Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Karl von Hardenberg to Erasmus von Hardenberg TEI-Logo

[30 August 1795, Sonntag]
Lieber Erasmus.
Ich bin da gewesen, ich habe Abschied genommen, denke Dir Abschied auf immer! Was seit der Zeit mit mir vorgegangen ist, weiß ich nicht, der nämliche bin ich nicht mehr; alles ist dunkel und trübe, die ganze Natur liegt so schwer auf mir, ich will es versuchen dir in etwas die Geschichte des gestrigen Tages, des 29ten Augusts, so viel mein geschwächter und wüster Kopf es zulässt, zu erzählen. Ich ritt nachmittags hinüber, und mein erster Gang war zu Frizgen [Lindenau]. Erst traf ich sie allein [in] der Stube an, fing an zu sprechen, aber die Mutter störte uns, ich schlug vor im Garten zu gehen, wir gingen in den grünen, dir wohlbekannten Pavillon; aber nun weiss ich dir weiter nichts zu sagen, als dass wir beide ausser uns weinten, und ich endlich den letzten Kuss ihr auf die Lippen drückte, und floh in den dunklen Gang; Bruder diese Szene vergess ich nie; bald kam sie nach, wir gingen stumm nebeneinander, der Gedanke sich auf immer zu trennen, machte mich bewusstlos, Frizgen bat mich meiner Gesundheit zu schonen, ich bat sie auch, und war der Ohnmacht nahe. Nun kam die Mutter, ich empfahl mich ihr, drückte Frizgen noch einmal die Hand, und stürzte zur Türe hinaus, gehen konnte ich nicht, ich wankte nur, zu Seyferths, traf sie allein, sprach ein paar Worte mit ihr, sie lässt dich grüssen, ging nach Haus, setzte mich auf mein Pferd und jagte nach Lützen wie ich hingekommen bin weiss ich nicht; wie ich nun erst allein war, da hatte ich auch den letzten Trost, keine Tränen mehr, ich konnte nicht mehr weinen, und doch pochte es fürcherlich in meiner Brust, ich versank in ein dumpfes Hinbrüten; so lebe ich noch, manchmal weine ich noch, und dann ist mir wohl. Verdamme mich nicht guter Mus, habe Mitleiden mit mir, das verdiene ich. Den Sonnabend gehe ich zum letzten mal nach W[eißenfels], sehe aber die Lindenau nur bei der Seyfferthen; hier bleiben darf ich nicht; diese Woche wird die Heirat deklarirt; ehe sie verheiratet ist, komme ich nicht wieder, vielleicht, komme ich ein paar Tage zu dir, dann geht es nach Schlöben; und da will ich bleiben; vielleicht dass dann die Zeit, den heftigen Eindruck etwas verwischt hat. Bis dahin werde ich ein trauriges Leben führen; keinen Freund habe ich; Zerstreuung kann ich nicht geniessen, und meine Ruhe ist fort. Einen beständigen tiefen Eindruck, lässt es zurück, so heiter so froh werde ich wohl sobald nicht werden, schwerlich je. Schreib mir doch bald, ja recht bald, lieber Erasmus, es ist mir so nötig Ihr der einzige Trost, den ich jetzt noch habe. Leb wohl, mein guter lieber Bruder, und habe Mitleiden mit
Deinem
jezt ganz verlassen[en] Bruder
Charles
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 30. August 1795
  • Sender: Karl von Hardenberg ·
  • Recipient: Erasmus von Hardenberg ·
  • Place of Dispatch: Lützen · ·
  • Place of Destination: Hubertusburg ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 391‒392.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen

Zur Benutzung · Zitieren