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Friedrich von Schlegel to Novalis

Erinnre Dich aus dem Alterthume des habsüchtigen Königes, dem man, da der Hunger ihn nagte, in silbernen Schüsseln Gold vorsetzte – oder vielmehr denke Dir einen großen Unglücklichen, feyerlich niedergeworfen vor Gott, tief flehend um zwei Thränen des Mitleids in Freundes Auge, nur um eine! – nur um eine halbe! – und plötzlich fühlt er sein Haupt von der furchtbaren Gluth feuriger Ruhmes-Strahlen umgossen. Sein einsames Herz mag erstarren. – So hast Du’s mit mir gemacht: ich sehnte mich nach einem freundlichen Blick, einem Funken sanften Gefühls für mich, und statt dessen giebst Du mir – kalte Bewunderung. Verstehe mich aber doch nicht falsch: es ist sehr Vieles in Deinem Briefe ganz treffend Wahres, noch mehr Vortreffliches. Solltest Du mich auch nicht kennen und begreifen, so wahrsagst und ahndest Du doch mit ächtem Geist Gottes, der Geist des Herrn ruht auf Dir, und sein Odem fährt aus Deiner Nasen, und seine Liebe schlägt in Deinem Herzen. Du bist ein Prophet – werde nun auch immer mehr und mehr ein Mensch.
Mein Leben will ich forthin gern mit Dir teilen: dringen doch Wenige, vielleicht niemand so tief in mich ein wie Du, und ich finde mich so gerne in Dir wieder. Uebrigens aber geht es Dir wie allenthalben; Du suchst Geheimnisse in den einfachsten Dingen, übertreibst selbst Deine Vorstellungen, Du siehst tief, aber umfassest selten ein sehr großes Ganze. Lasse mich, wie ich war, bin und seyn werde. Ich selbst bin ja nur eine Hoffnung. – Dann wirst Du vielleicht Leben wahrsagen – obschon ich meine Abstammung von dem König von Thule anerkenne.
Mein Lieber, ich trachte gar nicht nach einem großen feyerlichen Untergange, sondern nach einem ächten Leben. Ich will und werde auch nicht an einer schönen Idee sterben – in mir selbst liegt kein Keim des Todes mehr – es sind die gemeinsten Dinge, die es mir zur Pflicht machen könnten. Alles was Du längst weißt, Mangel an Geld, Zeit, <Gesundheit, das Zusammentreffen dieser ungl[ücklichen] Umst[ände],> thätiger Hülfe und Rath, und die möglichen Folgen die Du Dir leicht denken kannst. Ich habe Dir ja so offen darüber geschrieben: daß Du auch deren Einer bist, die ich um Hülfe bitten kann (auf eigentliche Dankbarkeit mag nur keiner unter Euch rechnen). Ich werde also leben, wenn ich kann; in mir liegt kein Keim des Todes. Es ist nicht bloß schön zu leben, sondern es ist Seeligkeit. Aber diese und das höchste Leben selbst können und müssen zu Zeiten den Dolch ins Herz stoßen. –
Wo Du den Hund suchst, da liegt er gar nicht begraben, nehmlich meine Reise hat nichts im Hinterhalte. Ich sah ihn [August Wilhelm Schlegel] wieder – fand einigen <Schein des> Wahren in Deiner flüchtigen Ansicht, aber unendlich mehr in meiner. Ihn zu sehen konnte mich nicht begeistern, aber ihn gesehn zu haben, ist mir von bleibendem großem Werth. – Papen sah ich leider nicht.
Von Dir muß ich aber mehr hören. Auch das, was Du mir hier versprachst, Eröffnung über gewisse Grundsätze, und Dir eigne Denkungsart, worauf Du bey einigen Gesprächen über Hamlet und Kantische Moral hindeutetest, verlange ich von neuem. Vor allem mehr Offenheit über Deine Liebe oder über Deine Lieben. – Schön! daß Du fleißig, häuslich, zufrieden lebst und denkst! Dabei lasse ich Dich. Der Unterschied zwischen uns ist der, daß Du eine Heimath vorfindest, die die gütige Natur Dir mütterlich bildete. Deine Bestimmung ist, Deinem Hause treu zu seyn, es zu adeln und zu zieren. Ich Flüchtling habe kein Haus, ich ward ins Unendliche hinaus verstoßen (der Kain des Weltalls) und soll aus eignem Herzen und Kopfe mir eins bauen. –
Daß Du nicht liesest ist mir sehr lieb. Aber das Denken verstoße doch nicht ganz. Es ist eine herrliche Sache damit, besonders wenn man gut und schön denkt. Nur denke aus Deinem Hause heraus.
Schlegel
Dein Br[ief] war im Kopfe gleich beantwortet; ietzt ist es acht Tage später geworden. Große Arbeiten, erbärmliche Gesundheit, unsägliche Störungen, Geistesschwäche.
Ich bitte um die Stanzen.
Daß ein Schriftsteller in mir stecken möge, dieß däucht mir, mußte von jeher ein <nur> mittelmäßiger Prophet auf den ersten Blick sehen. Davon, wenn einmal was fertig. Von Schw.[einitz] und Carl.[owitz] ein andermal.
Komm wo möglich, noch vor Michael einen Tag zu mir: aber schreib mirs vorher. – Michael werde ich wohl nicht nach Dreßden gehen, vermuthlich erst Neujahr. Du mußt dann, zu Michael nehmlich, bey mir sein. Mich verlangt nach Deiner Gegenwart.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Mitte August 1793
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Wittenberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 117‒118.
Language
  • German

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