Single collated printed full text with registry labelling

Friedrich von Schlegel to Carl August Böttiger

Pillnitz den 7ten Junius.
Ich sage Ihnen meinen wärmsten Dank für das Ueberschickte und für Ihre nachsichtsvolle Beurtheilung meines ersten Versuchs in dieser Art. Aber ich fürchte nur, daß Sie allzu schonend urtheilen, und bitte nochmahls um freymüthige Strenge. Ich besorge die Treue auf Kosten der Lesbarkeit erreicht zu haben. –
Nun <gleich> zum Hauptpunkt, da ein anhaltendes Kopfweh mir <für heute> nicht erlaubt, mich nach Herzenslust mit Ihnen zu unterhalten. – Glücklicherweise habe ich eigentlich dem Sinn nach nichts behauptet, was mit der Frage von der Aechtheit des Epit.[afios] zusammenhinge; der unschickliche Ausdruck „der Urkundlichkeit“ hätte aber freilich Anstoß geben müssen. Es ist mir daher nicht schwer geworden, dieser Stelle eine solche Wendung zu geben, daß das Ganze allenfalls auch für sich ohne Anstoß von Stapel laufen darf. Freilich würden Sie den Werth desselben durch eine επιϰρ.[ισις] der Art sehr erhöhen und mir selbst würde es äusserst interessant sein, Ihre Meinung vollständig darüber zu vernehmen. Aber auch in diesem Fall bitte ich die beygefügten Aenderungen in m.[einem] M[anu]scr.[ipt] anzunehmen. Finden Sie es nöthig, irgend einen Ausdruck, der Anstoß geben könnte, zu mildern, oder wegzustreichen, auch in der beygefügten Note, etwa den Ausfall gegen Reiske*, so werden Sie mich sehr dadurch verpflichten. – Ich hoffe, daß ich kein Aergerniß geben werde, wenn Sie auch unglücklicherweise keine Musse oder Lust hätten, uns mit einer solchen επιϰρ[ισις] zu beschenken. Ich selbst bin aber durchaus ohne die <nöthigen> Hülfsmittel eine solche zu liefern, wenn ich mir auch, wo schon solche Häupter der Kritik geurtheilt haben, eine Stimme anmassen wollte. – Ich müßte doch zum wenigsten alle untergeschobnen Reden durchforschen können, um dem Sophisten recht hinter die Schliche zu kommen. Dann müßte ich alle Lexikographen zu Hand haben, die ich <hier noch viel> weniger haben kann als eine vollständige Samml.[ung] der Reden: denn die Art von Gründen, nach welchen Voß das Alter der Orfischen und Homeridischen Gedichte zu bestimmen versucht hat, scheinen mir hier die einzigen entscheidenden.
Ueberdem muss ich Ihnen bekennen, weiß ich noch durchaus nicht, wie meine Untersuchung ausfallen würde. Zwar sehe ich eine Möglichkeit, von Ihrer <gemäßigten> Meinung überzeugt zu werden. Die Hypothese aber, daß das Ganze unächt sey, kommt mir jetzt im höchsten Grade unglaublich vor. Aber auch was das erste betrift, so würde ich mich nur grammatischen Beweisen gefangen geben. Selbst den Grund, welchen Sie anführen, so furchtbar er scheint, halte ich nicht für <ganz> unbeantwortlich. Doch ich verspare das aufs mündliche.
Reiske’s, <der überhaupt keine grosse Autorität bei mir hat,> Anm.[erkung] hatte keinen andern Eindruck auf mich gemacht, als s.[eine] gewöhnlichen leichtsinnigen und ungeschickten Conjekturen. Valk[enaer] und Wolfs Meynung war mir unbekannt. Es ist für mich im Studium der neuern Kritiker selbst noch sehr viel nachzuhohlen. Theils raubten mir die Klassiker selbst alle Zeit, theils die hiesigen Tage. Als die Bibl.[iothek] noch offen war, habe ich einigemal umsonst nach Wolf Lept.[inea] gefragt. Die faulen Menschen (Daßdorf nehme ich immer aus) haben die Erfindung gemacht, die Bücher, wie die grossen Herren, auch wenn sie zu Hause sind, zu verläugnen.
Thun Sie nun, werthester Freund, was Sie für gut finden. Gern hätte ich wohl eine Zeile Nachricht, wie Sie mit meinen Aenderungen zufrieden sind, und was Sie beschlossen haben. Bis zum 25ten dieses Juni trift mich Ihr Brief bei Reichardt zu Giebichenstein bei Halle; nachher sicher in Jena, beim Kaufmann Beyer am Markt. Ich reise am 19ten von hier über Halle, um Wolf und R.[eichardt] kennen zu lernen, nach Jena, wo ich bis Mich.[aelis] bei meinem Bruder wohne, aber mit der nächsten guten Gelegenheit einen Besuch bey Ihnen mache. Was den Winter betrift, so bin ich noch nicht entschieden.
Ich werde mich unverzüglich an den Ulyssesbogen machen.
Den 17ten gehe ich nach der Stadt und werde dann bey Ihrer Frau Gemahlin meine Aufwartung machen.
Behalten Sie mich in gütigem Andenken und empfehlen Sie mich W[ieland]s Gewogenheit. – Der Vorschuß, den Sie mir in seinem Nahmen geschickt haben, war mir sehr willkommen. Ich danke Ihnen nochmahls dafür.
Wie sehr freue ich mich, daß Sie meinen Bruder so gütig beurtheilen und ihm sein langes Außenbleiben verziehen haben!
Ganz der Ihrige
Friedrich Schlegel
Ich kann Ihnen nicht genug danken, daß Sie mich über den Fehler meines Versuches belehrt haben, da ich beim ersten Eintritt ins Publikum den Verdacht der αϰρισις am ungernsten auf mich laden möchte.
* Da ich den Beweis, der zu lang geworden seyn würde, weglassen mußte. Dann müßte der folgende Punkt anfangen: Diejenigen Einwürfe zwar pp.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 7. Juni 1796
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Carl August Böttiger ·
  • Place of Dispatch: Pillnitz · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 306‒308.
Language
  • German

Weitere Infos ·