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Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel, Sophie Bernhardi

[1] [Dresden, September 1802]
Schon längst, geliebteste Schwester, habe ich dir schreiben wollen, dir für deine Liebe danken, dir sagen, wie sehr ich dich liebe, und wie es mir weh thut, wenn Du jemals daran zweifeln könntest, wenn du verdrießliche Stimmungen, Mismuth und Melankolie, denen ich nur zu sehr unterworfen bin, anders auslegtest. Gedenke meiner mit derselben Liebe, wie ich an dich denke, so bin ich deines innersten Herzens gewiß. Wie geht es dir? Ich hoffe ziemlich wohl, und euch allen. Wie freue ich mich auf dies Frühjahr, wenn wir hier beisammen leben werden. Jezt habe ich dir wirklich nicht schreiben können, weil ich, seit ich hier angekommen bin, Tag und Nacht an den Papieren arbeite, ich habe schon einige Nächte durchwacht, so sehr zieht mich diese Beschäftigung an, auch ist es nothwendig, wenn der Druck noch vollendet werden soll. Ich freue mich, welchen schönen und tiefen Eindruck dir alle diese Sachen machen werden, ich bin so glücklich gewesen, ein Manuscript noch zu erhalten, welches schon verlohren geachtet war, die Lehrlinge zu Sais, und welches nach meinem Gefühl das Schönste ist, was er noch jemals ge[2]macht hat. Du wirst wahrscheinlich doch die Correktur-Bogen immer mit lesen, wenn sie Schlegel erhält. Im Oktober komme ich noch wieder auf einige Tage nach Berlin. Gott gebe dir nur Kraft und Gesundheit, und daß du glüklich alles überstehst. Wir hätten uns noch vieles zu sagen, und doch muß ich hier abbrechen, weil ich noch Schlegel einige Worte sagen wollte. Grüsse Bernhardi und küsse den kleinen Wilhelm.

Lieber Schlegel,
Wie geht es dir, theurer Freund? Ich habe gehört, daß du mit dem Stücke des Calderon schon fertig bist, vielleicht hast du auch schon die Amazonen weiter geführt. Von Nicolovius habe ich einen Brief, daß er das Spanische Theater nicht nimmt, ich trug es Mahlmann in Leipzig an, der ist auch nicht dafür gestimmt, wenn du doch einen Verleger finden könntest, so wollte ich es übernehmen, in diesem Winter noch ein Stück zu übersetzen, da du einmal einen so schönen Anfang gemacht hast. Schütz ist nun nicht gekommen, aber Rettel ist hier, dem ich auf jeden Fall den Tristan mitgebe, die übrigen Bücher laß [3] mir noch eine Zeit, solltest du aber ein und das andre recht nöthig brauchen, so sei doch so gut, mir darüber zu schreiben, ich will es dir dann auch noch mitschicken. Aufgehoben sind die Bücher gut, und ich lese sie fleissig. Den Tristan habe ich 2 mal durchgelesen, und ich denke auch noch mündlich mit dir darüber zu sprechen. Meine Idee bestätigt sich immer mehr, daß alle Historien der Tafelrunden mythisch festgesezt sind, so finde ich, daß Tristan ganz Leichtsinn, Liebe, Leidenschaft ist, die Abentheuer haben ordentlich etwas von Anekdoten, ich habe nun erst deine Kunst und Poesie im 1sten Gesange recht bewundern können, da ich gesehn, was du gefunden, und was von dir ist. Worüber ich aber nicht mit Dir einig sein kann, ist der religiöse Ton, ich weiß nicht, wie Du es mit der Hauptgeschichte wirst verbinden können? Ist Tristan in irgend einer Sage wirklich nach dem Graale geritten? Ich zweifle daran, und zweifle dann noch mehr, daß du es willkührlich hinzu dichten darfst: der Graal und Parceval sind eins, Tristan und Liebes-Abentheuer, in diesem Gedicht widerspricht alles dem Religiösen ja auf gewisse Weise ist Spott damit getrieben, wie bei dem artigen Doppelsinn der Feuer-Probe der Ysalde, wie [4] Tristan sich durch die Capelle rettet, so daß Gott ihm selber zum Ehebruch behülflich scheint: es ist zwar statt des Schicksals, eine moralische Beendigung da, indessen nur, wie in den Romanen sein kann, die von Liebe handeln, das Höhersteigen der Leidenschaft, und der Tod, als Tristan seinem Freunde in unrechtmässiger Liebe hilft, diese Moral auf der einen, der Liebestrank auf der andern Seite erregen wieder ein Unschuldsgefühl, wodurch die herrlichen Schilderungen und Erfindungen dem Gemüthe wohl thun. Bei solchen Stellen, wie sie beide in der Einsamkeit, in der wunderbaren Höle leben, bleibt dem neuen Dichter recht viel Spielraum übrig. Soll ich meinen Empfindungen trauen, so müste dies Gedicht aus den spätern von den Tafelrunden sein, doch widerspricht dem Heinrich Veldeck und andre Sänger: vielleicht war die ursprüngliche Gestalt doch anders. – Verzeih, liebster Freund, in Eil. – Sei doch so gut, die Correkturen des Novalis recht aufmerksam zu lesen. – Malchen läßt Dich, und Sophie und Bernhardi herzlich grüssen.
Ewig der Euerige
L. T.
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Metadata Concerning Header
  • Date: [September 1802]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel · , Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 115‒117.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.76
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,2 x 11 cm
Language
  • German

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