, noch weniger für einen Orthodoxen, wie Manche thöricht genug sind zu glauben. Was er aber eigentlich will | scheint mir zu sein: Spielraum und Freiheit für seinen subjectiven Mysticismus. Der scheinbare Streit der neueren PopularPhilosophie gegen den Mysticismus hat ihm die falsche Meinung beigebracht, als ob es in der That einen Streit zwischen der Philosophie und der Mystik geben könne, da doch im Gegentheil jede Philosophie denjenigen der soweit sehen kann und soweit gehn will auf eine Mystik führt. Wäre Jakobi hierüber im Klaren so würde er nur gegen diejenige Philosophie polemisiren welche nicht auf seine Mystik führt; er polemisirt aber gegen jede die nur irgendwo aufdukt. Warum? weil er postulirt seine Mystik solle sich aus irgend einer Philosophie deduciren laßen und mit ihr ein Ganzes ausmachen, welches mir für jede Mystik und also auch für die seinige etwas Unmögliches zu sein scheint. Auch würde er vergebens versuchen eine solche Philosophie selbst aufzubauen, denn es würde gegen sie dieselbe Polemik aus denselben Principien Statt finden. Dieses Verfahren nun hat Schlegeln auf den Gedanken gebracht daß Jakobis Wesen in einem unauslöschlichen Haß gegen alle Philosophie bestände. Wollte Jakobi nur dekretiren, daß Philosophie und Mystik gänzlich außereinander liegen und daß der ganze Schein ihres Zusammenhanges nur daher kommt weil sie sich in der Tangente berühren, so würde er aufhören gegen die Philosophie unnüz zu polemisiren und anfangen sein schönes Wesen auf eine positivere und innigere Art zu enthüllen als bisher – wenn er anders nicht etwa aufhören würde Schriftsteller zu sein. Er würde alsdann vielleicht auch finden was mir so klar ist daß Viele die man Fichtianer nennt: Hülsen, Berger, ich, und – troz aller scheinbaren Antipathie auch Schlegel sich ihm dem Geiste nach gar sehr nähern. Das sind nebst einer großen Verehrung für seinen Charakter und seine Individualität meine gegenwärtigen Gedanken von Jakobi, die ich Dich nach Deiner vollständigen Kenntniß von ihm zu berichtigen bitte. Den Spinoza anlangend so glaube ich, daß er mehr dessen Mystik als dessen Philosophie angegriffen hat, in deren Eigenthümlichkeit er vielmehr gar nicht recht eingedrungen zu sein scheint. Sein Urtheil über mich soll mir viel werth sein, wie es auch am Ende ausfallen mag: denn jezt scheint er doch noch nicht am Ende gewesen zu sein. Ich wollte ich wäre heute weniger zerstreut und beschäftigt um Dir ausführlicher schreiben zu können. Zu schiken hätte ich Dir auch etwas, nemlich meine Briefe über die Lucinde. Da aber Friedrich Bohn in Lübek sie verlegt hat, so kannst Du sie dort näher haben. Sie sind eigentlich mehr etwas über die Liebe als etwas über die Lucinde, und ich erwarte daß wir in Rüksicht der wenigen Gedanken, die sie enthalten eben nicht sonderlich differiren werden. Im Ganzen bedeuten sie nicht viel, und laß Dir darum ja Zeit sie zu lesen bis Du nichts beßeres zu thun hast. Ueber den Stil der Briefe, und | über die Form des Versuchs wünschte ich dann wol gelegentlich Deine Meinung zu vernehmen. Nächstdem habe ich nicht längst eine Anzeige von Fichtes Bestimmung des Menschen fürs Athenäum beendigt durch die ich mir wahrscheinlich seinen Unwillen zuziehn werde. Hätte ich das früher bedacht, oder wäre es mir im Schreiben so vorgekommen so würde ich in Absicht auf die Manier vielleicht ganz anders verfahren sein, meine Meinung aber ebenfalls nicht verschwiegen haben. Die Tugendlehre verdient allerdings gar sehr daß man sie studiert. Dies schließt aber nicht aus, daß nicht sehr viel dagegen zu sagen wäre. Du siehst wenn mir kein größeres Unglük droht als das Verfichten, so steht es noch gut genug um mich. Namentlich ist mirs wol nie eingefallen auf dem Wege eines formellen Gesezes zur Religion kommen zu wollen, und ich hoffe Jakobi wird dies auch nicht aus den Reden herauslesen können wenn er sie ordentlich liest. Ich wünsche daß der liebenswürdige Mann mich auch ein wenig lieben möge mit der Zeit, er ist der einzige von unsern namhaften Philosophen von dem ich mir dies wünsche. Reinhold ist mir höchst gleichgültig und Fichte muß ich zwar achten, aber liebenswürdig ist er mir nie erschienen. Dazu gehört, wie Du weißt für uns etwas mehr, als daß man, wenn auch der größte spekulative Philosoph sei.
Leider muß ich mich von Dir trennen lieber Freund. Es geschieht nicht ohne die herzliche Bitte, daß Du Deiner Gesundheit wol wahrnehmen mögest, und gehe nicht zu schnell in Dein kaltes Schweden. Die Herz grüßt Dich freundlichst und Schlegel und seine Freundin erkundigen sich oft sehr theilnehmend nach Dir. Von Voß schreibst Du mir wenig. Habe ich noch etwas zu gut oder ist er Dir überhaupt nur wenig gewesen? Viel weniger als Jakobi gewiß.
Komme bald zur Ruhe, und vergiß mich weder dann noch eher. Mehr ein andermal. Heute habe ich wirklich nur Deinen Erörterungen über Jakobi etwas vorarbeiten wollen damit Du wüßtest über welche Punkte Du mich vorzüglich ins klare bringen mußt. Die alte Liebe und Uebereinstimmung mit seinem Denken über den Menschen überhaupt kennst Du ja aus der unsrigen, die wie Du ebenfalls weißt immer dieselbe bleiben wird, und also auch ich immer
Dein Freund und Begleiter
S.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 19. Juli 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Hamburg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 168‒171.

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