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Erasmus von Hardenberg to Novalis TEI-Logo

[Hubertusburg, den 4. September 1795, Freitag]
Denke Dir, bester Fritz, mein Erstaunen, als ich vorgestern früh beiliegende beide Briefe von Karl erhielt; unglücklicherweise breche ich auch den letzten [vom 30. August], welcher sich mit den Worten anfängt: „Zum letzten Male bin ich dagewesen“ etc., zuerst auf. Und Du kannst denken, daß mir bei diesem höchst sonderbaren Anfang nichts als Grüningen, welches so immer mein erster und letzter Gedanke ist, einfallen konnte. Alle die wunderbarsten, ungeheuersten und aberwitzigsten Ideen, wie dies wohl zugegangen sein müßte und was das letztemal bedeuten sollte, drängten in dem Augenblicke mein Blut so nach dem Herzen, daß ich die Hand mit dem Briefe sinken ließ und totenblaß in den Stuhl zurückfiel; die erste Viertelstunde getraute ich mir gar nicht den Brief weiter zu lesen, endlich ermannte ich mich und las unter Zittern und Zagen weiter, wo ich dann bald Aufschluß über meinen Irrtum bekam. Aber ich konnte mich den ganzen Morgen nicht von meinem Schrecken erholen; erst stutzte ich schon ein wenig über 2 Briefe auf einmal, denn ich hatte erst ein paar Tage vorher einen Brief von ihm gehabt, und wenn ich nun den andern gleich geöffnet hätte, so wäre mir gleich alles klar und deutlich geworden, aber den getraute ich mir, nachdem ich den Anfang des andern gelesen hatte, gar nicht zu erbrechen, weil ich noch einen viel schlimmern Unrat in seinen Eingeweiden vermutete; alsdann eine Reise nach Grüningen so plötzlich und zwar zum LETZTENMALE, da mußte ich Mord und Totschlag, Unglück und Verderben ahnden, und da hätte der Teufel nicht erschrecken mögen.
Wie ich aber weiter las und sah, daß es nichts war, da wäre ich beinahe, wenn ich nicht Mitleid mit unserm armen Charles gehabt hätte, malitiös geworden. – – Nun setzte ich mich aber gleich hin und schrieb ihm einen zwei Bogen langen Hirtenbrief, der sich mit Donner und Blitz anfing und mit Sturmwind und Hagelwetter endigte. Unter anderm schrieb ich ihm: „Die Welt ist einmal nicht die beste Welt, und nicht jedes gute und hübsche Mädchen (wie die Fritzgen Lindenau) kann deswegen, weil sie ein hübsches, gutes Mädchen ist, das beste, beneidenswerteste Schicksal haben. Ach, lieber Karl, auch uns wird es nicht immer in der Welt so gut gehen, als wir es uns jetzt träumen; auch von unseren schönsten Hoffnungen werden noch manche getäuscht werden, aber deswegen sind wir nicht gleich in aller Geschwindigkeit, Eilfertigkeit und Behendigkeit unglücklich! Wahrhaftig, zum Unglücklichsein gehört mehr! Ich möchte das Zetermordiogeschrei nicht hören, wenn alle Mädchen, denen Fritz in seinem Leben die Cour gemacht hat, darüber, daß er sie nicht, sondern die S[ophie] geheiratet hätte, Klagelieder anstimmen wollten; Weimar und Erfurt, Weißenfels und Jena, Wittenberg und Leipzig müßten mit Donner und Blitz, Wolkenbrüchen und Erdbeben untergehen, und niemand würde mich mehr dauern, als der arme Fritz, denn der würde vor der Zeit taub. Oder wolltest Du etwa, daß Fritz lieber die L. als S. nähme? Da müßtest Du den unvergleichlichen, guten, großen, lieben Blick vergessen haben, mit welchem sie uns noch beim Abschied bat: ,Kommen Sie ja bald wieder!‘ Und was würde sie da erst vor Augen machen, wenn sie ihr ihren Hardenberg, mit dem sie in drei bis vier Jahren über alle Berge auf und davon gehen will, rauben wollten, ich glaube, sie schmiß mit Knitteln drein!“ Darauf folgte noch eine Beschreibung von Gr[üningen], welche ihn, hoff ich, da ich auch aus einem Briefe, den ich heute von ihm erhalten habe, sehe, daß er sich schon wieder in etwas rekolligirt hat, vollends kuriren soll, und die ich, nicht ihrer inneren Vortrefflichkeit wegen, Dir in Abschrift beilege, sondern weil es doch für Dich von einigem Interesse sein könnte, mein Urteil von Gr[üningen] auch einmal schriftlich, ohne von der Nähe desselben und seinem Anblick berauscht, bezaubert, begeistert, beseligt zu sein, zu hören! – – – –
Bei der Gelegenheit will ich Dir doch auch die Veranlassung zu den lezten Briefe von Karln erzählen, den ich Dir auch noch couriositatis gratia, als den dritten mit beilege. Karl gab mir ein Pferd, einen Schimmel mit hierher, der sonst nichts von Mucken, als daß er ein wenig scheu war, an sich hatte. Hierbei mir wurde das Luder auf einmal infam scheu und wild, neulich bäumte er schon einmal mit mir, und vorigen Sonnabend wie ich gegen Abend aus dem Walde nach Hause kam scheute er sich dichte vor Wermsdorf vor 3 – 4 Holzweibern mit Hucken, fuhr in völliger Carriere einige Schritte vor und dann links um ins Feld hinein, da stand er, zitterte am ganzen Leibe und machte Anstalten zum Bäumen, ich ließ ihm gleich die Zügel und cujonirte ihn, das half aber nichts, auf einmal stand er pfahlgerade in der Höhe und fiel immer mit den Vorderfüssen in die Luft, zum Glücke war ich unterdessen mit meinem lahmen Fuße, mit dem ich bei dem ersten Ansprung fest in den Steigbügel zu sitzen gekommen war, herausgekommen, machte mich mit dem andern Fuße auch los und hielt mich an den Mähnen fest, nun lehnte er sich aber ganz hinten über, so wie ich also merkte, daß es zum Überschlagen kommen würde, schmiß ich mich auf die linke Seite herunter, und in dem Augenblicke fiel der Schimmel auch rechts nieder, raffte sich aber so wie sein Reiter, dem kein Finger weh tat, gleich wieder auf, ich kriegte ihn zu packen, setzte mich wieder rauf und ritt ganz sachte nach Hause, sezte mich hin und schrieb Carln den ganzen Verlauf der Sache mit der Bitte mir auf der Michaelismesse ein anderes Pferd zu kaufen; so lange aber wollte ich den Schimmel noch behalten, und sieh den guten Jungen, den 4ten Tag drauf läßt er schon den Schimmel abholen und schickt mir seine Nante. Ich breche gewiß noch einmal den Hals, denn nunmehr habe ich zu Pferde und zu Wagen alle Schulen durchgemacht. Mit meinem Fuße fängt es übrigens doch an etwas besser zu gehn, aber freilich sehr langsam.
Lebewohl für heute, lieber Friz, grüße mir alles in Gr[üningen was] Odem und Leben hat, herzlich, meine Gedanken sind öfters, täglich, stündlich bei euch, ich werde bald einmal an die Ma Chère schreiben. Meine wärmsten Wünsche für Dein Glück, Deine Zufriedenheit und Dein wahres Bestes begleiten Dich überall in der Welt, bleibe nur fidel, es geht gewiß noch alles sehr gut. Ewig Dein
Treuer Bruder
Erasmus.
Hubertsburg, den 4ten September 1795
Karl kommt künftige Woche auf 3 Tage zu mir.
Beschreibung von Grüningen in dem Briefe an Carln
Denke Dir den Hauptmann, diesen jovialischen, fidelen, gastfreien, herrlichen und alles, was um ihn herum ist, heiter und lustig machenden Mann, der dabei Tätigkeit, Sparsamkeit und Pünktlichkeit mit Vergnügen und Jubel und Lustbarkeit verbindet, denk Dir ihn, wie er so hereintritt, die Mütze auf die Seite schiebt und ganz trocken sagt: Wer kein Herz hat, hat auch keine Courage, oder bei Tisch auf ein Was wir lieben anstößt. – – –
Denke Dir die Mutter, die Frau mit dem Engelsgesichte, die einem Stein die tiefste Ehrerbietung, die zärtlichste Zuneigung, die wärmste Anhänglichkeit einzuflößen imstande wäre, denk sie Dir mit den feinsten menschlichen Gefühlen, mit ihrer Liebe zur Häuslichkeit und der allgemeinen guten und zuvorkommenden Behandlung aller, die sie umgeben, und mit der mütterlichen Sorgsamkeit vor jeden, für den sie sich interessiert und die sie auch auf so eine schöne Weise gegen mich äußerte; denke sie Dir, wenn sie so dasitzt, ihren kleinen Günter stillt und mit einem liebevollen Blicke ihn anlächelt. – – –
Denk Dir die S[ophie], das himmlische Geschöpf, mit dem großen, alles anziehenden, eine Welt in sich fassenden Blicke, mit dem sie den Liebenden (in Parenthese Friz von H.) beseligt, den Unglücklichen aufrichtet und den Bösewicht niederschmettert, denk sie Dir, die Spadille in dem L’hombre-Spiel von Fritzens Leben, wie sie mit der bezauberndsten Unschuld in der Stube auf und ab geht und sich eins pfeift: – –
Denk Dir die anbetungswürdigste Gutmütigkeit und Freundlichkeit, die liebenswürdigste Anmut und Grazie und die wohlwollendste Bescheidenheit, und Du hast nur ein unvollkommenes Gemälde von den reizenden Zügen Carolinchens. Denk sie Dir, wenn sie sagt: Das glauben Sie nicht, ich kann recht böse sein! und nun die Geschichte des Schlüssels erzählt. – Denk Dir ein Weib im reinsten Jugendglanz, in der makellosesten Schönheitsfülle, aus Rosenglut und Lilienschnee gewoben, mit den schönsten schwarzen Augen von der Welt, die nur der S[ophie] ihren nachstehen und die überdies von Seiten ihres Herzens so liebenswürdig ist wie die Mandelsloh, denk sie Dir, wie sie mit ihrem Manne verkehrt und ihn zu nehmen weiß.
Denke Dir Dein mir unbekanntes Fritzchen. Prrrr!! Denke Dir das Götterkind, die Mimmi und alles, was in Grüningen lebt, webt und Odem hat! Und wenn Du dann nicht fidel wirst, so bist Du ein Scheismaz. Amen. Gott gebe ihnen allen einen Guten und schenke uns allen ihre Freundschaft und Liebe bis ans Ende. Amen, Amen.
Erasmus von Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 4. September 1795
  • Sender: Erasmus von Hardenberg ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Hubertusburg ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 388‒391.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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