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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Friedrich Immanuel Niethammer TEI-Logo

Leipzig den 30. Okt. 97.
Gewiß haben Sie, mein Theuerster, von Herrn Prof. Fichte erfaren, warum ich Ihnen nicht nur die Antwort auf Ihre beiden Briefe, sondern auch die Fortsezung für's Journal schuldig geblieben bin. Indeß freuen Sie sich mit mir, nicht nur darüber, daß ich genesen, sondern ebensosehr darüber, daß ich krank geworden bin. Diese Krankheit hoffe ich hat mich von einem Übel befreit, das, (wahrscheinlich ein Anfang künftiger Hypochondrie), mich, seit ich in Leipzig bin, gedrükt hat. Schon fühlte ich ungewohnte Heiterkeit und die meinen Jahren natürle. Fröhlichkeit in mich zurükkehren. Nur bleibt noch immer der Kopf hinter dem übrigen Körper zurük, was bei der schreklichen Zerrüttung desselben während einer Zeit von beinahe 14. Tagen kein Wunder ist. Ich weis nicht, wer es dem Arzt hinterbracht hat, daß ich mich kurz vor der Krankheit mit Philosophie abgegeben. Darauf ist nun, nachdem mir anfänglich alles Denken untersagt war, ein strenges Mandat gegen alles Philosophiren erfolgt. Das philos. Journal hat er mir aus den Händen mit nach Hause genommen, eben da ich im Begriff war, die Briefe über die neueste Philos., welche dem Zustand meines Kopfs am angemeßensten schienen, durchzugehen, dergestalt daß ich bis jezt nicht einen Buchstaben davon lesen konnte.
Noch mehr verpönt ist alles eigne philos. Arbeiten, und hier ist das Gefühl meines Kopfes ganz auf Seiten des Arztes. Für's philos. Journal hätt' ich also vorjezt ausgearbeitet. Statt der philos. Parallelen, welche, wie ich bald sah, etwas mehr Zeit erfordern, war demselben eine Abhandlung über die Weltseele, eine physische <sic!> Hypothese, bestimmt, die in ihren Bruchstüken während der Krankheit von meinem unwissenden Wärter auf mannichfaltige Weise verbraucht worden ist. Indeß habe ich hie u. da zerstreute Gedanken über die neueste philos. Litteratur niedergeschrieben. Diese könnte ich, etwa zum 9ten Heft, zusammenreihen, wenn Sie, die Hn. Herausg., sie statt einer Forts. der Übersicht annehmen wollen. An etwas Zusammenhangendes mag ich selbst gar nicht denken, am allerwenigsten über die pract. Philos.
Ich bitte Sie, mich Hn. Prof. Fichte zu empfelen, ihm für seinen Besuch zu danken, u. zu sagen, wie ich jezt erst den Verlust der Stunden zu schäzen weis, die ich in seinem Umgang hätte zubringen können.
Leben Sie wohl, denn es ist Zeit zu schließen, hochgeschäzter Freund, u. erhalten Sie Ihre Gesinnung, wie bisher
Ihrem
unveränderl. ergebnen
Schelling.
N. S. Nachdem ich die Adreße schon geschrieben, fällt mir bei, ob ich Sie unter die Wohlgebohrnen, oder die Hochwürden zählen muß! Nicht der Adresse, sondern des Antheils wegen, den ich daran nehme bitte ich Sie um Nachricht hierüber.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 30. Oktober 1797
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Immanuel Niethammer ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 1. 1775‒1809. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1962, S. 113‒114.

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