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Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

[1] Berlin, am 23. Dezember [1797]
Ihre Briefe haben mir eine außerordentliche Freude gemacht, ja einen großen Muth in mir erregt, etwas Gutes und zwar mit Bedacht zu schreiben, was ich bisher noch wenig gethan habe. Ihren Shakspeare studire ich recht und ich wünsche, ich könnte auch erst den folgenden Theil so studiren; die Anzeige soll gewiß sogleich nach der Erscheinung in Bereitschaft sein.
Ich sehe es immer mehr ein, was Sie bei Ihrer Uebersetzung zu bekämpfen haben und wie glüklich Sie jeden Widerstand überwinden, die Deutschen werden nun erst den Dichter verstehn lernen und nun vielleicht die alte zähe Haut abstreifen, die sie bis jezt gegen alle ächte Schönheit so gefühllos gemacht hat. Doch der La Fontaine und andre Modeschriftsteller arbeiten immer noch herzhaft dagegen. – Ihre Abhandlung über Romeo hat mir unendlich gefallen, Sie haben [2] mir über dieses Stück fast alles für meine Briefe weggenommen, ich finde die Auseinandersetzung ungemein glüklich und es machte mir große Freude, daß ich sah, wie unsre Ideen sich begegneten. Ich sehe aber die Julie etwas sinnlicher an, dann ist es nach meinem Urtheil ungemein schön, wie verschieden, wie weit weniger mädchenhaft ihr ganzes Betragen nach der Nacht ist: im ersten Monolog des Mönchs liegt der Gang des ganzen Stücks, in der Betrachtung über die Blumen die Apologie seines Betragens, ich habe ihn darum immer in vielen Rüksichten so bedeutend gefunden.
Für ihr Urtheil über meine geschickte (d. h. überschickte) Sachen sage ich Ihnen den herzlichsten Dank, ich bitte Sie, recht aufrichtig gegen mich zu sein, Sie sollen wenigstens wenn keinen gelehrigen, doch einen solchen Schüler an mir finden, der [3] sich alle Mühe geben wird, Sie zu verstehn, ich verehre die Kunst, ja ich kann sagen, ich bete sie an, es ist die Gottheit, an die ich glaube und darum möchte ich wohl irgend einmahl recht was Gutes hervorbringen. Bis jezt habe ich meine Arbeiten, oder wie ich es nennen soll, zu sehr verachtet und mich wundert und freut es zu gleicher Zeit, daß sie gerade Ihnen in einem solchen Grade gefallen: den Blaubart habʼ ich fast in einem Abend geschrieben, eben so den Kater; ich habe, Ihren Bruder ausgenommen, bis jezt noch keinen Menschen gefunden, der mir etwas hätte sagen können und da es mir nun gelungen ist, so denke ich darum auch besser zu werden.
Ueber die Recension des Lovell habe ich mich nicht geärgert, ja ich habe sie noch nicht einmahl gelesen: ich bin überhaupt beinahe zu gleichgültig gegen diesen quasi öffentlichen Ruf, Ihre Recensionen haben mir Freude gemacht, [4] aus allen Ursachen; wenn man aber durchaus mißverstanden wird, muß man doch gegen einen mißverstandenen Tadel sehr kalt bleiben. Wenn sie wegen der Uebersetzung des Lovell eine kleine Anzeige in die Literatur-Zeitung wollten rücken lassen, würden Sie mich sehr verbinden.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen vorher die Shakspeareschen Briefe zeigen, es wäre überhaupt herrlich, wenn wir uns einmahl recht viel sähen und ich habe schon im Stillen darauf gedacht, wie ich es einrichten könnte. Die Briefe werden in einen etwas wilden poetischen Ton hineingerathen, aber vielleicht läßt sich die Poesie manchmal durch Poesie erklären. Ich will wenigstens den Versuch machen und alles das schildern, was ich immer bei der Lectür des Shakspeare empfinde. Er ist der gröste und mannichfaltigste Dichter, den ich kenne, bei alle dem auch der dichterischste: ein Erzpoet wie ich ihn nennen möchte, der durchaus von nichts außer sich abhängt, wie es denn doch wohl bei Göthe oft der Fall ist. Wenn Sie mir Unrecht geben so [5] will ich Ihnen meine Meinung nächstens noch weitläuftiger schreiben. – Wie muß Ihnen aber meine Abhandlung zum Sturm und der ganze Sturm vorgekommen sein? Der ist ein rechter Beweiß meiner Faulheit, die sogenannte Abhandlung ist nun 6 Jahre alt, der Sturm wurde in 2 Tagen übersezt, ich ließ das alles drukken, weil es der Verleger haben wollte, er hieltʼs in der Dummheit für was Schönes und ich litt es in Geduld, daß er meinen Nahmen davor sezte, denn ich bin ganz unschuldig an dieser scheinbaren Eitelkeit. Wenn Ihr Bruder in seinen Fragmenten seine Griechen und Römer Musikalien nennt, so ist dies abhandelnde wunderbare Zeug von mir nichts anderes, als wenn ein Anfänger auf der Violine damit anfangen wollte, daß er gleich hinter dem Stege spielte, der Virtuos wird es kaum dahin bringen, daß es nur irgend einer Musik ähnlich wird und vollends der Anfänger! Wenn man mit solchem falschen Scharfsinn auf die Jagd nach Schönheit geht, so kann man auch aus der Zauberflöte [6] das vollkommenste Kunstwerk herausschließen und herausbeobachten, vollends wenn man sich selber dabei psychologisch zergliedert. – Ihre Rezension hätte eigentlich viel härter ausfallen müssen, Sie haben für einen Rezensenten zu viel
„von der Milch der menschlichen Güte in sich“.
Ich habe an Voß und Co. geschrieben wegen der Romantischen Darstellungen. Ich wünschte, ich könnte bei Unger den Don Quixote übersetzen, es ist doch immer besser, wenn nur eine Übersetzung da ist. Es ist schön, daß Sie die Prosa des Cervantes so fühlen wie ich, das hat mir auch Muth gemacht, denn es war immer mein Ideal, es Göthisch zu übersetzen, soviel ich kann: darum ist der Bertuch gar kein Don Quixote, er ist ein ganz andres Buch, in dem bloß dieselben Begebenheiten ohngefähr sind, für das eigentliche Romantische der Novellen, für die herrlichen Verse, für die süßen Schilderungen der Liebe hat er gar keinen Sinn gehabt, er hat gemeint, seinen Lesern ein großes Geschenk zu machen, wenn [7] er das meiste davon ausläßt. Wie wenig ist überhaupt die wahre Herrlichkeit dieses Romans erkannt! Man hält es doch immer nur für ein Buch mit angenehmen Possen.
Über Ihre Gedichte kann ich Ihnen heut unmöglich etwas sagen, als daß sie mich entzückt haben, den Prometheus versteh ich wohl noch nicht, ich habe ihn erst einmahl gelesen. Ich fühle bei Ihren Versen doch sie süße himmlische Poesie, die mich mit sich nimmt, wenn ich bei Wieland, Matthison und tausend Menschen die von Liebe sich was vom Herzen los singen wollen, nur poetische Redensarten verspüre. Vielleicht sage ich Ihnen in einem folgenden Briefe mein Gefühl, denn Meinungen habe ich selten, Urtheil glaube ich treffen vernünftige Menschen gar nicht bei mir an. – Das ist ein schlimmer Fall für das künftige Rezensiern! ich will es aber wenigstens mit allem guten Willen versuchen. Ich habe Ihrem Bruder aufgetragen, Sie zu bitten, daß Sie mir immer [8] recht aufrichtig Ihr Urtheil über mich sagen, und Sie bitte ich darum, daß Sie Ihren Bruder auch dahin vermögen.
Die Recension der Volksmärchen habe ich auch noch nicht gesehn, ich muß die Literatur Zeitung wieder lesen. Wollten Sie wohl so gut sein und beiliegenden Zettel in diese Zeitung einrükken lassen? Es ist ein bloßer Taufschein für diese Märchen.
Gewiß freut sich kein Mensch so auf Ihre Ankunft in Berlin, als ich, selbst Ihr Bruder nicht, da er Sie schon so lange kennt. Ich wünsche nur, daß Sie meiner Briefe und dann meines persönlichen Umgangs nicht zu bald überdrüssig werden; denn ich habe vielleicht eben so wenig den guten Umgang in meiner Gewalt als den guten Briefstyl. – Empfehlen Sie mich Ihrer Gattin und leben Sie recht wohl.
Ihr ergebenster Freund
Ludwig Tieck.
Teague ist ein Irrländischer Narr und Bedienter in vielen Englischen Comödien. Ich bin am Ende aus Irrland.
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Metadata Concerning Header
  • Date: 23. Dezember [1797]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 24‒27.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.57
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,6 x 11,4 cm
Language
  • German

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