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Novalis to Friedrich von Schlegel

Dürrenberg, den 8ten Julius 1796
Du glaubst nicht, alter, guter Schlegel, wie herrlich Du mich mit Deinem Briefe überrascht hast. Gut, daß Du mir auf gewiße Weise nicht zuvorgekommen bist. Wahrscheinlich ist mein Bruder Erasmus schon bey Dir gewesen oder hat Dich nicht zu Hause getroffen. Er war mein persönlicher, früherer Brief. Ich habe ihn aufs dringendste gebeten, Dich aufzusuchen und Dir Nachricht von mir zu geben. Vergeßen hab ich Dich auf keine Weise und konnte es so leicht nicht, ohne mich selbst zu vergeßen. Du weißt, welchen Antheil Du einst an meiner Erziehung hattest. Auch gewöhnliche Dankbarkeit vergißt den Lehrer nicht. Jeder Gedanke an meine historische Bildung war mit Deiner Erinnerung verbunden. Vollends die Ankündigung Deiner Griechen hat mich ganz außerordentlich bewegt. Das ist das Buch, dacht ich, woran seine Seele so lange brütete – das ihn so lange aus sich und aus der wircklichen Welt gedrängt hat – Endlich da – wird es wohl Spuren seiner Schöpfungsperiode tragen, oder desto schöner ruhn, je wilder der Sturm war, aus dem es hervorging. Ich errinnerte mich der Bruchstücke – es entstand in mir eine Intuition des Unbekannten, die meinen Geist in unbekannten Weiten umhertrieb. Es reichen nicht sechsfache Erkundigungen nach seiner Erscheinung. Ein einziges köstliches Stückchen hab ich gelesen in Deutschland. Im 2. Stück der Horen ist Göthe armseelig dagegen behandelt, so brav übrigens der Aufsatz ist – Du sprichst durchaus neue Dinge, Du bereicherst Sprache und Geist – Du schaffst eine Kritik – Du hast ein tausendfach feineres Netz, durch das kein Fischchen, und wärs ein Essigälchen, entschlüpfen kann. Dies nur im Vorbeygehn. Du bist mir also wiedergegeben – ich dacht es nicht. Seine Liebe wird dahin seyn – die Griechen haben ihn alles vergessen machen – er lebt im Anschaun seiner Welt – die alte Zeit drückt ihn zu gewaltig und hat mich auch mit todtgedrückt – Man wirft ja alles weg, um einem verhaßten Zustande zu entfliehn. Glücklich dacht ich Dich mir – die Zeit und die Selbstthätigkeit thun Wunder – man wird alles gewohnt und Deine politische Lage dacht ich mir beträchtlich verbessert. Gut, daß Du wenigstens heiter bist – Du fängst Dich an wieder der Sonnenwelt zu nähern, wie ein Komet. Ich freue mich herzlich Dich zu sehn. Du wohnst solange Du willst, in Weißenfels, oder wo ich bin, bey mir – ohne Zwang und nimmst mit uns vorlieb. Ich böt es Dir nicht an, wenn ichs nicht könnte und dürfte. Nach Jena kommst Du immer noch früh genug. Ich bin nicht mehr so fürs Eilen – ich habe langsam gehn gelernt. Einmal für allemal sieh künftig meine Stube für die Deinige an, dies Wenige vermag ich. Von mir erzähl ich Dir das Beste mündlich. Praeliminariter nur, daß ich im Gantzen froh gelebt habe und zufrieden mit der Anwendung meiner Zeit bin. Mein Amtmann ist mein Freund geworden. Er hat mich zum Geschäftsmann weitergebildet und Thüringen zur Schule meines Geschäftslebens überhaupt gemacht. Seit dem Februar bin ich in Weißenfels – angestellt bey den Salinen – gut mit allen Menschen dran – in einer erträglichen Freyheit – mit hinlänglicher Muße meine innern Geschäfte fortzutreiben – und zufrieden mit Allem, außer noch hie und da nicht mit mir. Freunde hab ich sonst in der Zeit eigentlich nicht acquirirt, außer den Kreisamtmann. Aber sonderbarer Weise hab ich, außer Dir, 4 höchst verschiedne Leute gefunden, die nach langer Zeit sich meiner bestens erinnert haben und mich wieder aufsuchten. Der Eine war Manteuffel sen. dem es Gott weiß wie, einfiel nach einem jahrelangen Stillschweigen und ohne, daß uns auch in Wittenberg ein engeres Band umschlang, an mich höchst freundschaftlich zu schreiben. Der 2te war, Forberg in Jena, der, eben nach sehr langer Unterbrechung unsrer Freundschaft, mir ein Herz voll Zärtlichkeit für mich zeigte. Der dritte war Bolschwing, der vor einigen Monaten mir einen Brief im alten Styl schrieb, der mir aber die unangenehme Erfahrung abnöthigte, daß durch sein Stehnbleiben eine sehr große Kluft zwischen uns entstanden war. Medem!!! war der 4te. Sein Brief war voll freundschaftlicher Erinnerungen und mir von allen der Unerwartetste. Du weißt, wie wir uns trennten – so kalt, so geschieden, als möglich – und nun nach drey Jahren das! Kurz ich kanns nicht begreifen und bitte Dich mir das Räthsel zu lösen. Aus meinen alten Verbindungen bin ich ganz heraus. Julchen hat geheyrathet. In dieser Rücksicht ist mit mir eine mächtige Verwandlung vorgegangen. Betrachte dies Kapitel wie abgethan, in meinem Leben. Mein Schicksal hat einen großen Epichronismus gemacht. Sobald hättest Du Dir, den natürlichen Lauf der Dinge nach, die Lösung dieses Karacterzugs nicht erwartet. Kurz hierüber bist du nun mit mir im klaren. Mich hat es am meisten überrascht. Seit ⁷/₄ Jahren bin ich Einer und derselbe im Wesentlichen – denn ich bin so lange fixiert und kurz und gut seit ⁵/₄ Jahren – versprochen. Jezt in dieser Stunde betheure ich, daß ich, wie in der ersten Stunde denke – und, wo möglich, ernster, zarter, fester und wärmer bin. Mehr mündlich. Mein Lieblingsstudium heißt im Grunde wie meine Braut. Sofie heißt sie – Filosofie ist die Seele meines Lebens und der Schlüssel zu meinem eigensten Selbst. Seit jener Bekanntschaft bin ich auch mit diesem Studio ganz amalgamirt. Du wirst mich prüfen. Etwas zu schreiben und zu heyrathen, ist Ein Ziel fast meiner Wünsche. Fichten bin ich Aufmunterung schuldig – Er ists, der mich weckte und indirecte zuschürt. Glaub aber nicht, daß ich, wie sonst, leid[enschaft]lich bloß Eins verfolge und nicht vor meine Füße sehe – Mein Vater [ist] zufrieden mit meinem Fleis und ich kann nicht über Langeweile bey ande[rn] Beschäftigungen klagen. Ich fühle in Allem immer mehr die erhabnen Glieder ein[es] wunderbaren Ganzen – in das ich hineinwachsen, das zur Hülle meines Ichs werden soll – und muß ich nicht alles gern leiden, da ich liebe und mehr liebe, als die 8 Spannenlange Gestalt im Raume, und länger liebe, als die Schwingung der Lebenssayte währt. Spinoza und Zinzendorf haben sie erforscht, die unendliche Idee der Liebe, und geahndet die Methode – sich für sie und sie für sich zu realisieren auf diesem Staubfaden. Schade, daß ich in Fichte noch nichts von dieser Aussicht sehe, nichts von diesem Schöpfungsathem fühle. Aber er ist nahe dran – Er muß in ihren Zauberkreis treten – wenn ihm nicht sein früheres Leben den Staub von den Flügeln gewischt hat. Lebe wohl – bester Schlegel. Ich erwarte Dich mit Ungeduld – wenn ich weiß, daß Du in Leipzig bist, so komm ich und hole Dich ab.
Dein alter Freund
Hardenberg
An Herrn Schlegel Hochedelgebohrn in Dresden
per amicum. abzugeben beym Hrn. Hofsekretär Ernst auf der Mohrenstraße
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 8. Juli 1796
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Bad Dürrenberg · ·
  • Place of Destination: Pillnitz · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 317‒320.
Language
  • German

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