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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

Dürrenberg. Den 2ten August 96.
Da Hardenberg einen Boten nach Jena schickt, so ergreife ich die Gelegenheit, Sie zu begrüßen, und Ihnen zu sagen, daß ich wohl noch diese ganze Woche hier zubringen werde.
Gleich den ersten Tag hat mich H.[ardenberg] mit der Herrnhuterey so weit gebracht, daß ich nur auf der Stelle hätte fortreisen mögen. Doch habe ich ihn wieder so lieb gewinnen müssen, daß es sich der Mühe verlohnt, einige Tage länger von Ihnen abwesend zu seyn; ohngeachtet aller Verkehrtheit, in die er nun rettungslos versunken ist. – Uebrigens bin ich hier völlig frey, und kann einen grossen Theil des Tages arbeiten, welches ich denn auch tüchtig thue, und doch das langentbehrte Vergnügen der Gedankenmittheilung im vollen Maaß geniessen. – Es soll mich wundern, ob Sie mich auch so einseitig, hartnäckicht finden werden, wie ich andern scheinen muß.
Heute ists drey Jahr, daß ich Sie zu erst sah. Denken Sie, ich stände vor Ihnen, und dankte Ihnen stumm für Alles, was Sie für mich und an mir gethan haben. – Was ich bin und seyn werde, verdanke ich mir selbst; daß ich es bin, zum Theil Ihnen.
Vom Cäsar hätte ich gern Nachricht. Schreiben Sie gleich, so trift michs gewiß noch. Wenn es nur keine Mäkeley von Schiller ist, so will ich gern bis zum 10ten Stücke warten. Ist es aber das, wie ich argwöhne, so wollte ich, er gäbe mir das Ganze gleich zurück: dann zierte ich den ersten Band damit statt der Diotima.
Es liegt mir ganz unendlich viel daran, diese gleich zu finden bey meiner Ankunft in Jena. Ich wiederhohle also an W.[ilhelm] meine Bitte desfalls, wie auch um den Dionys. Hätte Sch.[iller] die D.[iotima] verlohren, das wäre äusserst unangenehm. Wer weiß, ob ich die Stücke gleich kaufen könnte.
Wenn ich Ihren Brief zugegen oder ganz im Gedächtnisse hätte, so würde ich noch viel mehr schreiben. Wäre ich in der Stimmung, wie neulich, so hätte ich auch viel zu mäkeln über W.[ilhelm]s böse werden müssen, und andre ähnliche Unverständlichkeiten. In der Laune, wo ich ietzt bin, würde ich wohl auf den oekonom.[ischen] Theil Ihres Briefes antworten, der mir viel Freude gemacht hat. Der allerliebste Einfall, in vollem Ernst mein Vormund zu seyn, ist gewiß nicht Ihr eigner. Sie haben ihn (wie alles Schöne) von den Alten entlehnt, haben gewiß eine Gemme gesehn, wo ein Amor einen Löwen spielend bändigt. Es muß beinahe eben so interessant seyn, eine so kleine, zierliche, zerbrechliche, leichtsinnige, kolossalisch verliebte Frau – als GrakchenMutter zu sehn, wie W.[ilhelm]s Vaterwürde, auf die Sie mich sehr lüstern gemacht haben.
Meine Addresse ist: Weissenfels beym Salin-Direktor v. Hard[enberg]. – Setzen Sie Eilends aufs Couvert, sonst möchte der Brief in W.[eimar] liegen bleiben.
W[ilhelm] mags ja überlegen, ob er R.[eichardt] eigne Aufsätze für Deutschl.[and] geben will, wegen des Verhältnisses mit Sch[iller]. Hält ihn aber dieß nicht ab, so kann er wegen des Honorars ganz unbesorgt seyn. Dafür will ich stehn, und könnte es eintreiben. – Wollt Ihr mir geben, was Ihr über W[ieland] zu sagen habt, und mir erlauben, nach meinen Zusätzen, das Ganze unter meinem Nahmen an R.[eichardt] zu schicken, so könnten wir ja das Honorar leicht theilen. – Auch R.[eichardt] sieht W.[ilhelm] als einen Verbündeten an. – Seyd aber nur meinetwegen unbesorgt: sein Lob wird mich nie zur Frechheit verführen, und ich werde auf meiner Hut seyn, daß R.[eichardt] meine Freymüthigkeit nicht zu seinen Absichten mißbrauchen soll.
Wenn ich das Honorar für den Cäsar erst zu Ostern 97 bekäme, das wäre äusserst verdrießlich.
Kömmt ein Brief oder Packet mit D im Siegel: so brecht ihn auf. Das ist vom Drucker in Berlin. Vielleicht ist schon einer da; denn es könnte etwas eiliges darin seyn, welches ich mir gleich zu melden bitte. Mein Koffer muß schon gestern mit Fuhrmann Gottfried Tieftrunk anngekommen seyn.
Es wäre mir auch lieb, wenn Sie die Abhandl.[ung] über das Studium aufmerksam lesen wollten.
Was ich zunächst für die Horen zu liefern dachte, war eine Biographie des Tiberius Grakchus. Dieß paßt doch nicht eigentlich für Deutschl.[and] und ich muß es entweder auf Spekulazion für die O[ster]M[esse] 97 für die Horen machen, oder es mit in die Sammlung aufnehmen.
Wollen Sie wohl die Diotima noch einmahl lesen, und die Stellen mit Bleystift bezeichnen, wo Sie glauben, daß eine kleine Aenderung nothwendig und leicht sey?
Wenn ich oben von Herrnhuterey sprach, so wars nur der kürzeste Ausdruck für absolute Schwärmerey: denn noch wenigstens ist H.[ardenberg] ganz frey von dem leisesten Anstrich Herrnh.[uter] Niederträchtigkeit.
Von Charlotte habe ich keine Nachricht wieder gehabt.
Den Brief mit 1 Duc.[aten] von Leipzig wird W.[ilhelm] erhalten haben.
Lassen Sie Sich auch einen tollen Aufsatz des Philosophen Schmidt <in Niethammers Phil.[osophischem] Journal> über die schöne Seele geben. Der Jämmerling meynt, die nichtswürdige Kreatur wäre zu gut.
Ich grüße und umarme Euch <alle> herzlich, auch Auguste, die es mir verzeihen muß, daß ich Ihren Brief nicht beantworte. Küssen Sie Ihren Herrn, den Vater Wilhelm einmahl in meinem Nahmen herzlich, oder halten Sie das für Sünde? Danken Sie ihm noch für den letzten Brief und die Erfüllung meiner Bitte. χαιρε.
Fr. S.
Der Republikanismus ist glücklich durch die Censur geschlüpft.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 2. August 1796
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Bad Dürrenberg · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 326‒328.
Language
  • German

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