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Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Liebste Schwester,
Dein theures Geschenck und deinen lieben Brief habe ich richtig erhalten, nur verzeih mir die Nachlässigkeit dir dafür nicht eher gedanckt zu haben, eine Abhaltung, die ich nicht vermeiden konnte, hinderte mich daran, ich mußte am vori[gen] Posttage durchaus jemand besuchen. Du bist kranck gewesen? Du, und unser Vater? Ich hoffe, daß du und er jezt wieder vollkommen hergestellt sind. Schone dich doch ja, lieber Schwester, bleibe ja gesund, so wie ich, ich bin hier vollkommen gesund und dencke recht oft an dich und meine lieben Eltern. Unsre Mutter ist doch immer wohl gewesen?
Schreibe mir doch im nächsten Briefe etwas genauer wie sich alle befinden. – Auch was Christian macht (warum schreibt mir denn der nicht, besorgt er auch die Bücher für Mad. Toll ordentlich, ich lasse es ihm als ein guter Freund rathen) und Peter und alle.
Für dein Geschenck danke ich also recht sehr und ich würde mich glücklich fühlen, wenn ich dir mündlich danken könnte. Die Weste ist schön, sie gefällt mir ausserordentlich, aber die Zeichnung finde ich auch nicht im mindesten ähnlich. – Was macht denn der grosse Künstler? Sage ihm nur, er wäre ein Schlingel, denn er hat dich ja noch nicht ein einziges mahl getroffen.
Schmols Gesellschaft ist mir aber nicht so sehr angenehm, als du zu glauben scheint, er ist ein äusserst guter Mensch, aber man ist sehr wenig, sagt ein neuerer Schriftsteller, wenn man nichts als gut ist, seine Fehler verdunkeln seine Vorzüge ganz und gar. Ich habe dich einmahl eitel genannt, liebe S., jezt nehme ich das zurück, du bist ein Frauenzimmer, dem das wohl zu verzeihen ist, aber gegen Schmol bist du nichts weniger als eitel, ob er gleich ziemlich häßlich ist (wie du wirst gestehen müssen) so bildet er sich doch auf seine Person sehr viel ein, er kann halbe Stunden vor dem Spiegel stehn, sich Stunden putzen, kurz, hundert Sachen thun, die mir äusserst zuwider sind. Er ist überdies äusserst pedantisch, und hat gar nichts von jener poetischen Schwärmerei, die mir meine übrigen Freunde so theuer macht, er ist sehr trocken ohne ein feines Gefühl zu haben. Hättest du ihn näher kennen lernen du wirst da so grosse Verschiedenheit zwischen ihm und Griesen nicht finden, sie sind sich in vielen Stücken ausserordentlich ähnlich und Griese ist doch nicht so eitel. (Grüß ihn doch.)
Alle meine Collegia habe ich ganz frei bekommen, ohne im mindesten darum zu betteln, denn die Professoren haben es mir selbst angeboten, weil sie alle gute Freunde Reichardts sind, der es bei ihnen ausgemacht hatte. Ich gehe hier nur mit wenigen um. Taback rauche ich nicht, aber Caffé ist immer des Morgens um 5 und Nachmittags um halb eins presto da, viel habe ich noch nicht studirt, es wird aber noch kommen. Nächstens will ich dir einmahl einen recht langen Brief schreiben. Ich muthmasse, daß du Gedichte gemacht hast, schicke sie mir doch nächstens und zögre nicht wieder so lange mit Schreiben.
Küsse meine lieben Eltern in meinem Nahmen und grüsse Christian, der ja nicht vergessen soll, meine Empfehlung an H. und Mad. Toll zu machen, er soll es ja durchaus nicht vergessen. – Lebe wohl, ich danke nochmals, du wirst dies durch Wackenrod. erhalten. – Lebe tausendmahl wohl
Dein dich zärtl. liebend. Brud.
Tieck
Hallle
am 12 Juni,
1792
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 12. Juni 1792
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Halle (Saale) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 292–294.

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