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Friedrich von Schlegel to Christian Gottfried Körner

Jena, den 21ten Sept. 96
Es ist wohl endlich einmahl Zeit, daß ich Ihnen wieder Nachricht von mir gebe, und mich verlangt auch herzlich, etwas mehr von Ihnen zu wissen, als daß Sie noch leben: denn dieß, aber auch nicht viel mehr, habe ich dann und wann von Schiller erfahren. – Seit ich Ihnen von Weissenfels den kleinen provisorischen Brief schrieb, haben meine Arbeiten und die interessanten neuen Gegenstände hier der Zeit solche Flügel gegeben, daß ichs kaum glauben kann, wenn ichs berechne, wie lange ich schon hier bin. – Ich bin sehr fleissig gewesen, habe mich aber fast nur mit den Neuern beschäftigt. Ich treibe es mit grossem Eifer und bin in sehr unklassischen oder antiklassischen Schriftstellern vergraben. Ich war auf dem besten Wege von der Welt mich im Studium der Antiken zu petrifiziren. Doch hoffe ich, war es noch Zeit genung, um die Biegsamkeit des Geistes zu retten. –
den 30ten Sept.
Die einzige bedeutende Frucht, welche dieses Studium bis jetzt getragen hat, ist eine Recension des Woldemar, welche in Rücksicht der Länge ein Seitenstück, in jeder andern Rücksicht aber ein Gegenstück der Humboldschen ist. Ich hoffe Sie werden damit zufrieden seyn und auch keine Langeweile dabey haben. Ich habe mein Möglichstes gethan, den niedrigen Stoff zu würzen. – Ich kann mir gar nicht anders denken, als daß Humbold, die Absicht gehabt hat, Jakobi ehrlich zu sprechen, und für die Horen zu stempeln. Er hätte ihn sonst nicht so gröblich mißverstehn können, als man muß, um ihn Kantisch zu finden. – Es scheint, die kritische Luft hier hätte mich angesteckt, und nun werden wohl diesen Winter einige der philosophischen Projekte realisirt werden, mit denen ich Sie schon einmahl unterhalten habe. Doch würde ich Sie lieber damit überraschen, wenn ich auch heute volle Musse hätte, Ihnen meine Gedanken mitzutheilen. Ueberdem ist jetzt die Zeit nicht günstig, da die Ankunft des Allmanachs ganz natürlicherweise vor der Hand alles Ernsthafte bey Ihnen verdrängen muß. Der Bube ist <ganz> so ungezogen, aber auch ganz so liebenswürdig wie die Alten den Eros schildern. Ich habe mich königlich ergötzt an dieser klassischen Frechheit. – Was gäbe ich nicht darum die Xenien mit Ihnen lesen zu können, da Ihr feines Gefühl für komische Schönheit meinen Genuß verdoppeln würde. Geben Sie dem Thierkreiß oder den Manen den Preiß? – Hat es Sie überrascht, auch auf mich ein gutes Dutzend Distichen von Schiller darunter zu finden? Oder wußten Sie es schon zuvor? – Nachdem ich S.[chiller] einigemal gesehn hatte, habe ich es nicht anders erwartet; und da es auf das Verhältniß mit meinem Bruder, gegen den sich S[chiller] fortdauernd sehr freundschaftlich beweist, nicht den geringsten Einfluß hat, so ist auch nichts daran gelegen. Ich kann nichts dawieder einzuwenden haben, daß S.[chiller] Epigramme <auf mich macht>, und es freut mich nur, sie so zu finden, daß ich vor der Hand nichts zu erwiedern brauche, indem er bis jetzt noch nicht beträchtlich im Vorschuß ist. – Ich bin nun nur in Verlegenheit wegen des Cäsar. Wer weiß, ob er sich nicht durch die Nichtaufnahme desselben <auch> an mir zu rächen denkt. Ihn wiederzufordern, würde sehr albern aussehn. Zu ihm gehn mag ich <auch> kaum: zwar ich bin ganz unbefangen, noch mehr seitdem er seinem Aerger Luft gemacht hat: aber er ist von einer so kindischen Empfindlichkeit, daß ich fürchte, ich werde nie wieder mit ihm in ein gutes Vernehmen kommen. Das beste dabey ist, daß ich hier jeden <andern> Umgang durch den mit den Meinigen <leicht> entbehren kann. Nur der Cäsar! Ich könnte ihn brauchen, meinem ersten Bande mehr Mannichfaltigkeit zu geben: will er ihn aber in die H.[oren] aufnehmen, so ist es mir auch sehr lieb. – Schreiben Sie mir doch, was Sie mir rathen.
Das Einzige, was mir hier nicht ersetzt werden kann, und was ich oft vermisse, so fröhlich und glücklich ich hier lebe, das ist der Umgang mit Ihnen und den Ihrigen. Alles Gute und Schöne, was er mir gewährte, ist mit heitren und frischen Farben unvergeßlich in mein Gedächtniß geprägt. Ich grüsse Ihre Frau und Dora herzlich, und vergessen Sie mir auch nicht die Kinder zu küssen. Sehr leid thut mirs, daß ich von Dora nicht selbst habe Abschied nehmen können. Die letzten Tage in Dr.[esden] würden mir dadurch noch werther geworden seyn. –
Fichte sehe ich ziemlich oft, und finde ihn im Zweysprech ja zuweilen besser, als im Ornat, es sey nun auf Lumpenpapier oder auf dem Katheder. Auf dem letztern fand ich ihn bewundernswürdig trivial. Es ist merkwürdig, wie er von allem was er nicht ist, so ganz und gar keine Ahndung hat. – Das erstemahl, da ich ein Gespräch mit ihm hatte, sagte er mir: er wolle lieber Erbsen zählen, als Geschichte studieren. Ueberhaupt ist er wohl in jeder Wissenschaft schwach und fremd, die ein Objekt hat. – Wenn ich nun hinzusetze, daß ich alles das vertheidige, liebe und lobe, so werden Sie denken, ich scherze, oder sey von einer eisernen Hartnäckigkeit in einmahl gefaßten Vorurtheilen. – Aber wo geschah denn je etwas Grosses, ohne diese schneidende Einseitigkeit, ohne eine gewisse Beschränktheit? – Wir brauchen die Beyspiele nicht weit zu suchen, wie es im Gegentheil mit den Vielseitigen zu gehn pflegt:
„Freunde, wir haben’s erlebt.“
Mein Bruder hat einen drollichten Haß gegen Fichte, gränzenlose Anbetung für Goethe, und eine gewisse Zärtlichkeit für Schiller, die ich ihm nun, Gott sey Dank! nicht mühsam abzulernen brauche. – Haben Sie die lange Rec.[ension] meines Bruders vom Vossischen Homer gelesen? Es wird mir und ihm sehr werth seyn, wenn sie Ihren Beyfall hat. – Da wir neulich in Weimar waren, verfolgte uns das Gespräch davon, wie den Engländer Marlbrughs Lied. Sie hat viel Aufsehn gemacht. Der Eutinische Leue hat grimmig gebrummt, der zerreissende Wolf hingegen hat freundlichen Beyfall an hero gemeldet. – Wolf hat einen Ruf nach Leiden gehabt, mit 3 000 Thl. Gehalt. Man wird ihn aber in Halle zu halten suchen. Ich denke noch diesen Herbst ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehn. Um doch nicht ganz aus der Uebung zu kommen, und auch um mich, wenn ich des Tages Last und Hitze in den Neuern getragen, bey den Alten wieder zu erquicken, habe ich die Schol.[ia] Venet.[a] ad Hom. vorgenommen. Die Früchte davon werden Sie auch nächstens gedruckt sehen.
Fichte arbeitet jetzt an einer Abhandlung über das Verhältniß des gesunden Menschenverstandes zur Philosophie. Er muß doch dabey an dasjenige vorbeystreifen, was Sie in den Gränzen des Zweifels zu geben dachten. Ich wünschte, daß er Ihnen neue Lust zu dem alten Entwurf machte. Sonst aber fürchte ich wird er bald seine αϰμη erreicht haben, und dann nicht bloß stehn bleiben, sondern tief sinken. Schon macht es ihm Freude, Vorurtheile scharfsinnig zu vertheidigen. –
Womit beschäftigen Sie Sich jetzt? – Haben Sie den Wilhelm ganz aufgegeben, und den Tanz wieder vorgenommen? – Wenn Sie zum Behuf des letztern etwa Notizen über den Griechischen Tanz verlangen, so stehe ich mit meinem Gedächtniß <und meinen Excerpten> immer zu Befehl. – Es sollte mir fast um keinen Ihrer Entwürfe so leid thun, ihn nicht ausgeführt zu sehn, als um den über den Geist der Shakespearschen Komödie. Es ist das ein Feld was jemand erwartet, der es urbar mache. Auch ist der Sinn fürs <ächte> Komische ungleich seltner, als der fürs Tragische.
Humbold wird bald hieher kommen, worauf ich mich sehr freue. – Von seiner anatomischen Charakteristik des Griechischen Geistes ist es ganz stille.
Mein Bruder empfiehlt sich Ihrem und den Ihrigen freundschaftlichen Andenken aufs angelegentlichste.
Wenn Sie Nachricht von den beyden Nordischen Wandrern haben, so theilen Sie mir selbige ja mit.
Ich habe die Dora sehr im Verdacht, daß Sie eine kleine Schadenfreude über die Epigramme von S.[chiller] auf mich haben wird: bin ihr aber darum nicht weniger von Herzen gewogen. Damit Sie indessen nicht blos über mich sondern auch mit mir lacht, so geben Sie ihr doch <auch> die Rec.[ension] des Woldemar, wenn Sie dieselbe lesen, worum ich sie recht sehr bitte. Den grössten Theil hoffe ich wird sie nach ihrem Geschmack finden. So ist der Weltlauf: Heute mir, morgen Dir. –
Sie wird im 8ten oder spätestens im 9ten Stück Deutschlands stehn. – Mein Lysias wird Ihnen wohl zu trocken seyn? – Ich habe mein Möglichstes gethan. Das 11te Stück des Att.[ischen] Mus.[eums] wird auch noch zur Messe fertig.
Leben Sie recht wohl, und vor allen Dingen schreiben Sie mir bald
Ihr
Friedrich Schlegel
Erinnern Sie doch auch Dora daran, daß ein Epigramm auf Nürnberg in den Xenien ist. Haben Sie die Bücher alle richtig wiedererhalten? Dora würde mich sehr verpflichten, wenn Sie mir eine Abschrift des Recepts der schönen Augensalbe zum Andenken verehren wollte. – S.
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Personen
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Metadata Concerning Header
  • Date: 21. und 30. September 1796
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Christian Gottfried Körner ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Dresden · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 332‒335.
Language
  • German

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