[1] Ziebingen, den 15ten Oktober [1802] Freitags
Geliebteste Schwester,
So eben bin ich in Ziebingen angekommen, und ich eile noch dir zu schreiben. Ich bin in der bedrängtesten Besorgniß um dich und um dein Wohlbefinden, darum schreib, oder laß mir sogleich schreiben, wenn es auch nur wenige Zeilen sind, wie es dir geht, ob dir keine Gefahr droht, ich ängstige mich Tag und Nacht um dich. Ich konnte nicht über Berlin reisen, und auch nicht eher hierher. Jezt denke ich aber etwa in 8 Tagen von hier abzureisen, so daß ich gegen Ende des Monats in B[erlin] bei dir bin, doch wünschte ich zu wissen, wann du deine Niederkunft rechnest, weil mich einige Arbeiten ängstigen, die ich fertig machen muß, und wozu ich noch nicht weiß, Muth und Lust zu ihnen zu finden. Sonst bin ich wohl, und meine Freude würde unaussprechlich sein, dich wohl zu finden, und dich wohl nachher zu sehn, so daß ich mit beruhigtem Gemüth B[erlin] verlassen könnte, und dann mit Liebe und Sehnsucht dem Frühling und deinem Aufenthalte bei uns entgegen sehn. Bis ich davon überzeugt bin, werde ich durchaus keine ruhige Stunde haben können. Ich träume auch in jeder Nacht von dir, und es ist, kann ich versichern, keine Minute, in der ich nicht mit Liebe an dich dächte. –
Die Marie Alberti wird im November nach B[erlin] kommen, hauptsächlich eigentlich, um dich mehr zu sehn, denn man kann fast sagen, daß sie dich anbetet, sie verehrt und liest die Märchen viel, und alles, was sie von dir kennt, es ist ihr eine grosse Freude dich zu sehn, und ich denke, du wirst sie auch freundlich aufnehmen, was sie so sehr verdient, da sie die Gutmüthigkeit selbst ist. Vielleicht findet [2] sie auch in B[erlin] etwas zu mahlen, was sie wünscht. Kann ihr Schlegel vielleicht nicht etwas verschaffen? Wenn es auch nur einige Portraits wären, sie hat grosse Fortschritte in der Mahlerei gemacht, und hat vorzüglich einen schönen Sinn für die Farbe. Marie bringt auch für Schlegel die gefoderten Bücher mit, den Ben Jonson, Folio, 2 Bände six old plays, und Dodsley 12 Bände, welches mir alles zuviel war und zu schwer, um damit den Umweg zu machen. – Lieber Schlegel, ist es dir Ernst mit dem Calderon, wie ich hoffe, so mache ich mich recht bald an Los manos blancas, keiner wünscht so sehr als ich, recht viel mit dir über solche Arbeit zu sprechen, und so danke ich dir fürʼs Erste für deinen lehrreichen Brief, ich werde wohl im Winter noch gut damit fertig und freue mich recht zu dieser Arbeit, auf die Devocion bin ich äusserst begierig, und hoffe, du giebst mir eine Abschrift mit, wenn du es nicht etwa noch herschicken willst, was mich sehr freuen würde. Von B[erlin] nehme ich dir dann aber auch mehrere Bände von Humboldts Calderone mit, worüber wir uns schon vergleichen werden. – Den Ulysses habe ich nur Einmal gelesen, und damals schien er mir nach dem Eindruck nicht zu den vorzüglichsten Werken zu gehören, doch irre ich gewiß, weil ich nur noch des Eindrucks mich erinnere und nicht der Poesie selbst. Damals sezte ich alle Stücke, die Calderone aus dem Alterthum genommen, in die 2te, wie die historischen Stücke in die 3te Classe, aber man muß eigentlich ein Gedicht des Calderon erst auswendig wissen, ehe man darüber urtheilen kann. – Es ist spät, ich bin von der Reise ermüdet, und breche hier ab, nächstens mehr. Wenn Du Reimer nicht sehn solltest, so grüsse ihn in [4] einem Zettel, vielleicht mit der Correktur, ich hoffe der Druck ist schon recht weit, die kleine Vorrede, an der ich nur noch einige Worte zu schreiben habe, erhält er von hier, mit der nächsten Gelegenheit; recht freuen würde ich mich, und ich bitte ordentlich recht sehr darum, wenn er mir gleich hieher noch die Aushängebogen schicken will. – Lebt wohl, ich grüsse Bernhardi mit euch allen, und ich hoffe, auch Roettel hat alle meine herzlichsten Grüsse an euch bestellt. – Lebe recht wohl, meine geliebteste Schwester, Gott behüte Dich, denke immer mit der Liebe an mich, wie ich an dich denke, lebe tausendmahl wohl, vielmals und mit der grösten Freundschaft grüßt Dich Malchen.
Dein zärtlicher Bruder
L. Tieck.
Geliebteste Schwester,
So eben bin ich in Ziebingen angekommen, und ich eile noch dir zu schreiben. Ich bin in der bedrängtesten Besorgniß um dich und um dein Wohlbefinden, darum schreib, oder laß mir sogleich schreiben, wenn es auch nur wenige Zeilen sind, wie es dir geht, ob dir keine Gefahr droht, ich ängstige mich Tag und Nacht um dich. Ich konnte nicht über Berlin reisen, und auch nicht eher hierher. Jezt denke ich aber etwa in 8 Tagen von hier abzureisen, so daß ich gegen Ende des Monats in B[erlin] bei dir bin, doch wünschte ich zu wissen, wann du deine Niederkunft rechnest, weil mich einige Arbeiten ängstigen, die ich fertig machen muß, und wozu ich noch nicht weiß, Muth und Lust zu ihnen zu finden. Sonst bin ich wohl, und meine Freude würde unaussprechlich sein, dich wohl zu finden, und dich wohl nachher zu sehn, so daß ich mit beruhigtem Gemüth B[erlin] verlassen könnte, und dann mit Liebe und Sehnsucht dem Frühling und deinem Aufenthalte bei uns entgegen sehn. Bis ich davon überzeugt bin, werde ich durchaus keine ruhige Stunde haben können. Ich träume auch in jeder Nacht von dir, und es ist, kann ich versichern, keine Minute, in der ich nicht mit Liebe an dich dächte. –
Die Marie Alberti wird im November nach B[erlin] kommen, hauptsächlich eigentlich, um dich mehr zu sehn, denn man kann fast sagen, daß sie dich anbetet, sie verehrt und liest die Märchen viel, und alles, was sie von dir kennt, es ist ihr eine grosse Freude dich zu sehn, und ich denke, du wirst sie auch freundlich aufnehmen, was sie so sehr verdient, da sie die Gutmüthigkeit selbst ist. Vielleicht findet [2] sie auch in B[erlin] etwas zu mahlen, was sie wünscht. Kann ihr Schlegel vielleicht nicht etwas verschaffen? Wenn es auch nur einige Portraits wären, sie hat grosse Fortschritte in der Mahlerei gemacht, und hat vorzüglich einen schönen Sinn für die Farbe. Marie bringt auch für Schlegel die gefoderten Bücher mit, den Ben Jonson, Folio, 2 Bände six old plays, und Dodsley 12 Bände, welches mir alles zuviel war und zu schwer, um damit den Umweg zu machen. – Lieber Schlegel, ist es dir Ernst mit dem Calderon, wie ich hoffe, so mache ich mich recht bald an Los manos blancas, keiner wünscht so sehr als ich, recht viel mit dir über solche Arbeit zu sprechen, und so danke ich dir fürʼs Erste für deinen lehrreichen Brief, ich werde wohl im Winter noch gut damit fertig und freue mich recht zu dieser Arbeit, auf die Devocion bin ich äusserst begierig, und hoffe, du giebst mir eine Abschrift mit, wenn du es nicht etwa noch herschicken willst, was mich sehr freuen würde. Von B[erlin] nehme ich dir dann aber auch mehrere Bände von Humboldts Calderone mit, worüber wir uns schon vergleichen werden. – Den Ulysses habe ich nur Einmal gelesen, und damals schien er mir nach dem Eindruck nicht zu den vorzüglichsten Werken zu gehören, doch irre ich gewiß, weil ich nur noch des Eindrucks mich erinnere und nicht der Poesie selbst. Damals sezte ich alle Stücke, die Calderone aus dem Alterthum genommen, in die 2te, wie die historischen Stücke in die 3te Classe, aber man muß eigentlich ein Gedicht des Calderon erst auswendig wissen, ehe man darüber urtheilen kann. – Es ist spät, ich bin von der Reise ermüdet, und breche hier ab, nächstens mehr. Wenn Du Reimer nicht sehn solltest, so grüsse ihn in [4] einem Zettel, vielleicht mit der Correktur, ich hoffe der Druck ist schon recht weit, die kleine Vorrede, an der ich nur noch einige Worte zu schreiben habe, erhält er von hier, mit der nächsten Gelegenheit; recht freuen würde ich mich, und ich bitte ordentlich recht sehr darum, wenn er mir gleich hieher noch die Aushängebogen schicken will. – Lebt wohl, ich grüsse Bernhardi mit euch allen, und ich hoffe, auch Roettel hat alle meine herzlichsten Grüsse an euch bestellt. – Lebe recht wohl, meine geliebteste Schwester, Gott behüte Dich, denke immer mit der Liebe an mich, wie ich an dich denke, lebe tausendmahl wohl, vielmals und mit der grösten Freundschaft grüßt Dich Malchen.
Dein zärtlicher Bruder
L. Tieck.