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Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

[1] [Dresden, Juni 1801]
Welche Antwort magst du wohl, lieber Freund, auf deinen seltsamen Brief von mir erwarten? Soll ich läugnen, daß es mich gekränkt, daß du in einem so hohen Grade verstimmt bist, daß du mich so gänzlich mißverstanden hast? Denn durchaus verstimmt must du sein, oder du hast mich niemals verstanden, und unsre Freundschaft wäre somit auch nur eine der leeren Erscheinungen gewesen, deren es so viele in der Welt giebt, und die nichts sein und nichts bedeuten können. Verstimmt must du durchaus sein, oder du hast gar keinen Begriff von der Schonung, die man einem Freunde schuldig ist, auch wenn er Unrecht gegen uns hat, oder von der Achtung, die wir nicht vergessen müssen, wenn er uns nicht beleidigt. Laß dich diese Zeilen nicht zornig ansehen, denn sie sind im mindesten nicht so gemeint, und ich will nur überhaupt das Nöthigste sagen, weil denn doch mein voriger Brief, so unschuldig und freundlich ich ihn auch meinte, den deinigen hat erzeugen können; ich will wenigstens nicht die Schuld auf mich laden, daß ein Unterschied der Meinung einen Zank und eine Erbitterung unter uns erregen könne. Zuerst also von Geschäften, damit du nicht nöthig hast an Cotta zu schreiben. Dieser hat uns ganz die Einrichtung des Almanachs, Druck, Format, Drucker überlassen, dieses habe ich dir sogleich geschrieben, um es dir wieder zu überlassen, weil mir dergleichen ungemein gleichgültig ist; daß Cotta erst ihn hat bei Frommann drucken lassen wollen, weist du so gut als ich, mit diesem hatte er auch schon Abrede genommen, Frommann hat schon Papier dazu liegen, u. s. w., doch wollte uns Cotta nicht geniren, ich sagte ihm sogleich, es sei mir gleichgültig, du hättest diese Sache zu besorgen, und wir sprachen überhaupt nur wenige Worte darüber. Es ist nun wohl am besten, daß Frommann ihn druckt, wohl mit lateinischen Lettern, oder wie du willst. Dies ist die Sache. Du bist beim Drucke wohl selber in Jena, der Aufsicht wegen; doch will ich dir damit nicht wieder [2] einen Reisevorschlag gethan haben, ob du gleich immer gesagt hast, du wolltest nach Jena reisen, so gut wie es ein Versprechen von dir war, über Dresden nach Jena zu gehn, was du nicht mir allein, sondern auch deiner Schwester in Briefen versprochen hast, so daß sie alles für dich in Stand gesezt hat. Dies hast du vergessen, und findest nun meinen Vorschlag burlesk, hieher zu kommen, um über die Anordnung die lezte Abrede zu nehmen, wie es unter uns ausgemacht war. Und wäre denn dies eine Zeitverschleuderung, herzukommen? Wir haben uns nicht lange in Berlin gesehn, weil du auch 2 Monathe später kamst, als du versprochen hattest, und hier, der du doch soviel davon hälst, könnten wir manche Studien machen, zu denen du in dem einfältigen Berlin keine Gelegenheit hast, doch weiß ich freilich dein neues Werk nicht, und weiß nicht, welche du dazu nöthig hast. Sei nicht böse, ich habe nichts Arges dabei im Sinn. Wegen der Anordnung, so will ich sie dir gänzlich überlassen; das Wichtigste ist mir, daß die Ballade meiner Schwester, mit der Zauberei der Nacht den Tänzern und der Wonne der Nacht von Schütz zusammenhängend stehe, sie sind für mich Ein Gedicht, sonst wünsche ich, daß du die Romanzen nicht alle auf einen Haufen stellst, ich schicke dir von mir 2 Sonette, die vielleicht am schicklichsten nach deiner Canzone an Novalis gesezt werden, der Frühling ist von Carl Hardenberg und scheint mir der Aufnahme würdig, seine Schiffer kann ich unter den vorigen Gedichten nicht lesen, vielleicht weißt du sie noch. Die Geistlichen Lieder folgen, ich bin nicht ganz der Meinung, daß sie im Almanach stehn sollten, noch weniger sollte man aber die aus dem Afterdingen nehmen, es dünkt mir unheilig, – doch, wie du willst, ich will es dir überlassen, und es wäre überhaupt vernünftiger gewesen, wenn ich dich gleich hätte schalten lassen, ich tauge dazu nicht, und schlimm ist es vollends, wenn wir uns über Kleinigkeiten so mißverstehen können. – Ich bin jezt überzeugt, daß ich dir wegen des Handels mit Unger Unrecht gethan habe, Unrecht, dich aber gewiß nicht beleidigt, oder noch weniger gekränkt. Sollte ich dir nicht meine Meinung sagen, wenn sie für dich, oder überall nicht die rechte war? Ich hatte die Sache einseitig erzählen hören, ich hatte geglaubt, daß du hitzigerweise zuerst beleidigt hättest, u. s. w. Laß jedem [3] seine Art, es ist anders, und ich habe es nicht so gewußt. Wie du über die Uebersetzung denkst, ist schön und ziemt dir, aber der Haupt Antrieb ist doch dabei deine Liebe zum Shakspeare gewesen, daß du etwas dabei lerntest und zeigtest, du könnest dergleichen, war doch nur Nebenabsicht, und aus jener Hauptursache muß es dir wehe thun, wenn das Werk unterbrochen wird. – Giebt Fichte nicht ein Gedicht, wie du vor einiger Zeit sagtest? Willst du nicht die Sachen von Röschlaub aufnehmen? Oder das burleske Sonett von Bernhardi (welches nicht literarisch ist) diese habe ich im Verzeichnisse vermißt. Ich bin für alles dreies. Auch zum Theil der Schwachen wegen, welchen Ausdruck du auch ganz mißverstanden hast; denn giebt es, oder kann es für die andern einen poetischen Almanach oder dergleichen geben? Müste der eben zu Michaelis kommen? Eingebunden sein? u. s. w. – Auch meinen Tadel des Fortunat hast du ganz falsch genommen. Er kann nicht Bürgerisch im Styl genannt werden, dieses wäre etwas dumm, recht sehr, aber ich finde eine ähnliche unpoetische Willkühr wie in vielen Romanzen von Bürger, eine grosse Einheit im Colorit, in der Composition, aber mir liegt immer der Zweifel da wie bei manchen Gemählden, ob es existiren solle. Ich kann hierinn irren, aber darinn gewiß nicht, daß es die Empfindung nicht erregt, die du beabsichtigt hast, dieses Grauen, welches uns unmittelbar mit dem Universum auf dunkle Weise verknüpfen soll, es ist ganz gewiß nicht darinn, und ich kann dies so bestimmt sagen, weil um dies zu fühlen, bei einem Gedichte, das nicht Drama, oder grosses Epos, oder Naturgedicht ist, keine Stimmung, keine Kenntniß, selbst nicht die genaue Übersicht der Theile und ihres Verhältnisses nothwendig ist, es liegt in diesen Romanzen und Sagen etwas Tieferes zum Grunde, welches alles tingiren muß, und welches ich fühlen muß, ehe ich noch das Warum und Wie verstehe; dieses Warum ist in der Lenore von Bürger äußerst schwach, aber der Grundton ist schön drin, dieser fehlt im Fortunat gänzlich, und das Warum ist für mich nur scheinbar, es fehlt ihm der innerste Zusammenhang, du sprichst so bestimmt über dies Gedicht, und verachtest die Bewunderung, die dieses Gedicht nicht versteht und etwas andres bewundert. Damit gehst du ganz aus deiner poetischen Natur und dem Begriff eines Dichters heraus, du kannst sagen, welches deiner Werke dir das meiste Vergnügen gewährt, die meiste Arbeit gemacht, [4] oder dir selbst die meiste Poesie zugeführt hat, das braucht es aber für keinen andern zu sein, ja, das, was dich begeistert, darfst du durchaus nicht verstehn, denn sonst wäre der Urtrieb nur ein sehr bestimmter und verständiger, und du wärst recht psychologischer Dichter. Darum muß sich jeder Dichter, vollends während und bald nach der Arbeit, über sein bestes und schwächstes Werk irren können, oder er wäre kein Dichter; giebst du dies aber zu, so ist deine Aeußerung gegen dich selbst die unbilligste, doch nimm dieses als keinen fortgesezten Tadel, nur deine psychologische Erklärung hat mich geärgert. Was hat Friedrich damit zu thun? Wann hat die Veit solchen Einfluß auf ihn ausgeübt? Wer erkennt dich so schön, als er? Diese deine schöne Entwickelung und wie du darauf gerathen bist, könnte ich sehr gut psychologisch erklären, wenn ich wollte, ohne so sehr in die Irre zu gerathen. Wer sind denn aber diejenigen, die so ausschliessend jezt deine Werke fühlen und beurtheilen können? Ich möchte sie auch gern kennen lernen. – Für deine Aufmunterung und guten Rath danke ich recht im wahren Ernste, da er so gut gemeint ist. Du irrst dich aber in meiner Faulheit. Ich habe seit einem Jahr den 4ten Don Quixote übersezt, die 20 Sonette und andre Gedichte gemacht; ich führe die Sonette nur an, weil du sie für etwas hälst. Den Dreck von Streitschrift kann ich nun besser liegen lassen, ich habe dies Ding niemals für mich geschrieben. Übrigens laß mir meine Art; ich bin nie müssig, es ist mir von Gott verliehen, immer im Gemüth beschäftigt zu sein, ich weiß, was ich täglich lerne und anschaue: du lernst nur mit der Feder, oder mit einem Buche in der Hand, ich habe dies nie an dir verachtet, sei eben so billig gegen mich. Um aber davon zu sprechen, so habe ich viele Spanier gelesen, ich verstehe den Homer und Aeschylus jezt, ich sehe die Gallerie und die Antiken, laß dir dies fürs Erste genügen. Du hast ein Werk angefangen, worauf ich mich freue, ich habe seitdem wir uns sahen, sechs völlig entworfen, und die Ausarbeitung angefangen. Ich arbeite immer langsamer, und nehme es immer genauer, ich glaube daher, daß ich mich nie übereilen werde zum Druck. Und wann habe ich es gethan? Findest du aber welche von meinen Gedichten, die dir unwerth scheinen, in den Almanach zu kommen, so sage es mir gerade zu, ich will andre dafür schicken, ohne es dir übel zu nehmen, wenn sie mir auch gefallen sollten. Lebe wohl, und schicke mir den Afterdingen, den ich wirklich nöthig brauche.
L. Tieck.
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Metadata Concerning Header
  • Date: [Juni 1801]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 72‒75.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.70
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 22,8 x 19,1 cm
Language
  • German

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