[1] Jena d. 18. Jan. 1798.
Ihr Brief, liebster Göschen, kam erst vorgestern bey uns an – er muß lange unterwegs gewesen seyn oder ich kann mich in seine Chronologie nicht finden. Es war recht lange her, daß wir nichts von Ihnen gehört hatten, und fast fing ich an zu besorgen, Sie möchten nicht recht wohl seyn, dort stellte ich mir dann wieder Ihre vielen Geschäfte vor. Geht es mir doch eben so, und ich schreibe Ihnen heute auch zum erstenmale.
Meinen schönsten Dank für das Kupfer zum Doolin, es ist noch das hübscheste von allen. Mit nächstem will ich den die Anzeige besorgen – ich war eben mit Einsiedels Schrift beschäftigt als ihr Brief ankam. Ich habe bestens die Aufmerksamkeit darauf zu lenken gesucht – und ich erwarte wirklich viel Gutes von seinem ausführlicheren Werke über diesen Gegenstand. Es würde doch auch keine so sehr kostbare Unternehmung für den Verleger seyn – die Zeichnungen müßten zwar nicht gespart werden, aber es brauchten nur bloße Umrisse zu [2] seyn. Kennen Sie etwa die von der Lady Hamilton? Vielleicht brauchten sie nicht so groß zu seyn. –
Frieden bekommen wir gewiß, liebster Göschen, wenn gleich ein großer Lappen von unserm alten Deutschland hingeht und französisch wird. Indessen denke ich, daß der Buchhandel darunter nicht leiden wird. Wenn erst alles wieder ruhig ist, so denke ich, so können Sie selbst auf das französische Frankreich etwas rechnen – wenigstens für Ihre Abdrucke von Klassikern.
Was Wielands Werke betrifft, so bin ich sehr bereit, Ihnen zu versprechen, daß ich sie in der Litteratur-Zeitung nicht beurtheilen will. Ich habe dazu außer Ihrem Wunsche noch den Grund, daß das, was ich über Wieland sage, so viel an mir ist, als Wahrheit wirken soll; was aber in der ALZ. steht, wirkt, wie man die Beyspiele hat, nur allzu häufig als Autorität. Eine strenge Kritik an der Stelle könnte also sehr misverstanden werden, und Leser zu Tadlern Wielands machen, denen es [3] sehr heilsam für ihre Bildung wäre, ihn fleißig zu studiren. In der ALZ. darf und muß man sogar Rücksichten beobachten, aber weil man es mit einem großen gemischten Haufen zu thun hat. Aber wo ich allein für mich stehe, und mit der Ausführung von Entwürfen beschäftigt bin, die mir am Herzen liegen, da lebe die Wahrheit und Gerechtigkeit!
Überall und gänzlich von Wieland zu schweigen, werthester Freund, kann ich Ihnen unmöglich versprechen. Sie haben in Ihrem Verlage Werke von Göthe, Klopstock, Schiller, Wieland, u. s. w. das heißt von den wichtigsten Schriftstellern unsrer Nation. Wenn ich nun von diesen nicht frey von allen Rücksichten sollte reden dürfen, so wäre mir dann [ein] Stillschweigen über die ganze Deutsche Litteratur auferlegt; und da Kunstrichterey nun einmal mein Fach ist, so wäre meiner ganzen S schriftstellerischen Existenz ein Ende gemacht. Sie sind also gewiß zu billig gesinnt, um dieß zu verläugnen.
Wenn ich etwas über Wiel. schreibe, so wird es ein Stück Kritik seyn, das den großen [4] Haufen seiner Leser gar nichts angeht, und daß auch auf die Art von Geschmack, welche sie an ihm finden gar keinen Einfluß haben kann. Wenn Sie mich, ehe Sie die Ausgabe von Wielands Werken unternahmen, um meine Meynung gefragt hätten: ob sie in den Augen einiger Freunde der Kunst bald durch größere Meisterwerke würden verdunkelt werden? so hätte ich es mit der größten Zuversicht bejaht. Hätten Sie mich aber gefragt, ob ich glaubte, daß man dem ungeachtet fortfahren würde, sie häufig zu lesen? so würde ich es eben so sicher bejaht haben. – Mir scheint daher die Ansicht viel richtiger, welche Sie damals hatten, als wir hier davon sprachen, daß keine Kritik in der Welt Wielands Ruhm oder wenigstens den Absatz seiner Werke schmälern könne. Gesetzt aber auch, man läse ihn in der Folge weniger, so nimmt er doch eine so wichtige Stelle in der Geschichte unsrer Litteratur ein, daß, wer seine Bibliothek nicht auf den Katechismus und die Fibel einschränkt, seine Werke besitzen muß. – Ich bin also überzeugt, daß Sie nicht nur die jetzige Auflage [5] absetzen werde, sondern auch noch einmal im neuen Jahrhundert eine zweyte werden veranstalten können.
Meine Frau ist jetzt endlich ziemlich wohl wieder – denn daß sie nach Ihrer Abreise noch schlimm gewesen ist, werden Sie wohl wissen. Sie medizinirt auch immer noch. Jetzt ist Mad. Gotter mit ihrer ältesten Tochter seit voriger Woche zum Besuche bey uns. In Ihrem Hause scheint ja alles auch recht wohl zu gehn, was mich sehr freut. Carolinen muß ich für heute entschuldigen, sie ist zum Besuche aus, sonst würde sie auch schreiben.
Grüßen Sie mir aufs beste Ihre liebe Frau und Schwiegerin, vergessen Sie uns nicht, besuchen uns bald einmal wieder. Leben Sie recht wohl.
Ganz der Ihrige
AWSchlegel
[6] [leer]
Ihr Brief, liebster Göschen, kam erst vorgestern bey uns an – er muß lange unterwegs gewesen seyn oder ich kann mich in seine Chronologie nicht finden. Es war recht lange her, daß wir nichts von Ihnen gehört hatten, und fast fing ich an zu besorgen, Sie möchten nicht recht wohl seyn, dort stellte ich mir dann wieder Ihre vielen Geschäfte vor. Geht es mir doch eben so, und ich schreibe Ihnen heute auch zum erstenmale.
Meinen schönsten Dank für das Kupfer zum Doolin, es ist noch das hübscheste von allen. Mit nächstem will ich den die Anzeige besorgen – ich war eben mit Einsiedels Schrift beschäftigt als ihr Brief ankam. Ich habe bestens die Aufmerksamkeit darauf zu lenken gesucht – und ich erwarte wirklich viel Gutes von seinem ausführlicheren Werke über diesen Gegenstand. Es würde doch auch keine so sehr kostbare Unternehmung für den Verleger seyn – die Zeichnungen müßten zwar nicht gespart werden, aber es brauchten nur bloße Umrisse zu [2] seyn. Kennen Sie etwa die von der Lady Hamilton? Vielleicht brauchten sie nicht so groß zu seyn. –
Frieden bekommen wir gewiß, liebster Göschen, wenn gleich ein großer Lappen von unserm alten Deutschland hingeht und französisch wird. Indessen denke ich, daß der Buchhandel darunter nicht leiden wird. Wenn erst alles wieder ruhig ist, so denke ich, so können Sie selbst auf das französische Frankreich etwas rechnen – wenigstens für Ihre Abdrucke von Klassikern.
Was Wielands Werke betrifft, so bin ich sehr bereit, Ihnen zu versprechen, daß ich sie in der Litteratur-Zeitung nicht beurtheilen will. Ich habe dazu außer Ihrem Wunsche noch den Grund, daß das, was ich über Wieland sage, so viel an mir ist, als Wahrheit wirken soll; was aber in der ALZ. steht, wirkt, wie man die Beyspiele hat, nur allzu häufig als Autorität. Eine strenge Kritik an der Stelle könnte also sehr misverstanden werden, und Leser zu Tadlern Wielands machen, denen es [3] sehr heilsam für ihre Bildung wäre, ihn fleißig zu studiren. In der ALZ. darf und muß man sogar Rücksichten beobachten, aber weil man es mit einem großen gemischten Haufen zu thun hat. Aber wo ich allein für mich stehe, und mit der Ausführung von Entwürfen beschäftigt bin, die mir am Herzen liegen, da lebe die Wahrheit und Gerechtigkeit!
Überall und gänzlich von Wieland zu schweigen, werthester Freund, kann ich Ihnen unmöglich versprechen. Sie haben in Ihrem Verlage Werke von Göthe, Klopstock, Schiller, Wieland, u. s. w. das heißt von den wichtigsten Schriftstellern unsrer Nation. Wenn ich nun von diesen nicht frey von allen Rücksichten sollte reden dürfen, so wäre mir dann [ein] Stillschweigen über die ganze Deutsche Litteratur auferlegt; und da Kunstrichterey nun einmal mein Fach ist, so wäre meiner ganzen S schriftstellerischen Existenz ein Ende gemacht. Sie sind also gewiß zu billig gesinnt, um dieß zu verläugnen.
Wenn ich etwas über Wiel. schreibe, so wird es ein Stück Kritik seyn, das den großen [4] Haufen seiner Leser gar nichts angeht, und daß auch auf die Art von Geschmack, welche sie an ihm finden gar keinen Einfluß haben kann. Wenn Sie mich, ehe Sie die Ausgabe von Wielands Werken unternahmen, um meine Meynung gefragt hätten: ob sie in den Augen einiger Freunde der Kunst bald durch größere Meisterwerke würden verdunkelt werden? so hätte ich es mit der größten Zuversicht bejaht. Hätten Sie mich aber gefragt, ob ich glaubte, daß man dem ungeachtet fortfahren würde, sie häufig zu lesen? so würde ich es eben so sicher bejaht haben. – Mir scheint daher die Ansicht viel richtiger, welche Sie damals hatten, als wir hier davon sprachen, daß keine Kritik in der Welt Wielands Ruhm oder wenigstens den Absatz seiner Werke schmälern könne. Gesetzt aber auch, man läse ihn in der Folge weniger, so nimmt er doch eine so wichtige Stelle in der Geschichte unsrer Litteratur ein, daß, wer seine Bibliothek nicht auf den Katechismus und die Fibel einschränkt, seine Werke besitzen muß. – Ich bin also überzeugt, daß Sie nicht nur die jetzige Auflage [5] absetzen werde, sondern auch noch einmal im neuen Jahrhundert eine zweyte werden veranstalten können.
Meine Frau ist jetzt endlich ziemlich wohl wieder – denn daß sie nach Ihrer Abreise noch schlimm gewesen ist, werden Sie wohl wissen. Sie medizinirt auch immer noch. Jetzt ist Mad. Gotter mit ihrer ältesten Tochter seit voriger Woche zum Besuche bey uns. In Ihrem Hause scheint ja alles auch recht wohl zu gehn, was mich sehr freut. Carolinen muß ich für heute entschuldigen, sie ist zum Besuche aus, sonst würde sie auch schreiben.
Grüßen Sie mir aufs beste Ihre liebe Frau und Schwiegerin, vergessen Sie uns nicht, besuchen uns bald einmal wieder. Leben Sie recht wohl.
Ganz der Ihrige
AWSchlegel
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