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Friedrich von Schlegel to Novalis

Lieber Hardenberg,
ist es die Schwerkraft des irdischen Stoffes, die Erbsünde der Trägheit, die Dich gehindert hat, mir zu schreiben? oder der Zweifel, wohin Du Deine Freundschaft adressiren solltest, ob in die intelligible oder in die empirische Welt? – da Du vielleicht vermuthen könntest: ich hätte mir eigenmächtig zur ewigen Freyheit und zum Anschaun Gottes verholfen. Solches ist nicht geschehn, vielmehr habe ich die Ehre Dir <hiermit> zu versichern, daß ich noch athme und lebe; ja sogar will ich Dir im Vertrauen sagen, daß ich auch noch vorhanden bin; zwar nicht ganz aber doch Stückweise, wie immer bisher. – Also schreib nur wieder, und zwar an mein empirisches Ich, hier nach Leipzig in die Löwen-Apotheke. – Wenn Du Verzeihung erhalten willst von Dir selbst, so schreib mir genung, das heißt Alles. Mehr als Alles wäre es, wenn Du selbst auf einen Tag <oder ein paar> kommen könntest. Ich sollte nicht schon wieder wünschen und vermissen, da ich erst eine Woche mit meinem Bruder gelebt. Aber mir ist es unmöglich, Einen von dem Weltall abzureißen; ich lebe in Allen. –
Jetzt ist es ein Jahr, daß ich die unseelige Bekanntschaft machte, und von der innern Geschichte fast jedes Tages steht ein lebendiges Bild vor mir. Die Beschämung macht mich stark, und die Erinnrung kühn, da das Schicksal so viel glücklicher war, als sich erwarten ließ. Aber völlig dunkel ist noch der Ausgang. – Wie wird es nun wieder in einem Jahre seyn? – Vielleicht hörst Du dann meinen Ruhm aus unzähligen befleckten Mündern erschallen, oder Du trägst auch einen kleinen Flor zur Erinnrung an Deinen Freund. – Meine äußre Lage ist noch ganz dieselbe – Du mußt sie aus meinem letzten Briefe kennen; und sie ist so, daß selbst Deine alles verschönernde und belebende Einbildungskraft, sie nicht zum Wohnort der Freude und Ruhe würde schmücken und umschaffen können.
Dein Friedrich Schlegel.
Bolschwingen ist über Lauchstädt nach Curland zurückgegangen; man sagt kurz zuvor hätte ihm ein handfester Markthelfer einen sehr nachdrücklichen Gruß von Heinrich Kisten gebracht. –
Die L.[aura Limburger] scheint wieder ganz zum Consul herabgesunken. Sonst ist auch niemand um sie, so viel ich weiß. –
  • Schlegel, Friedrich von  Zeitverzug  beklagen  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  einladen  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Briefsendung  erbitten  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Begegnung  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  tadeln  Limburger, Laura
Metadata Concerning Header
  • Date: Anfang August 1793
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Wittenberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 114‒115.
Language
  • German

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