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Dorothea von Schlegel to Rahel Varnhagen

Schönhausen den 4ten August 1793
Halten Sie mich wirklich für eine solche egoistin daß Sie glauben ein Kompliment daß Sie meinem Werth machten, stände mir für ein Zeichen Ihres Andenkens? Sie trauen mir würklich zu viel modernen Verstand zu; ich bin noch so veraltert daß mir die geringste Nachricht von Ihrem Wohlbefinden, das kleinste Zeichen Ihres Zutrauens tausendmahl mehr werth ist, als alle die hohe Meinungen die Sie von mir zu haben vorgeben. Ich bin recht ergrimmt auf Ihnen Rahle! damit Sie es nur wißen! Was? weil ich Ihren Rath, Ihren Trost jezt nicht bedarf, darum glauben Sie, Sie hätten nichts mehr mit mir zu thun? darum können Sie mich grade zu gehen laßen ohne sich um mich zu bekümmern? Wollen Sie denn durchaus nur Mitleid mit die Menschen haben? glauben Sie nicht daß ich Ihre Liebe, Ihre pure, klare, Liebe bedarf? Und liegt Ihnen den gar nichts an meiner Liebe? Unausstehliche Eigenliebe! – Unausstehlich! vier Wochen nach Ihrer Abreise habe ich erst erfahren daß Sie verreiset sind! – ich habe mich aber gerächt – bei Allen Menschen habe ich mich nach Ihnen erkundigt, und erkundige mich noch, und glaube Alles was sie mir erzählen, und bin immer grade zu der selben Meinung – und so habe ich denn allerhand erfahren – was ich gewiß beßer beurtheilt hätte, wenn ich die Nachricht nicht fremder indiscretion, sondern Ihrem Zutrauen zu danken hätte – ich gratulire meine liebe Rahel zum Eintritt in den großen Orden! Da ich alles durch dem Urtheil, und Vorurtheil andrer Menschen weis, so beurtheile ich Alles gewis sehr schief, und werde Alles schief beurtheilen, bis Sie so gütig sein werden, mich zu detrompiren, und mich selbst in Ihren Verhältnißen bliken laßen; Daran werde ich nun sehen ob Ihnen etwas daran liegt, von mir richtig beurtheilt zu werden. Alle mein Zorn hindert aber nicht, daß ich nicht bekümmert um Sie wäre – schreiben Sie mir doch selbst wie es Ihnen geht, und wie Sie sich befinden? bis jezt habe ich nur immer so vague Nachrichten; der eine sagt, sie wären gesünder, als Sie gern scheinen möchten, der andre Sie wären kränker als Sie scheinen; ich möchte wohl wißen was hieran ist? ganz simpel möchte ich gerne wißen ob Sie gesund und glüklich sind, aber so simpel antwortet mir kein Mensch; jeder glaubt wenn er von Ihnen spricht, so müßte es mit eine Spizfündigkeit geschehn. – Die Fraenkel ist jezt in Strelitz? wie findet sie sich? Sie wißen ja das Alles am besten. ich bedaure sie; sie hat es gemacht, wie jene Nation, die auch aus Leichtsinn, den Grazien auf Unkosten der Vernunft opferte, sie hat auch wie diese eine sehr gute Sache, zu einer sehr schlimmen gemacht. sie ist seit kurzen unerhört leichtsinnig zu Werke gegangen, und hat sich dadurch den Schritt den sie jezt thun will, sehr erschwert, ich habe wirklich gedacht, sie hätte sich schon längst aufs Beste vorbereitet; es ist aber Alles so in Unordnung, als wenn ihr die Geschichte sehr überrascht hätte. diese Unordnung in allem was sie hinterläßt, schadet nicht allein ihren Ruf, sondern was schlimmer ist, bewegt jezt den Mann, sie jezt sehr einzuschränken, und das ist für sie sehr fatal, sie wird es in Strelitz nicht aushalten, denn sie hat nicht einmal dafür gesorgt, einige von die Rakkers auf ihrer Seite zu bekommen, und nun macht man sich ein Verdienst beim Vater, sie recht sehr zu quälen. in Berlin mit ihren eingeschränkten Interreßen fertig zu werden, dazu ist sie nicht enthaltsam, und ekonomisch genug; ich bin recht sehr bekümmert um sie, denn kömt sie jezt wieder in Unordnung, so ist sie verloren. Die Geheimräthin Ephraim, scharmanten Andenkens, und der liebenswürdige Herr Fraenkel, reißen das arme Weib jezt herum, das es ein Jammer ist! die Erste hat ihrer Tochter in Hanover verboten sie nicht aufzunehmen wenn sie etwa hinkommen sollte. wie gefällt Ihnen das Weib? man muß es sich zum festen Grundsatz machen, mit bösen Menschen in keiner Art von Relation zu stehen – sie laßen das Rad der Begebenheiten nur dazu vor sich herum gehen, um das Häkchen zu finden, an den sie einen herunter reißen können. sie hat an Fraenkel erzählt daß Jeanette für die Fraenkel Sachen versezt hat, die sie hat wieder einlösen müßen, weil sie zu der Aussteuer gehörten. und das ist positiv nicht wahr. Die Fraenkel hat jezt durch ihre Unbesonnenheit, die Herz und mich unter Waßer gesezt, und hat sich auf unser gutes Schwimmen verlaßen, es ist nicht recht –! wenn es ihr nur zu etwas geholfen hätte, denn wäre es auch gut – aber ihre plauderey hat uns geschadet, und ihr nicht genüzt. Schreiben Sie mir doch liebe gute Rahel, was sie für Aussichten hat, und wie ihre dispositionen sind? halten Sie es nicht für bloße Neugierde daß ich danach frage? troz meinem entfernt halten, das in meinem Charakter liegt, intereßire ich mich lebhaft für sie. und wenn sie glaubt, daß ich jezt etwas für sie thun kann, so bin ich ganz bereit. – Ich bin noch immer in Schönhausen, und meine Sehnsucht nach einem beständigen Landleben, wird durch den jezigen Genuß nur immer noch stärker. etwas wird meine Fröhlichkeit doch niedergeschlagen dadurch, daß mein Kleiner jezt sehr am Zahnmachen leidet – Gott erhalte ihn mir, ich wüßte nicht wie ich seinen Tod (den ich doch alle Augenblik sehr nahe sehe) wie ich den ertragen sollte! adieu liebe Rahel, Sie haben Recht, auf meiner unaufhörlichen Freundschaft zu rechnen, aber laßen Sie mich diese Freundschaft, nicht durch zu große Vernachläßigung büßen.
B.
apropos ich habe die Humbold gesprochen, sie ist schön, und glüklich, dies macht sie nebst ihrer eignen Sanftmuth sehr liebenswürdig. über Humbold selbst, hätte ich aber gern laut aufschreien mögen, vor Mitleid – er kömt einen, ganz unter die Füße getreten vor. es ist Schade!
mein compliment an Mademoiselle Koch. meine Schwester Jette grüßt Sie von Strelitz aus. diesen Brief hat Catter mitnehmen sollen, er hat ihn aber nicht abgeholet, ich muß ihn also auf die Post schiken, weil ich ihn Ihnen nun schon einmal zu gedacht habe.
  • Schlegel, Dorothea von  tadeln  Varnhagen, Rahel
  • Schlegel, Dorothea von  Gesundheit  erfragen  Varnhagen, Rahel
  • Schlegel, Dorothea von  Gerücht  mitteilen  Pobeheim, Sophie von
  • Schlegel, Dorothea von  Gesundheit  beklagen  Veit, Philipp
  • Schlegel, Dorothea von  loben  Fränckel, Joseph Maximilian
  • Schlegel, Dorothea von  loben  Humboldt, Caroline von, die Ältere
  • Mendelssohn, Henriette  grüßen  Varnhagen, Rahel
  • Mendelssohn, Henriette  grüßen lassen  Schlegel, Dorothea von
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 4. August 1793
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Rahel Varnhagen ·
  • Place of Dispatch: Schönhausen (Elbe) ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 112‒114.
Language
  • German

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