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Dorothea von Schlegel to Carl Gustav von Brinckmann

Ich eile Ihren Brief zu beantworten lieber B[rinckmann]! und Sie zu bitten doch ja, jede Idee von Mißtrauen, vom aufhören der Freundschaft zu entfernen; wenn Sie mich recht kennen, so muß eben das, daß ich Ihnen alles so <platt> aufrichtig schrieb, ein Beweis meines Zutrauens, und der Fortdauer meiner freundschaftlichen Gesinnungen gegen Sie sein! stoßen Sie sich nicht an dem freilich etwas bittern Ton meines Briefes, es war nur mein Ton, meine Meinung war gewis nicht bitter; – nehmen Sie nur dieses mal diese Entschuldigung aller Dummköpfe, es nicht so böse gemeint zu haben. Sein Sie ruhig über die unangenehmen Folgen jeder Art, die jene fatale Geschichte hätte nach sich ziehen können, auch in Ansehung Ihrer haben Sie gar keine üble Folgen zu befürchten, ich habe mich sehr gehütet, etwas zu Ihrem Nachtheil gegen die Strelitzer zu erwähnen; und Sie können es mir auf mein ehrliches Wort glauben, daß Sie in S.[trelitz] und bei allen Ihren Freunden, noch eben so gut als vorher, accreditirt sind; auch haben Sie Unrecht, wenn Sie darum die Korrespondenz mit meiner Schwester Rahel abbrechen wollen; sind Sie ihr etwan eine Antwort schuldig geblieben? schreiben Sie doch ja recht bald, ich versichere es Ihnen, daß ihre Briefe so erfreuend und so wohl werden aufgenommen werden, als vorher; ich habe eigentlich weiter nichts über Sie hergehen laßen, als „wenn B.[rinckmann] so etwas von mir erzählt oder sich hat merken laßen, so weis ich nicht wo er es her hat; vertraut habe ich ihm dergleichen nie.“ das war alles. Das Alles ist ja aber schon so längst vorüber lieber B.[rinckmann] Unglück hat die Geschichte niemals nach sich ziehen können; es ist hier überall gar kein Unglück; vielleicht einige Unannehmlichkeit, aber das ist Alles vorbei, man denkt nicht mehr daran; und wenn dies die Ursache war, warum Sie uns in ein ganzes Jahr nichts von sich haben hören laßen, so haben Sie sehr Unrecht! wenigstens kann ich Ihnen versichern, daß ich gar nicht eine Erklärung von Ihnen erwartete; ich würde Ihnen schon längst wieder geschrieben haben, wenn ich eine sichere addreße an Sie gewußt hätte. Und nun genug von der Geschichte! ich schreibe nun nicht ein Wort mehr davon! in dem Jahre daß unterdeßen verfloßen ist, habe ich so manches zugelernt, und unter andern auch die maxime angenommen, daß man niemals, über solche Dinge schreiben muß; und überhaupt nichts von Gefühlen <oder Meinungen>, über denen sich streiten läßt; es giebt nur dreierlei Dinge über denen man sich schreiben kann, daß sind entweder Geschäfte, oder gelehrte Materien, oder platt erzählte Begebenheiten; keine Fragen, keine Erklärungen, keine Auseinandersetzung der Gefühle! wobei so vieles mißverstanden werden kann, wobei so vieles auf Blick und auf Ton der Stimme ankömmt, hätte ich Ihnen damals Alles sagen können, statt es schreiben zu müßen, so würden Sie gewis nicht so viel Bitteres und Scharfes darin gefunden haben; man schreibt in einer gewißen Stimmung, und der andere ließt in einer ganz verschiednen; und ehe sich dieser mit aller Mühe, in des andern Laage und Stimmung hinein denkt, um genugthuend zu antworten, ist bei jenen alles verschwunden, die Scene hat sich verändert, und nun ist ihm die Antwort befremdend! Sie befürchten, daß dieses Mißverständnis (wie Sie es nennen) mich zurückhaltender gegen Sie machen würde; aber Sie irren sich; ich begreife nicht, wieso es kömmt daß ich Sie seitdem mehr als je, schätze; es ist mir, als ob eine Hülle zwischen Ihnen und mir wäre hinweggenommen worden. Die gewiße Art von Guthmüthigkeit gab ich Ihnen immer Schuld, ohne daß ich Gelegenheit gefunden hätte, Sie deßen zu bezichtigen; aber nun, da Sie es wißen, da Sie wißen, von welcher Seite Sie sich, und mich, hüten müßen, ist es mir, als könnte ich aus freierer Brust mit Ihnen reden.
Daß Sie Ihre Mutter verloren haben guter Brinkman! Hier sagte man im Anfang, Ihr Vater sei gestorben, und daß hielten wir Alle für recht gut für Sie. O lieber Freund! Ihre Mutter! wenn sie ihren Tod geahndet hat, wenn sie es wußte, daß sie ihren Sohn nicht mehr sehn wird, so ist sie schrecklich gestorben! – seitdem ich Mutter bin, kann ich nicht mit Ruhe am Tode denken – Rousseau hat das mütterliche Herz nicht gekannt! mit Aufopferung seines Lebens, dem Kinde das Leben retten, ist natürlich, welche Mutter kann in einen solchen Augenblick, überlegen? aber mit Ruhe aus ihrer Mitte scheiden? die Unmündigen Lieben auf ewig, mit Ruhe verlaßen? das glaube ich nicht, daß kann nie sein. Auch Sie bedaure ich lieber Freund! Sie müßen sehr beim Tode Ihrer Mutter gelitten haben; aber kindliche Liebe ist nur Schatten, gegen die Liebe der Mutter zu ihren Kindern. Ich war eine kurze Zeit betäubt, und Sinnlos, da mein großer, mein geliebter Vater starb! doch stiller, Gesundheit nagender, drückender Gram verlies mich nicht, da mir mein Erstgebohrner starb; ein Säugling, deßen existenz mit der meines Vaters in gar keinen Vergleich zu bringen war, und doch! – Diesen 21. September habe ich der Welt noch einen Sohn geschenkt; und nun werden Sie es erst recht platt bei mir finden, wenn Sie herkommen, ich bin fast beständig in die Kinderstube, und es ist kein vernünftiges Wort mehr mit mir zu sprechen. Meine Schwester Jette ist seit den September hier, und vielleicht finden Sie sie noch hier. Daß was Sie von ihr sagen, ist sehr wahr, es ist schwer mit ihr umgehen! Bei unserer Herz werden Sie manches verändert finden, wenn man anders eine ewige Wiederhohlung gewißer Auftritte Neu nennen kann; wenn Sie das nicht verstehen, so müßen Sie Geduld haben, bis Sie es selbst hören und sehen können. Sie ist ein ganz eignes Wesen die Henriette! man kann sie troz aller ihrer Fehler und troz der gêne die ihre Freunde ausdauern müßen, doch nicht verlaßen! Die berühmten Freitags Abende bei H[erz] dauern noch immer fort; aber sie werden jezt so entsetzlich enuyant, daß ich ernsthaft Anstalten machen will, um mich von diesen Club los zu machen. Stellen Sie sich vor, H.[erz] führt die Leute mit keinen andern Worten zusammen als: „Der Herr . .. auch ein großer Kantianer!“ und wenn er dann so recht viel zusammengehezt hat, den können Sie sich den Lärmen denken! Und unter dieser Philosophen Hetze müssen wir Frauen den sitzen, und hier und da kömt wohl einer, der sich unter unsern Schutz begiebt, aber wir dürfen nicht ein Wörtchen reden, wir würden die Philosophie profaniren; kurz – man konnte Spaldingen (der vorigen Freitag da war) die Langeweile vom Gesicht lesen; und das ist doch sonst ein Mensch, der gegen jeder Langeweile undurchdringlich ist. – mit der Fränkel bin ich jezt recht sehr oft zusammen; sie ist ein liebenswürdiges fein fühlendes Geschöpf! man muß Fränkel sein, um den Muth zu haben, dies liebe Weib zu mißhandeln. Humbold lebt den ganzen Winter auf das einsame Landgut seiner Frau – vielleicht wißen Sie es schon, daß Genz ihn besucht hat – er soll unbeschreiblich glücklich sein – wie könte er auch anders? so ganz ohne äußern Zwang, sich selbst überlaßen, und mit einem Weibe, die so liebenswürdig ist, und ihn so liebt: die grade Geist genug zu haben scheint, den seinigen zu faßen, aber nicht so viel, um sich selbst zu behaupten, und dies muß gerade dem Humb.[oldt] recht sein, sonst würde seine Eitelkeit zu sehr gekränkt werden. Möchte er immer gleich glücklich bleiben!! ich hätte Ihnen noch so manches über mich, über unsre Freunde sagen können, aber ich will es auf einen andern Posttag ersparen; ich will eilen Ihnen jezt diesen Brief zu überschicken (an den ich nun schon 5 Tage schreibe, so oft werde ich gestört) um Sie zu überführen, daß ich die Tugend noch immer besitze, die Sie einst an mir schätzten; nemlich die, nicht böse zu werden mit meinen Freunden; behüte mich mein Gott für diese Frauenhaftigkeit! ich verdiente es dann eben so wenig, Freunde zu haben, als der größte Theil meines Geschlechts. Möchte doch Ihr König, (deßen Heldentugenden ich so sehr verehre) möchte er doch seinem Lorbeer die Eichenkrone beifügen, die Bürgertugend ausüben, Wort zu halten, und Sie lieber B.[rinckmann] bald ihren Freunden im südlichen Theil Europens wiederschenken wir freuen uns alle sehr auf Ihrer Zurückkunft, sein Sie des versichert! ich erwarte aber doch noch Briefe vorher von Ihnen. Leben Sie wohl.
Ihre Freundin B. Veit, geb. Mendelson.
Die kleine Levi läßt Sie recht herzlich durch mich grüßen.
Meine Schwester Jette empfiehlt sich Ihnen bestens.
Spalding durch den ich wieder ein Blättchen von Ihnen erhielt, daß in der Herz ihren Brief eingeschloßen war, hat mich versichert, daß ich die addreße die er mir angegeben hat brauchen müßte, wenn Ihnen mein Brief richtig abgegeben werden sollte; ich mache also Gebrauch davon, weil Sie Spaldingen später die addreße gegeben haben, als mir. sollte es Ihnen aber nicht recht sein, so geben Sie mir die Schuld nicht. Spalding hat die ganze Schuld. Adieu lieber Freund, vielleicht schreibe ich Ihnen bald wieder.
  • Schlegel, Dorothea von  Freundschaft  bekräftigen  Brinckmann, Karl Gustav von
  • Schlegel, Dorothea von  tadeln  Brinckmann, Karl Gustav von
  • Schlegel, Dorothea von  Kommunikationsstörung  beklagen  Brinckmann, Karl Gustav von
  • Gentz, Friedrich von  Begegnung  Humboldt, Wilhelm von
  • Varnhagen, Rahel  grüßen  Brinckmann, Karl Gustav von
  • Varnhagen, Rahel  grüßen lassen  Schlegel, Dorothea von
  • Mendelssohn, Henriette  grüßen lassen  Schlegel, Dorothea von
  • Mendelssohn, Henriette  grüßen  Brinckmann, Karl Gustav von
  • Brinckmann, Karl Gustav von  Brief  senden  Schlegel, Dorothea von
  • Brinckmann, Karl Gustav von  Brief  senden lassen  Spalding, Georg Ludwig
  • Brinckmann, Karl Gustav von  Brief  senden lassen  Herz, Henriette
  • Schlegel, Dorothea von  Begegnung  sich freuen  Brinckmann, Karl Gustav von
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 25. Dezember 1791
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Unbekannt ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 34‒37.
Manuscript
  • Provider: Universitätsbibliothek Lund
Language
  • German

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