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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Johann Gottlieb Fichte TEI-Logo

Jena, den 9. Aug. 1799.
Theuerster Freund,
daß Sie Ihre Frau Gemahlin wegen meiner Reise nach Schwaben falsch berichtet, werden Sie seitdem aus meinen (durch Versehen länger liegengebliebenen) Brief ersehen haben. Was ich Ihnen in jenem Brief schrieb, ist das Resultat einer langen Ueberlegung und Berechnung. Ich sehe nicht, wie ich auf den doch immer wahrscheinlichen Fall der Nichtunterstüzung von außen auch nur ein Halbjahr, geschweige längere Zeit, auf meinen Plan ruhig verwenden kann (was doch nothwendig ist), – wenn ich mir im nächsten Halbjahr nicht die Mittel dazu verschaffe. Nun rechne ich aber, daß der Winteraufenthalt in Berlin allein ohne Reise und ohne das zu rechnen, was man an jedem Orte Lehrgeld giebt, wenigstens zwischen 3-400 Thlr. kostet, statt daß ich hier mit 200 leben kann. Nicht Rücksicht auf Vergnügen – denn sollte ich in [Berlin] und in Ihrem Umgang nicht vergnügter leben, als in Jena und unter diesen Umgebungen, – sondern die einzige Rücksicht auf meinen früheren Plan der (rechnen Sie sicher darauf) früher oder später in den Ihrigen eingreifen und mich Ihnen willkommner machen wird, als jezt, [/] da ich nur halb bin, was ich zu seyn verlange, treibt mich zu diesen Reflexionen. Doch ich schrieb den ersten und schreibe diesen Brief, um [Sie] urtheilen zu lassen. Urtheilen Sie also und melden Sie mir, ob Sie einen Ausweg wissen. [Ein] Ausweg wäre, – leider, daß er schon jezt abgeschnitten ist, – wenn nach Ihrem erweiterten Plan ein Haus Jenaischer Colonisten in Berlin sich bildete, wo wir alle zusammen mit geringern Kosten leben würden; aber Ihr Plan hat nicht am Willen oder an der Lust der Frau, sondern des Mannes gescheitert, der die absolute Unmöglichkeit behauptet, aus Gründen, die er Ihnen selbst ohne Zweifel schreiben wird.
Ich bin noch jezt in jeder Rücksicht frei. Ich sollte mit Tiek ein Logies miethen und habe es bis jezt noch nicht gethan; kurz ich habe Alles offen erhalten, um sobald jener Grund wegfällt (was wie ich Ihnen schon geschrieben, wenigstens noch möglich ist) zu Ihnen eilen zu können.
Entscheidende Antwort hoffe ich in wenigen Tagen zu haben. Indeß freue ich mich, Sie wenigstens sicher in Berlin zu wissen, und bitte Sie, ohne daß ich es Ihnen mit Worten versichere, von mir zu glauben, was Sie bisher von mir geglaubt haben: – daß ich wenigstens nie von [Ihnen] und Ihren Planen weichen werde, wenn ich auch verhindert werde, Ihre einzelnen Wünsche im Augenblik zu erfüllen.
Leben Sie wohl, herzlich gegrüßt von Ihrem
F. S.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 9. August 1799
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 35‒36.

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