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Novalis an Friedrich von Schlegel

Lieber Schlegel,
Dein Brief trifft diesmal ungemein glücklich. Ich saß so eben auf meinem Kanapee in ziemlich heller Laune und überließ mich den süßen Eingebungen der Göttin Farniente. Ein paarmal war ich schon an Dir vorbeygestrichen – da kam er – der alte Kopf vorn am Eingang erfüllte mich mit heiligem Schauer, und an den Zügen der Inschrift erkannt ich den frommen Mann, der diese Blättergrotte dem Sohne der Lieblingstochter Jovis und der Nemesis der Freundschaft weihte. Erwartungsvoller stieg kein Reisender in die Wunderhöhle von Antiparos, als ich von Zeile zu Zeile in die Geheimnisse Deiner Wanderung. Umsonst – Das Orakel schweigt. Deine Augen funkeln mit überirdischem Glanz – und Deine Stirn taucht sich ins Göttliche – ich stehe neugieriger als je vor Dir. – – – Daß Du noch unter den Lebendigen bist, freut mich. Kann man Dich doch noch anfassen und fühlen Dein Fleisch und schlagen hören Dein Herz. Du trankst aus der Quelle der Durstigen – Du bist nun unersättlich. Das reißt Dich noch vielleicht aus den Banden der 4 Elemente – in denen es uns doch wohler seyn kann, als einer Intelligenz in ihrer Haut. Mich dauert Dein armes, schönes Herz. Es muß brechen, früh oder spät. Es kann nicht seine Allmacht ertragen. Deine Augen müssen dunkel werden über der schwindelnden Tiefe, in die Du hinabsiehst, in die Du den bezauberten Hausrath Deines Lebens hinabstürzest. Der König von Thule, lieber Schlegel, war Dein Vorfahr. Du bist aus der Familie des Untergangs. Jetzt kann ich Dirs sagen und wundre mich, daß Dirs Dein Bruder nicht sagt. Du wirst leben, wie wenig leben, aber natürlich kannst Du auch keinen gemeinen Tod sterben; Du wirst an der Ewigkeit sterben. Du bist ihr Sohn – sie ruft Dich zurück. Eine seltne Bestimmung hast Du bey Gott. Vielleicht seh ich nie wieder einen Menschen, wie Dich. Für mich bist Du der Oberpriester von Eleusis gewesen. Ich habe durch Dich Himmel und Hölle kennen gelernt – durch Dich von dem Baum des Erkenntnisses gekostet. – – –
Aber nun sag einmal, ist es denn nicht möglich, daß Du unter uns bleibst? – sind die feierlichen Worte der Weihung schon unwiderruflich ausgesprochen? – hat Dir schon Iris die Locke abgeschnitten? – mußt Du als Opfer sterben? Ich bitte Dich, antworte Dir selbst ohne Ueberspannung. Ich habe für die Schönheit Deiner Idee unendliche Ehrfurcht, aber ich weiß auch, daß das Leben ewig schön seyn kann. Erhalte Dich, wirf Dich der Natur in die Arme, sie hat Platz und Liebe genug für Dich. Mein ganzer Grund ist mein inniges Gefühl am Leben, mein Glaube und Zuversicht zu allen, was in mir und um mich ist – denn hier weiß ich jetzt sonst nichts von Recht und Unrecht. Freylich kann ich Dir keine solche Theilnehmung einflößen, wie ich an allem Menschlichen habe, mich nicht auf die Verjüngungskraft Deiner Natur berufen, nicht auf den sichtbaren Gang einer himmlischen Ordnung und Nemesis in Deinem Leben – aber wer weiß, wie nahe Dir ein solcher Augenblick des Zurücksehns ist – So hätt ich doch vielleicht einmal wahr gedacht und gesprochen.
Dein Geist kann unmöglich lange mehr diesen Aufruhr Deines innern Lebens ertragen. Alles klingt tief bey Dir hinab – Deine Erscheinung lößt sich in sich selbst auf. Deine herrlichen Kräfte müssen erlahmen – Fürchtest Du Dich nicht vor dem Pflanzenleben? Ich fürchte mich nicht, aber ich erkenne hier nicht meinen, noch Deinen Beruf. Kann Dich denn das Leben gar nicht fesseln? Mußt Du Deine arme Hülle zerreißen? Du verschwendest in Minuten, wovon Du jahrelang zehren könntest. Unbefriedigt wirst Du von allem zurückkehren und tödlich krank.
Ich erwarte geduldig, ob Du für gut finden wirst, mir etwas Näheres von Deiner Reise zu sagen. Die gänzliche Ungewißheit hinderte mich an Dich zu schreiben. Uebrigens wußt ich auch wenig – Mir gehts hier recht wohl; Ich habe alle Ursache zufrieden zu seyn und bin auch jetzt in einer glücklichen Ruhe. Ich freue mich jetzt über alles, aber mit meinem Schöndenken und Schreiben ists jezt vielleicht auf immer vorbey. Ich hoff es wenigstens von ganzem Herzen. Seitdem ich wieder von Leipzig zurück bin, hab ich keine zehn Blätter gelesen. Dafür bin ich jezt tüchtig fleißig, und nehme Antheil an manchen frohen gesellschaftlichen Stunden. Meine Geschwister brauchen nach dem Tode meines Vaters auch einen Vater. Diese häusliche Familienbestimmung ist ganz die Meinige. Diese Lebensart bekommt mir wie Bergluft. Tausendmal stärker, inniger und frischer, als sonst. Wir trennen uns, wie Abraham und Loth. Du gehst nach Aufgang der Sonne; ich den gewöhnlichen Weg nach Westen zu. Uns beyde aber trägt der unendliche Vater am klopfenden Herzen, wenn wir unsere Kraft brauchen, so weit es gut ist und schön, und er selber läßt uns himmlische Freyheit – Fliehe nicht aus diesem Zeitpunkt des Nordlichts und ergreife nicht in der Blüthe Deines Lebens den Hammer der Zerstörung. Mir gefällts doch hier unter dieser Sonne. Du kannsts nirgends besser finden, und wenn Du glauben willst, so findest Du alles leicht, was Du suchst. Rede mir hier nichts vor von ewigen Bedürfnissen und Kraftanlagen – Deine urtheilende Idee steht mit Deiner genießenden Idee im Mißverhältniß. Glaube und dann urtheile. Treibe die Gäste aus Deinem Hause, die Dich verführen. Laß Dir das Schicksal der Semele einfallen. Du kannst doch nicht Zeus zwingen Dich zu Ganymed zu machen. Lebe wohl.
Dein Freund
Albert von Hardenberg
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  senden  Novalis
  • Novalis  wertschätzen  Schlegel, Friedrich von
Briefkopfdaten
  • Datum: erste Augusthälfte 1793
  • Absender: Novalis ·
  • Empfänger: Friedrich von Schlegel ·
  • Absendeort: Wittenberg · ·
  • Empfangsort: Leipzig · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 115‒117.
Sprache
  • Deutsch

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