Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Dresden.
Liebste Schwester,
Ich danke dir recht sehr dafür, daß du mir die Märchen geschickt hast, und zwar so zeitig, daß ich sie noch ganz mit Musse durchsehen kann. Ich habe sie schon alle gelesen und mich von neuem daran entzückt, sie werden gewiß eine ganz einzige Erscheinung machen; ich habe sie zum Theil vorgelesen, und sie thaten dieselbe schöne Wirkung. Es ist ein zarter poetischer Geist, der sich in wunderlicher Architektur gefällt, und sie bringen einen Zustand heran, wie die Mittelempfindung zwischen Schlaf und Wachen, am Morgen früh in der Dämmerung. Ich lerne viel daraus. Bald werde ich sie dir nach und nach wieder schicken, und ihr könnt sie dann gleich in die Druckerei geben. Aber nach meiner Berechnung beträgt das Mscpt. das ich jezt in Händen habe, schon über 20 Bogen, und ich habe dir damals, oder ich müste sehr irren, geschrieben, daß Nicol. nicht mehr als 20 Bogen drucken will, kommen nun noch 2 hinzu, so werden es wenigstens 24. Wie wäre es, wenn wir für jezt die Blume der Liebe, die schon gedruckt ist, zurückliessen, bis wir sehn, wie viel das übrige beträgt, fehlt es, so können wir sie dann noch hinzunehmen. Antworte mir doch hierauf. Das übrige Honorar von 10 oder 11 Carol. wirst du aber wohl erst in der Messe, oder um die Zeit erhalten können, doch weiß ich es nicht gewiß, ich habe es aber so verstanden. Wenn du etwas machst, so schicke es mir bald, damit wir es können zur Ostermesse abschreiben lassen, und ich denke es dir alsdann besser zu verkaufen. Warum schreibt Bernh. gar nicht? Er wollte mir auch Neuigkeiten melden, an denen ich hier recht arm bin, aber er läßt nichts von sich hören. Dein Gedicht, was du mir zulezt geschickt hast, kann ich nicht recht verstehen, liegt es an mir oder an dir? Ich glaube, daß die Stanzen dich genirt haben, und daß du es ohne diese schöner und ausdrucksvoller würdest gemacht haben. Wenn es dir Recht ist, kann es vielleicht zu einer Vorrede der Märchen kommen, die ich dir dazu schreiben wollte, ich kann es jezt noch nicht ändern, weil ich es noch nicht recht verstehe. Vielleicht kannst du mir darüber schreiben. – Der Bruder ist jezt in Weimar und wohl. – Ueber das Gedicht, mit dem ihr habt Spaß machen wollen. Nicht bei der ersten Strofe, sondern gleich an der ersten Zeile habe ich es für Bernhardi’s erkannt, ich hatte auch gar keinen Zweifel und meinte, ihr hättet ihn nur zu nennen vergessen, weil es sich von selbst verstände. Ich habe es an Schlegel geschickt, und wenn der mich um mein Urtheil fragt, so heißt es: es fängt wie alle Sachen von B. sehr gut an, und dann, wie gewöhnlich bei ihm, weitschweifig, fällt in die Manier, und endigt unbedeutend. Vielleicht kommt dir dies zu hart vor, aber sieh einmal (den edlen Nachtwächter ausgenommen) alle seine Sachen noch einmal darauf an. – Lieben Kinder, kommt doch nun im Frühjahr alle, richtet euch doch ja so ein, ob ich im Winter komme, weiß ich nicht. – B. muß über das neue Theater, und das Stück von Kotzeb. womit es eingeweiht wird, einen Spaß machen: sie haben es jezt, um nicht anstössig zu sein, das Zauberschloß genannt, aber eigentl. heißt das Stück im Msp. wie ich es gesehen habe: des Teufels Lustschloß. Hinlänglich, Spaß und Wahrheit zu sagen. Er darf dies keck drucken lassen, und wenn es angefochten würde, sich nur auf mich berufen.
Metadata Concerning Header
  • Date: [ca. Ende September 1801]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 360–361.

Zur Benutzung · Zitieren