Single collated printed full text with registry labelling

Friedrich von Schlegel to Novalis

Lieber Hardenberg,
Es war ein Gedanke, der gar nicht ausgeführt werden konnte, daß Du hofftest incognito in Wittenberg oder gar in Göttingen seyn zu können. Du hättest besser gethan, uns allen gleich die Sache zu schreiben, wie sie ist, jedem, soviel ihm anvertraut werden konnte. Wir hätten alsdann das Stadtgespräch lenken können. – Doch ist noch nichts versäumt: bekannt ist die Sache einmal, und wir können nicht vermeiden, davon zu reden und zu hören. Es ist unmöglich hiebey, Deinen Vater zu schonen – ich wenigstens werde nicht mich entbrechen können, zu sagen, was ich denke. – Und so hat denn das wohl weiter nicht so sehr viel auf sich. Du vermeidest L.[eipzig] wo möglich auf lange Zeit; alles wird vergessen, und wo das nicht ist, muß sich doch mit der Zeit alles von selbst in den gehörigen Gesichtspunct setzen. Ich rathe Dir an alle Deine hiesige Freunde etwas von der Sache mitzutheilen. – Du schreibst, Du würdest mich vielleicht bald hier sehen – dieß widerrathe ich Dir ganz. Hast Du wichtige Ursachen, so bitte ich Dich bey mir zu logieren, und rathe Dir incognito hier zu seyn, welches ich bey mir sehr gut machen kann. – Kannst Du es aber einrichten daß ich in Witt.[enberg] bei Dir logiere, und mir es nicht theuer kommt, so will ich etwan acht Tage bei Dir zubringen: falls dieß nicht geht, doch wenigstens einige Tage im Wirthshause. – Lieber Freund! Ich habe Deine Erlaubniß anticipirt; Carlowitz habe ich fast alles Historische aus Deinem Briefe vorgelesen, auch mit dem Consul habe ich darüber geredet. – Was man in den Cirkeln davon spricht, kann ich Dir nicht sagen. –
Alles, was Du gethan hast, billige ich ganz vollkommen. Man kann Dir gar nichts vorwerfen, als daß Du hier dennoch nicht so viel davon hättest reden sollen – daß Du von jeher vermuthlich Deinen Vater nicht mit Klugheit behandelt hast – und daß Du itzt die Sache so lange geheim gehalten. – An Brabant hatte ich auch gedacht; Dein Brief nach Dr.[esden] war mir eine neue Bestätigung meiner Vermuthung. So giengs freilich nicht. Aber wie konnte es Dir an dem wenigen Gelde fehlen? – So sind Deine reichen Feunde alle zusammen, nicht einen Schuß Pulver werth.
Ich freue mich sehr, daß in Deinem Briefe auch kein Wort des Unwillens über Deinen Vater ist. – Ich hätte gewünscht, Du wärest darüber noch umständlicher gewesen, damit ich besser urtheilen <könnte>. Was ich von ihm denken muß, wirst Du wohl nicht sehr geneigt seyn zu hören. Ich halte dafür, daß sein Betragen gar nicht gerechtfertigt werden kann. – Der kindische alte Mann hat hier in Auerbachs Hofe, einem Cirkel alter Herren erzählt, Du hättest eine Bürgerliche, die Schwester einer hiesigen Kaufmannsfrau heyrathen wollen. Er hat mit der größten Leidenschaft und beständigem Fluchen von Dir geredet.
Doch, Bester, das alles sind ja eigentlich Dinge, die kaum der Aufmerksamkeit und so vieler Worte werth sind. Ich hätte eine weit höhere Pflicht, den wichtigsten Theil Deines Briefs zu beantworten. Aber bis ietzt übersteigt es meine Kräfte noch ganz, mit Dir das Labyrinth Deiner Leidenschaft, Deines innern Daseyns zu durchforschen. Ich kann nur sagen: daß ich Entschlüsse einer männlichen Fassung sehe, die gewiß den Sieg davon tragen werden. Du bist in fürchterlicher Bewegung; Du mußt Dich den Schwärmereyen entreißen, Du bist auf dem Wege Deinen Kopf und Herz zu zerstören. Laß Dir gesagt seyn, daß kalte Besonnenheit, Muth, Verstand und Ordnung, das ist, nach dem Du ietzt streben mußt. Schmidt hat Dir vortreflich gesagt: Du mußt ein Mann seyn, und Du kannst es auch. – Zerstreuung rathe ich Dir nicht an, vielmehr Einsamkeit, wenn Du nichts findest, was Dich wirklich beschäftigt – so wie gewiß ist, daß Du der Frau viel zu danken haben magst, wenn es nicht zu früh gekommen, und Deine Unruhe vermehrt hat. – Ich fühle sehr gut, daß alles das ganz flach ist, was ich Dir da sage. Vielleicht kann ichs besser, wenn Du mir itzt recht viel und recht oft schreibst, und zwar so viel Dir nur möglich ist, Thatsachen aus Deinem Innern, und Deiner Leidenschaft. Von der letzten weiß ich eigentlich noch so wenig! – Gesetzt auch meine Briefe befriedigten Dich fürs erste sehr wenig, so hoffe ich doch, daß ich nach kurzer Zeit das würde nachholen können. Am besten ist es, daß ich Dich sehe, und dieß kann bald und sehr füglich geschehen. Denn ich bin itzt frey; meine Eltern haben endlich nachgegeben. Meinen ganzen Plan Dir mitzutheilen, diese Freude behalte ich mir selbst vor. Nur dieß – ich bin sehr glücklich dadurch; es wird Dich freuen, mich fröhlich und heiter zu finden. Das war ich doch lange nicht!
Noch einmal Bester! empfehle ich Dir Besonnenheit. Es ist ein großer Ruhm, bey allem Sturm um uns und in uns unser Selbst nicht zu verlieren, das <ächte> Zeugniß des Mannes. Und unser Entschluß wirkt viel dazu.
Dein treuer Schlegel
Bolschwing ist krank. Willst du mir Deine Verbindung mit der Haugk nicht erklären? – Es geht oft so, daß Du mir erst dann etwas anvertrauest, wenn ich es auf dem Caffeehause höre. –
Wir könnten uns auch in Halle [treffen]. Pfingsten gehe ich vielleicht mit Schw[einitz] nach Wörlitz. Antworte also bald.
Schreib ja bald, ich werde dann mehr und besser schreiben. Es geht mir heute viel im Kopfe herum; ich habe die freudige Botschaft eben erhalten.
  • Schlegel, Friedrich von  Gerücht  beklagen  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Begegnung  planen  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  mitteilen  Carlowitz, Hans Georg von
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  mitteilen  Limburger, Christian
  • Schlegel, Friedrich von  loben  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  tadeln  Hardenberg, Heinrich Ulrich Erasmus von
Metadata Concerning Header
  • Date: Mitte Mai 1793
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Wittenberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 93‒95.
Language
  • German

Weitere Infos ·