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Friedrich von Schlegel to Novalis

Lieber Hardenberg,
Ich danke Dir herzlich für Deine freundschaftliche Theilnahme. Ich sehe sehr wohl ein, daß Du mir nicht helfen konntest. Für ietzt bin ich aus der Verlegenheit, und reise morgen früh nach Hannover. – Wie ich [mir] aber bey meiner Zurückkunft, zu Michaelis, und in der Folge helfen würde, weiß ich noch nicht. Ich will Dich auch weiter mit allem diesem nicht peinigen – denn das müßte es Dich, bey der Gewißheit mir nicht helfen zu können. Daß ist das Schlimmste meines Schicksals, daß ich bey meinen Freunden betteln muß, oder doch sie peinigen, wenn ich nicht gar ihr Zutrauen verliere, wie es nur bey Carlowitz der Fall seyn kann. –
Wie ich hereingerathen bin, kannst Du Dir leicht erklären: Verzweiflung, Liebe – beleidigte Ehre, jedes allein wäre hinreichend es zu erklären. – Meine Lage ist schlimm; Du weißt, was mir Freundschaft ist, wie empfindlich ich hier bin, und fühlst also, wie peinigend alles das für mich ist, was ich oben anführte. Aber Du weißt vielleicht nicht von welchem Werth mir freie, reine Thätigkeit des Geistes für mich ist, und wie gänzlich sie gestört wird durch die ängstliche Besorgniß, daß über kurz oder [lang] meine Ehre unter dieser Betteley leiden könnte. –
Ich wünsche recht sehr, den versprochnen Brief recht bald zu haben, und bitte Dich ihn binnen hier und vier oder fünf Tage nach Hannover zu schikken (abz.[ugeben] bey dem Consistorialrath Schl[egel]), sonst möchte er mich nicht mehr treffen, und in diesem Falle addressire ihn hieher. Ich bleibe nur 14 Tage weg. Die Reise ist mir sehr plötzlich gekommen, ich bin sehr zerstreut, und habe diesen Nachmittag zu packen und manche andre Geschäfte. Deshalb erhältst Du nur diese flüchtige Zeilen.
Du hättest Dich aber [durch] diese kleine Beunruhigung nicht vom <ordentlichen> Schreiben sollen abhalten lassen. Es ist dieß überall eine wichtige Sache. Wehe dem, der eine ganz ungestörte Lage erwartet, um sein Daseyn zu genießen! Diese kleinen Sorgen müssen uns unsre große Bestimmung keinen Augenblick vergessen machen.
Meine <Bitte wegen> Schmidt nehme ich zurück: es müßte sich denn treffen, daß Du ihm doch schriebest, oder selbst sähest, wie es ja wohl bald geschehen kann, da Ihr nun so nahe seyd. An der Sache selbst liegt mir nichts, nur an dem Namen. Es sollte mir sehr leid thun, wenn ich vor künftiges Ostern mich meinen schriftstellerischen Arbeiten entziehen müßte. – Jacobi kennt meine Familie, und ich weiß nicht wozu ich ihn brauchen sollte. Mit Hohenthal ist <aber> kein Gedanken. Wie kannst du denken, daß ich einen academischen <Bekannten> ansprechen würde, da Du selbst es nicht bey einem ac[ademischen] Freunde thun möchtest. Lieber alles!
Schlegel
In höchster Eil. Sonnabends Nachmittags
Ich bitte bald zu schreiben
  • Schlegel, Friedrich von  Anteilnahme  danken  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Briefsendung  erwarten  Novalis
  • Novalis  Brief  senden  Schmid, Carl Christian Erhard
  • Novalis  Begegnung  Schmid, Carl Christian Erhard
Metadata Concerning Header
  • Date: zweite Julihälfte 1793
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Wittenberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 109‒110.
Language
  • German

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