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Friedrich von Schlegel to Novalis

Auf Dein Verlangen werde ich nicht mehr von Deinem Vater sprechen, und auf Dein Wort will ich in mein Urtheil, ein Mistrauen setzen. Aber wenn ich anders denken soll, so siehst Du wohl ein, daß Du mir mehr von ihm, und Eurem Verhältnisse sagen mußt. Denn bis dahin kann ich in meinem Innern nicht anders von ihm denken – wenn ich auch alle Möglichkeiten durchlaufe, die ihn rechtfertigen könnten – als daß er nicht versteht, Dich zu erziehen, daß er nicht werth ist, Dein Vater zu seyn. –
Mit ihm hieher zu kommen, widerrathe ich Dir aufs höchste; es würde sehr schädlich seyn. Uebrigens aber hoffe ich nicht, daß das Geschwätz, was so arg auch nicht seyn wird, und wenigstens bald zu dämpfen ist, Deinen Muth niederschlagen könnte. Doch hat es damit wohl keine Noth, wenn Du nur die Schmerzen Deiner Liebe wirst tragen können. Lieber Freund! Du wirst sicher <noch> glücklich werden; übersiehe nur die schönen Kräfte Deiner Seele, die Fülle Deiner Einbildungskraft, die Schnellkraft Deines Herzens, die Leichtigkeit Deines Verstandes; und was weit mehr ist, alles das, was zum edlen Manne reifen wird – der Glauben, die schuldlose Zuversicht auf Dich und die Natur, die warme Ehrfurcht für alles Große. Du giebst Dich so offen hin, und weißt den andern so rein aufzunehmen, daß es eine Wollust ist, in Deinem Herzen zu wohnen. Auch die Sünder ahnden dieß in Dir, und drängen sich um Dein Herz. – Verjage den holden Leichtsinn nicht daraus, der sich auch mit großen Dingen vertragen kann. Vielleicht hilft er Dir, um die Verwirrung zu lösen, die Du <doch> sehr leicht wirst lösen können. Du wirst itzt zeigen können, daß wir Recht haben; – und Du genießest das schönste Glück, Du handelst nicht allein, es wird von Einigen, was Du thust, ganz erkannt werden. Ja! Du bist itzt schon glücklich – wenn Du Dich und uns nicht täuschest! Wenn Du <wirklich> so liebst! Du lebst, die andern athmen nur. Was kann das Schicksal gegen dieß Gefühl? Trennen, zerstören, des Irrthums zeihen? O! darüber hat die Natur keine Gewalt, denn was bedarf eine solche Liebe? Ist sie nicht in sich selbst alles? und niemand kann sie Dir rauben. – Wie viel glücklicher Du, als ich! Ich wäre, auch glücklich, arm geblieben, denn meine Liebe war kleiner, als ich.
Und zudem bist Du nicht itzt, und mußt Du es nicht seyn, zufrieden mit Dir selbst? Du hast Dich selbst nicht verloren – das ist genung. Wenn Du auch nicht fühltest, daß sich die Männlichkeit in Deiner Brust anmeldet – ich würde es sehen an Deinen Handlungen. Sie nahet sich Dir ernst, aber doch milde. Mir nahte sie schrecklich – der erste Gedanke des jungen Mannes war Selbstmord, der zweite ein andrer schrecklicherer Mord.
Ich danke Dir, daß Schweinitz und Carlowitz so in Deinem Andenken stehn. Sie verdienen es. Ich weiß nicht, wodurch sie Ansprüche auf Deine Dankbarkeit haben – aber Ihr alle habt sie an mir, meine Brüder, die ich mir selbst wählte, und von denen ich nicht lassen werde.
Deine Gedichte in der Thalia habe ich mit vieler Theilnahme gelesen; es könnte mir aber beinahe misfallen, daß Du Gedichte solchen Inhalts drucken läßt.
Bolschwing ist sehr krank. Ich ahndete, daß Du Dich in ihm irren mußtest: und vermuthlich hast Du Dich mit Deinem gewöhnlichen Glauben einem Intriguant und einer Coquetten Preiß gegeben.
Dein Schlegel
  • Schlegel, Friedrich von  tadeln  Hardenberg, Heinrich Ulrich Erasmus von
  • Schlegel, Friedrich von  loben  Novalis
  • Novalis  wertschätzen  Schweinitz, Hans Julius von
  • Novalis  wertschätzen  Carlowitz, Hans Georg von
  • Schlegel, Friedrich von  Freundschaft  bekräftigen  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Freundschaft  bekräftigen  Schweinitz, Hans Julius von
  • Schlegel, Friedrich von  Freundschaft  bekräftigen  Carlowitz, Hans Georg von
  • Schlegel, Friedrich von  Gesundheit  mitteilen  Bolschwing, Karl von
  • Schlegel, Friedrich von  tadeln  Bolschwing, Karl von
  • Schlegel, Friedrich von  tadeln  Eisenstück, Julie
Metadata Concerning Header
  • Date: Ende Mai 1793
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Wittenberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 95‒96.
Language
  • German

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