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Friedrich von Schlegel to Carl August Böttiger

Pillnitz, den 21ten Jun. 96.
Endlich kann ich, den Göttern sei Dank, meine Schuld lösen und Ihnen den Lysias mit allem Zubehör versehen schicken. Haben Sie nur die Freundschaft für mich, und die Schonung für mein reuiges Herz, mir recht bald zu schreiben, wie ungehalten Sie auf mich sind, weil ich mir sonst das schlimmste denke.
Zugleich bitte ich um Ihr offenherziges und strenges Urtheil über diese Erstgeburth meiner Uebersetzerlust. – Ich würde mich ausserordentlich freun, wenn Sie und W.[ieland] mit diesem unvollkommnen Versuche einigermassen zufrieden wären und meine Bereitwilligkeit zu fernern Arbeiten sich gefallen liessen.
Ich wage in dieser Rücksicht einige Vorschläge als vorläufige Anfrage beizufügen.
Da mir W.[ieland] schrieb: „er wünsche, daß ich mich in der Folge noch an mehr Reden des Lysias machen und vorzüglich solche auswählen möchte, die für die Charakteristik der Athener interessant wären“; so wäre meine Meinung, daß ich etwa alle Reden des Lysias, welche Urkunden zu der interessanten Geschichte der αναρχιας προ Ευϰλειδου sind, <zusammen übersetzte und> mit einer histor.[ischen] Einleitung über diese Periode aus den Klassikern und einer επιϰρισις von mir über den oligarchischen Terrorismus der 30 Tyrannen begleitete; ein Ganzes, welches jedoch nicht in einem Stück des A. [ttischen] M.[useums] gedruckt zu werden brauchte, sondern zerschnitten werden könnte. Diese Reden sind nach der Reisk.[eschen] Ausgabe: XII. XIII. XVI. XXVI. XXXI. XXXIV. Die vier letzten sind sehr klein, und die erste scheint mir auch in aesthetischer Rücksicht (ich habe sie nur eben in dieser Hinsicht sorgfältig gelesen) unter die vorzüglichsten Werke des Lys.[ias] zu gehören
Außer diesen wäre vielleicht die erste Rede in der R.[eiskeschen] A.[usgabe] auch aesthetisch vorzüglich und zugleich als Beitrag zur Geschichte der Attischen Ehegesetze interessant. Aber wäre es nicht besser, alle Reden der Att.[ischen] R.[edner], die sich auf Ehegesetze und was dem anhängt beziehen, zusammenzunehmen und als ein Ganzes zu behandeln?
Die Uebersetzung des Gillies ist hier nicht zu haben gewesen. Bei der Einleitung und auch bei der Beurtheilung hätte ich mehr leisten können, wenn mein Büchervorrath nicht jetzt so klein wäre.
Was urtheilen Sie von dem kl.[einen] Bruchstück des Hyperides? Mir scheint es sehr verdächtig.
Ich bitte um Nachricht, ob ich mich gleich an den Ulyssesbogen wagen soll, oder ob es Zeit hat, bis wir uns sehn?
Nun noch eine dringende Bitte und einen <mir sehr> wichtigen Vorschlag.
Ich reise in der letzten Hälfte des Jul.[i] wahrscheinlich über Halle, um Wolf, den Sie mit einem Wort charakterisirt haben, von Angesicht zu Angesicht zu schauen; steige zwar bei meinem Bruder in Jena ab, bin aber sobald, als ich eine wohlfeile Gelegenheit [finde,] zum Besuch bei Ihnen. Die gänzliche Veränderung des Aufenthaltes verursacht mir, der noch nicht unter die ricos hombres gehört, eine grosse Menge kleiner Ausgaben, die mich in Masse drängen. Wäre es möglich, daß Sie mir noch vor meiner Abreise, oder lieber gleich, etwa 3 Ldrs. (wenn Sie glauben, daß das Honorar so viel betragen kann) schicken könnten? Ich würde Ihnen und Vater Wiel.[and] sehr verpflichtet sein. Ist es nicht thunlich, so bitte ich mir die Zeit zu bestimmen, wo ich darauf hoffen darf.
Das war die Bitte. Nun der Vorschlag. Seit anderthalb Jahren liegt eine Geschichte der Attischen Tragödie beynahe vollendet unter meinen Papieren. Mit der Att.[ischen] Trag.[ödie] erneuerte s.[ich] vor viertehalb Jahren mein Hellenisches Studium und sie ist seit der Zeit der Mittelpunkt meiner Untersuchungen geblieben. Ich hatte die Schrift für meine Sammlung bestimmt; aus vielen Gründen aber kann sie in Jahren noch nicht darin erscheinen. Diese Gründe mündlich. Könnte Sie vielleicht nach einer sorgfältigen Feile eine Aufnahme in das A. [ttische] M.[useum] verdienen? Sie würde das Publikum auf die angekündigten Uebersetzungen vorbereiten. Auf einmal ganz würde sie zu lang seyn; (mein Konvolut ist eine Hand hoch, aber es muß noch gewaltig in die Presse) sie liesse sich aber sehr wohl in drey mässig lange Aufsätze, nach den tragischen Triumvirn, zertheilen. Sagen Sie mir darüber ein Wort und auch was ich im Falle der Acceptazion für Bedingungen zu hoffen hätte. – Das darf ich kühnlich sagen: wenige haben wohl die Att.[ische] Trag.[ödie] so <eifrig> untersucht wie ich, und bloße Wiederhohlungen des Bekannten enthält mein Versuch gewiß nicht.
Ueber die kritische Philosophie werden wir gewiß recht lustig mit einander reden. Vor der Hand gilt mir Sokrates noch mehr als Kant. Wieland möchte ich gern für diesen Beweiß seiner Vorsage schriftlich danken, wenn nicht das Schiff nach Dreßden in Begriff wäre, abzusegeln. Daher verzeihen Sie auch wohl die Flüchtigkeit dieses Briefs.
Ganz der Ihrige
Friedrich Schlegel.
Der Herm. de metris liegt seit einer Woche ungelesen auf meinem Tisch. Ich hatte zuvor bei Eichstädt in Oschatz darin geblättert, und da wollte er mir nicht zusagen. Ich fand Klopstocks Wortfüße, Moritzens Aufschlag und Kants Kategorien unverständlich durcheinander gemengt. Ich werde es nächstens studieren.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 21. Juni 1796
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Carl August Böttiger ·
  • Place of Dispatch: Pillnitz · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 314‒316.
Language
  • German

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